Ampel einigt sich auf Einstieg zur Tierwohlfinanzierung

Politikbeobachtungen von Hugo Gödde

Es scheint doch noch Bewegung in die Diskussion um das Gesetz zur Tierhaltungskennzeichnung zu kommen. Die Ampelkoalition hat sich kurz vor einem Kabinettsbeschluss (voraussichtlich am Mittwoch) auf einen Einstieg in eine Finanzierung des Umbaus der Tierhaltung geeinigt. Die auf der Ebene der Fraktionsspitzen von SPD, Grünen und FDP erzielte Verständigung sieht vor, die im Bundeshaushalt für die kommenden vier Jahre eingeplante „Tierwohl-Milliarde“ nicht nur zur Investitionsförderung zu nutzen, sondern auch für einen (teilweisen) Ausgleich laufender Mehrausgaben von tierhaltenden Betrieben zu öffnen, die höhere Tierwohlstandards als gesetzlich vorgeschrieben einhalten. Dafür soll ein Bundesprogramm aufgelegt werden. Die Vereinbarung sieht darüber hinaus vor, die offenen Fragen im Bau-, Planungs- und Genehmigungsrecht zu klären und parallel dazu die Haltungskennzeichnung voranzutreiben.

Damit ist eine der Forderungen verschiedener Bauern-, Tierschutz- und Umweltverbände aufgenommen. AbL-Vorsitzender Martin Schulz sieht die Lösung dieser Fragen am besten bei der Borchert-Kommission angesiedelt, die damit ihre Arbeit wieder aufnehmen sollte, die sie nach Annahme des Mandats von Minister Özdemir zunächst ruhen lässt.

Weiterhin legte die auf der Ebene der Fraktionsspitzen erreichte Verständigung fest, für die Ausweitung der Haltungskennzeichnung auf weitere Tierarten einen Zeitplan aufzustellen. Einen möglichen zusätzlichen Bedarf über die Milliarde hinaus will man „zu gegebener Zeit“ klären. Landwirtschaftsminister Özdemir sprach von einem „wichtigen Signal an die Landwirtinnen und Landwirte, dass wir sie auf dem Weg zu einer zukunftsfesten Tierhaltung unterstützen.“ Selbst die stellvertretende Vorsitzende der FDP-Bundestagsfraktion, Carina Konrad, zeigte sich zufrieden, nachdem ihre Fraktion monatelang eine Einigung blockierte. Man schaffe nun Planungssicherheit für eine moderne Tierhaltung in Deutschland. Landwirte bekämen überhaupt erst die Möglichkeit, ihre Ställe umzubauen. Die dazu notwendigen Regelungen werde man mit einem verlässlichen Zeitplan auf den Weg bringen“. Man habe klar vereinbart, dass Vorgaben und Auflagen bereits getätigte Investitionen in mehr Tierwohl berücksichtigen und diese mit dem Start des Programms rechtlich abgesichert sein müssten. Zeitgleich werde ein Haltungskennzeichen entwickelt, „was sich an schon im Markt befindlichen Labels orientiert und dem Verbraucher Transparenz sowie die Möglichkeit an die Hand gibt, Tierwohl an der Ladentheke zu erkennen“. Mit den vom Bundesfinanzminister bereitgestellten Mitteln könne nun jeder Landwirt unterstützt werden, „der oberhalb des gesetzlichen Standards höhere laufende Kosten zu stemmen hat“. Ausgerechnet FDP-Agrarsprecher Hocker, lange Zeit erklärter Blockierer einer Einigung, bezeichnete die Anschubfinanzierung von 1 Mrd. Euro als „wichtigen Meilenstein“. 

Die Fraktion der Grünen lässt verlauten, dass der verlässliche Umbau der Tierhaltung jetzt beginnen könne. Die verpflichtende Haltungskennzeichnung sei ein Aushängeschild ihrer Agrarpolitik. Dazu gehöre aber auch eine Herkunftskennzeichnung und eine Novelle des Tierschutzgesetzes. 

Klarstellungs- und Verbesserungsbedarf

Jochen Borchert selbst nannte die Kompensation durch die Milliarde einen Einstieg, dem weitere Schritte folgen müssten. Vor allem die Absicherung der Finanzierung in langfristige Verträgen mahnte er an. In einem Gespräch mit der „Bauernstimme“ stellt er klar: „Ich bin sicher, wenn es die langfristigen Verträge nicht gibt, werden die bäuerlichen Betriebe nicht in den Umbau einsteigen.“ Dabei seien ihm 10 Jahre zu kurz. „Meine Mindestforderung ist 15 Jahre.“ Von derartigen Festlegungen ist der Gesetzentwurf noch weit entfernt. Sie sind Teil des nun folgenden parlamentarischen Prozesses.

Die Finanzierungs- und Förderungsfragen sind ein wichtiger, aber nicht alleiniger Stein des Anstoßes der Kennzeichnung. Weiterhin fehlt komplett die Einbeziehung der Sauenhaltung. Für alle bäuerliche Organisationen vom DBV, der ISN bis zur Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft wäre eine Ausklammerung der Ferkelerzeugung ein kaum zu heilender Makel einer Kennzeichnung. Für die VerbraucherInnen ist nicht zu erklären, warum für die Tierwohl-Ausweisung eines Stück Schweinefleisches nur die letzten zwei Drittel des Schweinelebens gewertet werden.

Außerdem würde eine Nichtberücksichtigung der Sauenhaltung den Entzug der Basis der gesamten Schweineproduktion bedeuten – mit der Konsequenz der Abwanderung in billigere (ausländische) Erzeugungsregionen. Auch diese Frage der Einbeziehung der ausländischen Schweinefleischproduktion ist im Gesetz nicht bzw. schlecht geregelt.

Ferner ist die Eingrenzung des Gesetzes allein auf Frischfleisch (ohne Wurst) und die klassischen Verkaufsgeschäfte ein bedeutendes Hindernis für eine Ausweitung der Kennzeichnung. Dadurch würde nur der kleinere Teil des Fleisches eines Schweines (sogenannte Edelstücke wie Schinken, Kotelett, Filet) erfasst, was die reale „Inwertsetzung“ des Schlachttieres nahezu unmöglich macht.  

Hier muss schnellstens – am besten noch im parlamentarischen Verfahren der nächsten Monate – nachgearbeitet werden. Sonst bleibt die Bewertung von Borchert stehen: „Besser kein Gesetz als ein schlechtes Gesetz.“

Änderungen in der Kennzeichnung der Haltungsformen

Parallel zur Einbringung des Gesetzes wird offensichtlich intensiv an einzelnen Änderungen der Vorlage aus dem Juli gearbeitet. Die endgültige Form wird man erst im Laufe der Woche erfahren – und dann kommt die Zeit der Änderungen und Nachjustierungen.

Soweit bisher bekannt, geht es vor allem um Festlegungen in den Haltungsformen „Frischluftstall“ (bisher Stufe 3) und „Auslauf/Freiland“ (bisher Stufe 4).

Die Anforderungen in den Formen „Stall“ (gesetzlicher Standard), „Stall+Platz“ (bisher Stufe 2) und „Bio“ (bisher Stufe 5) sind geblieben. In Haltungsform „Auslauf/Freiland“ ist die Nutzung eines Vollspaltenstalls in und außerhalb des Stalles gestrichen worden. Jetzt gilt eine uneingeschränkt nutzbare Bodenfläche von 1,0 qm im Stall, wobei „ein überwiegender Teil der Bodenfläche geschlossen ist“, und 0,5 qm im Auslauf. Über Einstreu, Beschäftigungsmaterial und andere Tierwohlkriterien fehlt weiterhin jede Aussage. Der Entwurf besteht im Wesentlichen weiterhin auf seiner Reduktion von Tierwohl auf Tierhaltung. Die Kritik von Tierschutzorganisationen oder auch Neuland haben hierbei keinen Eingang ins Gesetz gefunden und werden sicherlich zu permanenten Konflikten führen. „Um gesellschaftliche Akzeptanz und eine zukunftsfähige Tierhaltung zu erreichen, müssen wir mehr Tierwohl in kürzerer Zeit und mit mehr Betrieben anstreben. Damit senken wir die (klimarelevanten) Überschüsse und bieten Höfen eine Perspektive,“ verdeutlicht Neulandbauer Martin Schulz seine Zukunftsvorstellungen.

Noch unübersichtlicher sind die Anforderungen für die Form „Frischluftstall“ geworden, die sonst auch als Offenstall oder Außenklimastall bezeichnen werden. Die Details der verschiedenen Stalleinrichtungen werden sicherlich noch für heftige Diskussionen sorgen. Auch hier dürften die Fachleute des Kompetenzzentrums (Borchert-Kommission) gefragt sein. Hoffentlich nutzt das Ministerium deren Expertise. Sonst wird der tiefgehende Streit um die Kennzeichnung in die nächste Runde gehen und zu Verzögerungen führen. Und dafür, so sind sich eigentlich alle einig, hat die gesamte Branche überhaupt keine Zeit.

Die Einigung auf den Einstieg in die Finanzierung ist nur der erste (wichtige) Schritt. Es ist noch längst nicht der Durchbruch. Die letzten Wochen zeigen, dass der Druck der Verbände auf die Regierung nicht nachlassen darf. Die Hoffnung stirbt zuletzt.    

 

11.10.2022
Von: Hugo Gödde

Regelungen zur Sauenhaltung weiterhin Fehlanzeige. Foto: FebL