Pläne zur Tierhaltungskennzeichnung gehen nicht weit genug, aber erst Finanzierung wird entscheiden

Politikbeobachtung von Hugo Gödde

Die Grüne Woche Berlin wirft ihre Schatten voraus. Sie ist ja nicht nur eine internationale Verbrauchermesse für Produkte aus aller Welt, sondern ein Stelldichein der politischen Prominenz und eine Auseinandersetzung der verschiedenen agrarpolitischen Positionen. Und dabei steht die Diskussion um den Umbau der Tierhaltung an erster Stelle, aktuell aufgeladen durch das parlamentarische Verfahren des Tierhaltungskennzeichnungsgesetz der Ampelregierung. Schon im Vorfeld trafen am Montag in der Verbände- Anhörung des Agrarausschusses des Bundestages die unterschiedlichen Auffassungen aufeinander. Ob dabei der Erkenntnisgewinn der Abgeordneten groß war, wie der Vorsitzende Hermann Färber (CDU/CSU) sich erhoffte, bleibt zu bezweifeln. Auffallend für den Beobachter war die geringe Offenheit, die in den Fragen an die Experten zum Ausdruck kam. Allein bei der SPD konnte man eine gewisse Positionssuche erkennen. Merkwürdig blieb die Rolle der FDP, die eher bei der Opposition als im Regierungslager zu verorten war.

Enttäuschender erster Schritt

Ausgangspunkt der Beratungen wie auch des aktuellen Gesetzgebungsverfahrens bildete der Bewertung, ob das Gesetz sein eigenes Ziel erreichen kann, mehr Tierwohl, mehr Verbrauchertransparenz und eine hohe Marktabdeckung wenigstens für die Schweinehaltung zu schaffen. Nach der Auffassung der Mehrheit der Experten wird es diesem Ziel nicht gerecht. Offen blieb die Frage, ob mit diesem Gesetz die Basis und der erste Schritt zum Umbau der Tierhaltung gelegt werden kann, wenn kurzfristig weitere Maßnahmen wie Finanzierung, Baurecht und Emissionsrecht folgen und vor allem die Sauenhaltung einbezogen wird, was Minister Özdemir regelmäßig verspricht, woran aber viele Betroffene zweifeln. Zu sehr sind Verbände und Wissenschaftler enttäuscht über das eigenmächtige und wenig konsensorientierte Vorgehen des Ministeriums. Mit dem Übergehen der Empfehlungen der Borchert-Kommission schwächt das Ministerium seine eigene politische Legitimation, aber auch die Verbände, die einen konstruktiven Kompromiss erarbeitet haben.

Haltungskennzeichnung ist nicht der Schlüssel des Umbaus... 

Im Laufe des Gesetzgebungsverfahrens haben sich viele Verbände unterschiedlichster Couleur kritisch geäußert. Jetzt haben Wissenschaftler und andere Verbände der Borchert-Kommission nachgelegt und präzisiert. Der Kern des Umbaus der Schweinehaltung und der Tierhaltung insgesamt sei nicht die Haltungskennzeichnung, beklagt Agrarökonom Grethe im Interview mit Agra- Europe die Schieflage in der Diskussion, wenn das Ministerium immer wieder darauf verweist, dass es sich um ein Gesetz zur Haltungskennzeichnung, nicht um Tierwohl ginge. Dabei verweist Minister Özdemir in allen Reden auf die Bedeutung und den Wunsch der Bevölkerung nach mehr Tierwohl als Basis eines gesellschaftlichen Leitbildes.

Die Haltungskennzeichnung ist nur eine (teilweise sogar inkonsequente) Information für die Verbraucher ohne klare Orientierung auf mehr Tierwohl, wie Prof. Schrader vom Friedrich Löffler-Institut formuliert. Grethe unterstreicht den Konsens der Kommission in vier Forderungen: „Erstens, Landwirtschaft muss sich in Deutschland an gesellschaftlichen Zielen orientieren. Zweitens: das kostet Geld.“ Da drittens die Gemeinwohlleistungen wie Tierwohl nicht ausreichend durch den Markt honoriert werden, muss der Staat die Mehrkosten (teilweise) ausgleichen. „Viertens, Landwirtinnen und Landwirte müssen mit ihrer Arbeit ein angemessenes Einkommen erzielen.“

Die Vorstellungen von mehr Tierwohl besonders in den Stufen 3 und 4 (Einstreu, feste Liegeflächen, Ringelschwanz) griff der AbL-Vorsitzende Martin Schulz auf und kritisierte besonders die fehlende Einbeziehung der Sauenhaltung, was die Glaubwürdigkeit für den Verbraucher konterkariere. Er fragte, wie ein Kennzeichen Wirkung entfalten kann, wenn unbetäubt kastrierte Ferkel aus der EU mit 10 Wochen das Tierwohlzeichen Stufe 4 erhalten, obwohl nicht einmal in Deutschland gesetzliche Auflagen eingehalten werden müssen. Erneut machte die Warnung vor Verbrauchertäuschung die Runde.

Das Ziel des Ministeriums auf hohe Marktabdeckung (= Umbau der Tierhaltung) hält Grethe mit diesem Gesetz für unerreichbar. „Die Tierhaltungskennzeichnung wird in den ersten Jahren kaum Mehrwert haben, weil sie vorerst nur für frisches Schweinefleisch vorgesehen ist. Erst wenn Verarbeitung und Gastronomie hinzukommen, kann ein Mehrwert ... entstehen. Und der gegenwärtige Gesetzentwurf hat auch noch handwerkliche Schwächen.“

Bisher erlaubt das Gesetz keine Koexistenz mit bisherigen Kennzeichnungssystemen wie die Haltungsform des LEH oder das Tierschutzlabel oder Neuland, auch wenn sie über das Gesetz hinausgehen. Damit schwächt es die Transparenz für den Verbraucher - ähnlich wie es z.B. beim Hackfleisch eine unkontrollierbare Mischung von Haltungsstufen zulässt. Und eine wirksame Kontrolle ist ungeklärt. „Da muss dringend nachgebessert werden,“ fordert Martin Schulz.

... sondern langfristig verlässliche Tierwohlprämien

Der Einstieg in langfristige Tierwohlprämien sind der ökonomische Dreh- und Angelpunkt, wenn der dringend notwendige Umbau gelingen soll. Denn ohne einen entsprechenden Anreiz ist es für Landwirte unsinnig und perspektivlos zu investieren und mehr Tierwohl umzusetzen. Und dafür muss ein klarer und verlässlicher Zeitplan aufgestellt und zugesichert werden. Sonst geschieht der aus Klima- und Umweltschutzgründen sinnvolle Abbau der Schweinehaltung, so Grethe, wie zurzeit „mit der Abrissbirne und trifft oft gerade diejenigen, die bereit sind, einen Umbau zu deutlich mehr Tierwohl zu leisten.“

Der Regierungsbeschluss einer Förderung für laufende Tierwohlkosten (1 Mrd.€ in den nächsten vier Jahren) ist für viele zivilgesellschaftliche Verbände aus der Borchert-Kommission eine „hinreichend klare Finanzierungsperspektive“, wobei die (noch nicht beschlossene) 10-jährige Vertragslaufzeit „unterste Kante“ ist. Nach ihrer Aussage führen die bisherigen Verzögerungen dazu, dass die bereits zugesagten Finanzmittel bis zum Ende der Legislaturperiode ausreichen. Die für 2023 gedachten Mittel werden angesichts des sich verzögerndes politischen Abstimmungsprozesses und der bau- und genehmigungsrechtlichen Anforderungen kaum ausgeschöpft werden. In dieser Anfangsphase der Umsetzung des Umbaus werden wohl nur wenige Betriebe in höhere Tierwohlstufen 3 (Frischluft), 4 (Auslauf) und 5 (Bio) mit Prämien zu finanzieren sein. Eine hohe Marktabdeckung bleibt Zukunftsmusik.

Zusammenfassend meint der Beobachter zum Haltungskennzeichnungsgesetz, dass die Regierung wegen des wenig ambitionierten Tierwohls, der mangelhaften Verbrauchertransparenz und der handwerklichen Unzulänglichkeiten kein Ruhmesblatt vorgelegt hat und vom Umbau der Tierhaltung meilenweit entfernt ist. Die Kritiker müssen deswegen aber nicht gleich verzweifeln. Die entscheidende Phase der politischen Beschlüsse kommt noch mit der Finanzierung und der Förderung des Umbauprozesses. Dann wird sich entscheiden, ob die Regierung mehr als warme Worte bietet und die Nutztierhaltung fit für die Zukunft machen kann.

18.01.2023
Von: Hugo Gödde

Der AbL-Vorsitzende Martin Schulz in der Anhörung des Bundestag-Agrarausschusses zur Tierhaltungskennzeichnung. Bildquelle: Bundestag/Lifestream screenshot