Die Borchert-Kommission hat ihre aktualisierten Empfehlungen (die Bauernstimme berichtete) an Bundeslandwirtschaftsminister Cem Özdemir übergeben. Neben dem Kommissionsvorsitzenden Jochen Borchert waren auch Thünen-Präsident Prof. Folkhard Isermeyer, der Berliner Agrarökonom Prof. Harald Grethe sowie der BUND-Vorsitzende, Olaf Bandt, als Vertreter der Kommission bei der Übergabe dabei. Auf Twitter teilte das Bundeslandwirtschaftsministerium (BMEL) mit, es prüfe, wie diese Vorschläge das gemeinsame Ziel des Umbaus der Tierhaltung bestmöglich voranbringen können. Der Bund Ökologische Lebensmittelwirtschaft (BÖLW) teilt mit, die aktualisierten Empfehlungen nicht mittragen zu können (siehe gesonderte Meldung). Die Parlamentarische Staatssekretärin im BMEL, Ophelia Nick, erklärt mit Blick auf die Kennzeichnung noch nicht festgelegt zu sein, was wiederum von der Interessengemeinschaft der Schweinhalter Deutschlands (ISN) begrüßt wird, die ihrerseits heftige Kritik an der Haltung des BÖLW übt. Eine Kritik, die ähnlich in einem Interview mit Agra Europe auch Prof. Grethe äußert. Und auch der Tierschutzbund kritisiert, die höchste Haltungsstufe allein Ökobetrieben vorzubehalten.
Die Borchert-Kommission unterstreicht in den jetzt vom BMEL veröffentlichten aktuellen Empfehlungen ihre Vorschläge für ein staatliches Finanzierungsmodell des Umbaus der Tierhaltung und verweist erneut auf die beiden Möglichkeit einer Anhebung des Mehrwertsteuersatzes für tierische Erzeugnisse auf den Regelsatz von 19 % sowie die Einführung einer Tierwohlabgabe in Form einer mengenmäßigen Verbrauchssteuer. Kritik übt sie in den Empfehlungen an der vom BMEL vorgeschlagenen Orientierung einer Haltungskennzeichnung an der Eierkennzeichnung sowie daran, die höchste Haltungsstufe allein Ökobetrieben vorzubehalten.
BMEL: Noch nicht festgelegt
Auf dem Veredelungsforum des Deutschen Raiffeisenverbandes (DRV) erklärte die Parlamentarische Staatssekretärin, Ophelia Nick, laut Medienberichten mit Blick auf eine Kennzeichnung, die Gesprächsbereitschaft ihres Hauses. „Wir sind noch nicht festgelegt“, so Nick. Die Bedenken der Branche nehme man ernst und Kompromissmöglichkeiten würden ausgelotet. Gesetzesvorlagen zur Haltungskennzeichnung wie auch zu den bau- und umweltschutzrechtlichen Regelungen stellte sie demnach für die zweite Jahreshälfte in Aussicht.
ISN: BÖLW-Ansichten gehen an jeglicher Realität vorbei
Die ISN befürwortet die Umbauziele der Borchert-Kommission und fordert von Seiten der Bundesregierung Augenmaß und schnelle Entscheidungen, damit die Schweinehalter endlich wieder eine Perspektive und Planungssicherheit bekommen. Die Vorstellungen des BÖLW hingegen gehen nach Ansicht der ISN an jeglicher Realität vorbei und „sind ein Tritt gegen das Schienbein besonders derjenigen Schweinehalter, die bereits mehr Tierwohl in ihren Ställen umsetzen.“
Der BÖLW male ein „Wolkenkuckucksheim“, das für die meisten Schweinehalter hierzulande nicht erreichbar sei. „Wer die Messlatte der Anforderungen immer weiter hochschraubt, so dass sich ein Großteil der Betriebe nicht weiter entwickeln kann, ist verantwortlich dafür, dass hiesige Schweinehalter im Wettbewerb mit Tierhaltern aus dem Ausland vollends abgehängt werden. Die deutschen Betriebe steigen aus und die Abhängigkeit von Importen wird immer stärker – genau das ist längst Realität. Wozu Abhängigkeiten hinsichtlich der Versorgungslage führen, zeigt die Ukraine-Krise mehr als deutlich,“ kommentiert ISN-Geschäftsführer Dr. Torsten Staack. Dabei würden die Vorstellungen des BÖLW gerade angesichts der jetzt schon hochgeschossenen Teuerungsraten nicht einmal zu einem deutlich höheren Bio-Anteil beim Schweinefleisch aus Deutschland führen – „im Gegenteil, in unserem globalen deutschen Markt wird dann an der Ladentheke vermehrt auf kostengünstigeres Importfleisch ausgewichen“, resümiert Staack weiter.
„Es ist gut, wenn sich die Staatssekretärin Dr. Ophelia Nick gerade in dieser Hinsicht offen gegenüber den Einwänden aus der Branche zeigt“, so Staack. Was die Schweinhalter brauchen, seien „Vorgaben mit Augenmaß und auskömmlicher Finanzierung, so wie sie die Borchert-Kommission vorgeschlagen hat!“
Tierschutzbund: EU-Öko-Verordnung aus Tierschutzsicht mangelhaft
In einem Gespräch mit der „Neuen Osnabrücker Zeitung“ warnt der Präsident des Tierschutzbundes, Thomas Schröder, erneut davor, die höchste Stufe einer Kennzeichnung Ökobetrieben vorzubehalten. Biologische sei nicht automatisch mit tierschutzgerechter Haltung verbunden. "Die EU-Öko-Verordnung ist aus Tierschutzsicht mangelhaft und kann keine Basis für mehr Tierschutz sein, wie ihn die Gesellschaft fordert“, so Schröder. Die Premiumstufe einer staatlichen Kennzeichnung müsse auch für konventionelle Landwirte offen sein, die Tiere weit über den gesetzlichen Mindestanforderungen halten. "Solche Pioniere dürfen nicht diskriminiert werden", so der Tierschutzbund-Präsident.
Prof. Grethe: exklusive Ökostufe problematisch
Der Agrarökonom Prof. Grethe hält in einem Interview mit Agra Europe (AgE) „das politische Signal einer exklusiven Ökostufe auch für die Grünen für problematisch“, weil es dafür keine fachliche Begründung gebe. Ein hohes Tierwohlniveau könne sowohl in der konventionellen wie auch in der ökologischen Landwirtschaft erreicht werden. Das hänge nicht am Ökofutter. Eine Öffnung für konventionelle Betriebe, die die Haltungsanforderungen erfüllen, wäre ein Signal an die Breite der Landwirtschaft: Alle Betriebe können im Bereich Tierwohl „Premium“ werden! In dem Verzicht auf eine exklusive Ökostufe sieht Grethe auch die logische Konsequenz, wenn es einem um mehr Klima-, Umwelt-, und Tierschutz in der Breite des Sektors geht, und nicht um Partikularinteressen.
Eine völlig andere Haltungskennzeichnung als die, die wir mit Haltungsformkennzeichnung des Handels und der Initiative Tierwohl (ITW) haben, wäre nach Ansicht von Grethe „im besten Fall ein Rohrkrepierer, im schlechtesten ein Rückschritt für die Bemühungen um mehr Tierwohl und eine Preisgabe der bislang erreichten Erfolge in der ITW. Ohne Einstiegsstufe und mit einer nicht kompatiblen Kennzeichnung würden wir viel verlieren.“
Die im Bundeshaushalt für vier Jahre eingestellte eine Milliarde Euro Investitionsförderung zum Umbau der Tierhaltung ist nach Ansicht von Grethe „ein erster Schritt, mehr aber nicht“. Investitionsförderung alleine reiche nicht. Es sei eine dauerhafte Finanzierung laufender Tierwohlzahlungen erforderlich und dafür seien deutlich mehr als 250 Millionen im Jahr erforderlich. Beim Thema Finanzierung drängt Grethe aufs Tempo. „Wenn in dieser Legislaturperiode kein Finanzierungsmodell beschlossen würde, wäre das eine agrarpolitische Bankrotterklärung der Koalition“, so der Agrarökonom, der die Vorschläge zur Finanzierung des Umbaus über eine Herausnahme tierischer Produkte vom reduzierten Mehrwertsteuersatz unterstützt, da diese fertig ausgearbeitet und noch in dieser Legislaturperiode einfach umzusetzen seien.
Eine gut gemachte Nutztierpolitik muss nach Ansicht von Grethe sowohl mehr Tierwohl wie auch die Verringerung der Produktion im Auge haben. „Und natürlich eine Verringerung des Konsums“, da sonst der Rückbau der Produktion überhaupt nicht helfen würde.
Abschließend erklärt Grethe in dem AgE-Interview, dass sein Eindruck sei, „dass die breit getragenen Empfehlungen der Borchert-Kommission zur Haltungskennzeichnung vom BMEL gehört werden und die Überlegungen zur gesetzlichen Haltungskennzeichnung noch nicht abgeschlossen sind. Ich bin gespannt auf das Ergebnis. An einer erfolgreichen Umsetzung noch in dieser Legislaturperiode werden sich die Akteure messen lassen müssen. Viele Tierhalterinnen und Tierhalter warten auf verlässliche politische Rahmenbedingungen statt auf warme Worte.“