Punkten mit Umbau Tierhaltung

Fast die Hälfte, 41 Prozent, der schweinehaltenden Betriebe haben in den letzten zehn Jahren aufgegeben und die wirtschaftliche Situation ist anhaltend miserabel. Setzt sich dieser Trend fort, muss sich fast jeder zweite Schweinehalter in der kommenden Dekade fragen: „Bin ich der Nächste?“ Die bäuerlichen Nerven liegen blank. Immer wieder höre ich von Bäuerinnen und Bauern: „Wir können und wollen Klimaschutz und Tierwohl, aber die Bezahlung und die Preisbildung müssen stimmen und langfristige Perspektiven müssen vorliegen.“ Die Betriebe sind also bereit und es gibt beim Umbau der Tierhaltung nicht die üblichen Grabenkämpfe zwischen den Verbänden. Vielmehr liegt ein branchenübergreifendes Konzept der sogenannten Borchert-Kommission vor, das von der Politik umgesetzt werden muss. Landwirtschaftsminister Özdemir hätte richtig punkten können mit der Tierhaltungskennzeichnung – und noch kann er.

Als die vorliegenden Entwürfe des BMEL rauskamen, war die Verbändewelt baff. Die Entwürfe haben sich gelesen, als hätte es die Borchert-Kommission gar nicht gegeben. Es fehlt die nötige Synchronisierung zwischen Tierwohlkriterien, der Finanzierung, dem Baurecht und dem Bundes-Immissionsschutzrecht, damit der Umbau der Tierhaltung für Tierwohl, Betriebe und Gesellschaft funktioniert. Diese im Nachhinein herzustellen, wird mit den vorliegenden Entwürfen kaum möglich sein. Aber auch die festgelegten Tierwohlkriterien sind ungenügend. So wird die Verbraucherschaft nicht verstehen, dass Mastschweine bis zur vorletzten Stufe komplett auf Vollspalten stehen können, Schwänze kupieren möglich bleiben soll und die Sauenhaltung gezielt ausgespart wird. Letzteres heißt, Regelungen sollen nur für das halbe Schweineleben gelten. Konventionelle Tierhalter:innen, die bereits hohe Tierwohlanforderungen erfüllen, sollen sich in Stufen mit sehr laschen Anforderungen wiederfinden. Sie wären dann am Markt benachteiligt und drohen verdrängt zu werden. Die Entwürfe des Bundeslandwirtschaftsministeriums gefährden den Umbau der Tierhaltung und bedrohen Betriebe, die zum Teil bereits vor Jahrzehnten begonnen haben, eine artgerechte Tierhaltung umzusetzen. Es ist sogar eine Rückabwicklung von Tierwohl zu befürchten. Das Höfesterben geht ungebremst weiter. Das Ziel der Borchert-Kommission, die gesellschaftliche Akzeptanz der Tierhaltung wieder herzustellen, wird so nicht erreicht werden.

Das grüne Landwirtschaftsministerium hierfür zu kritisieren, ist an dieser Stelle richtig und notwendig. Aber das allein reicht nicht aus. Die FDP versucht die anstehenden Landtagswahlen in Niedersachsen zu nutzen und stellt sich vermeintlich hinter die Borchert-Pläne. Mal kassiert die Bundes-FDP diese Vorschläge ein und stemmt sich gegen die Borchert-Pläne, mal wieder nicht und ist dann doch für die Abgabe. Unklare Finanzierung bleibt die FDP-Devise und sie kann auch kein Auflagenmoratorium versprechen, wenn Auflagen über Gerichtsurteile zustande kommen, wie es beim Kastenstand für Sauenhaltung passiert ist. Das politische Rennen um den Umbau der Tierhaltung geht jetzt los. Parteien und Politiker:innen, die die Herausforderungen Klimaschutz und Tierwohl ernst nehmen, können sich profilieren, indem sie die vorliegenden BMEL-Entwürfe ablehnen und einen Umbau nach den Borchert-Plänen einfordern. Auch Özdemir wäre klug beraten, die Entwürfe schnellstens dahingehend neu aufzulegen. Das Ziel ist klar. Bäuerinnen und Bauern brauchen klare Regelungen, Orientierung und langfristige Perspektiven. Die Verbraucherschaft will klar verstehen, wie viel Tierwohl hinter den einzelnen Stufen steckt und wo für sie der Mehrwert liegt. Bauernschaft und Bewegung werden sich die Arbeit machen müssen, die Politik nicht nur nach Parteifarbe, sondern nach Inhalten zu bewerten. Nur wer Klimaschutz und Tierwohl gemeinsam mit der sozialen Frage und fairen Preisen politisch umsetzt, macht die Tierhaltung zukunftsfest.