Tierwohlprämien der Dreh- und Angelpunkt, nicht die Kennzeichnung

Borchert-Kommission will den Wandel der Tierhaltung (mit)gestalten

Zur Diskussion um den Umbau der Tierhaltung hat jetzt erneut das Kompetenznetzwerk Nutztierhaltung („Borchert-Kommission“) Stellung bezogen: „Die Bundesregierung hat in den letzten Monaten mehrere Gesetzesvorhaben zur Nutztierhaltung eingeleitet. Das Kompetenznetzwerk begrüßt, dass die Bundesregierung hier aktiv geworden ist. Allerdings sind die bisher vorgeschlagenen Maßnahmen in ihrer jeweiligen Ausgestaltung und im Zusammenwirken nicht in der Lage, den Umbau des gesamten Sektors zu bewerkstelligen.“ Man kritisiert, dass wichtige Ziele der Bundesregierung nicht erreicht werden, „wenn die Politik die Transformation des Sektors nicht langfristig und umfassend gestaltet, sondern sich vor allem auf die Weiterentwicklung von Ordnungsrecht und Kennzeichnung beschränkt“.

Nutztierhaltung der Zukunft?

Im einzelnen fehle ein klar definiertes Tierwohlziel. Das sei aber unabdingbar, wenn man den Großteil der Verbraucherschaft gewinnen will, die ja – das ist ja der Ausgangspunkt der gesamten Diskussion – mehr Tierwohl wünsche. Dieses Ziel der Markttransparenz und Glaubwürdigkeit ist die Grundlage des Umbaus und Ansatzpunkt des Gesetzes zur Tierhaltungskennzeichnung. Denn ein Umbau der Ställe für mehr Tierwohl ist nur sinnvoll, wenn nachher auch das Fleisch zu einem angemessenen Preis abgenommen wird. „Ein Großteil der Verbraucher orientiert sich beim Einkauf von Lebensmitteln vorrangig am Preis. Viele Verbraucher sind zur Zahlung eines (allerdings nur kleinen) Aufpreises für ein höheres Tierwohl bereit, und eine kleine Gruppe von Verbrauchern zahlt hohe Preisaufschläge und erhält dafür wesentlich höhere Tierwohlstandards. Der Nutztiersektor hat entsprechende Marktsegmente entwickelt. Eine Konzentration auf Kennzeichnung und Ordnungsrecht wird hieran im Grundsatz nichts ändern, sondern allenfalls die Anteile der Marktsegmente ein wenig verschieben.“ Dafür, so Martin Schulz, AbL-Vorsitzender und Mitglied der Kommisssion, brauche man kein handwerklich unausgereiftes Kennzeichnungsgesetz. Ohne Einbeziehung der Sauen/Ferkel, klarerer Tierwohlstandards und höherer Verbraucherglaubwürdigkeit (Kontrolle, Mischung usw.) reiche eine verbesserte Kennzeichnung des Handels.

Für die Kommission lautet die Kernfrage einer politischen Nutztierstrategie deshalb: „Will sich die deutsche Bevölkerung dauerhaft mit der Koexistenz eines (relativ kleinen) Tierwohl-Marktsegments (inklusive Biofleisch) und eines (relativ großen) Standard-Marktsegments, welches durch den internationalen Kostendruck und das preisorientierte Kaufverhalten der Verbraucher geprägt ist, zufriedengeben? Das Kompetenznetzwerk ist der Auffassung, dass die gesamte Nutztierhaltung schrittweise auf ein erhöhtes Tierwohlniveau geführt werden sollte.“

Landwirte entscheidend unterstützen

Entscheidend für den Umbau sind aber nicht nur die Käufer, sondern auch die Erzeuger. Die Kommission: „Klarheit in dieser Frage benötigen insbesondere jene Landwirtinnen und Landwirte, die mit ihren Investitionen von heute die Tierhaltung von morgen schaffen sollen. Die gesellschaftlich erwünschten Haltungssysteme entstehen nicht von selbst, sondern setzen voraus, dass viele landwirtschaftliche Betriebe Investitionen in Millionenhöhe tätigen. Wenn ein Betrieb in einen Tierwohlstall investiert, legt er sich für zwei oder drei Jahrzehnte auf ein Haltungssystem fest, dessen Produktionskosten deutlich über dem international maßgeblichen Kostenniveau liegen.

Manche Landwirte tun das bereits jetzt, weil sie auf hohe Preise in einer kleinen Marktnische setzen. Diese Rechnung geht auf, solange das Marktsegment klein bleibt und entsprechend hohe Zahlungsbereitschaft mobilisiert werden kann. Wenn unsere Gesellschaft aber den gesamten Sektor auf ein hohes Tierwohlniveau bringen möchte und die Erzeugung von Tier­wohlprodukten somit aus der bisherigen Marktnische herausgeführt wird, werden sich hohe Preisaufschläge für Tierwohl im Markt nicht länger durchsetzen lassen. Ein Wandel in diesem Ausmaß wird nur zustande kommen, wenn der Staat den umstellungswilligen Landwirten ein hinreichendes Maß an finanzieller Unterstützung und Planungssicherheit bietet.“

Tierwohlprämien sind der Schlüssel

Für die Kommission steht fest, dass die unzureichende und verbesserungswürdige Kennzeichnung des Gesetzentwurfes keine gute Basis ist, aber auch kein Ende des Prozesses sein muss. Entscheidend ist die Finanzierung. „Die Tierwohlprämie (ist) der Dreh- und Angelpunkt für eine gelingende Transformation des Nutztiersektors.“ Auf die bisherigen Vorschläge des BMEL (65% Ausgleich der tierwohlbedingten Mehrkosten, Deckelung der Prämien bei 3000 Mastschweinen bzw. 200 Sauen, 10 Jahre Vertragslaufzeit), so die Überzeugung der Experten, werde sich ein Großteil der Schweinehalter nicht einlassen. Sie schlagen deshalb vor: „

  • Den Landwirten sollten rechtssichere Verträge über einen Förderzeitraum von 20 Jahren (analog zum EEG) angeboten werden, damit sie ausreichende Planungssicherheit für die betriebswirtschaftlich erforderliche Abschreibungszeit erhalten. EU-rechtlich mögliche Vertragslaufzeiten sind hierfür auszuschöpfen.
  • Der Förderbetrag sollte zunächst auf 80-90 Prozent der Mehrkosten festgesetzt werden. Die Verträge sollten eine Revisionsklausel enthalten, die bei einer relevanten Veränderung der Rahmenbedingungen zu einer Anhebung oder Senkung des Förderbetrags führen kann.
  • Sofern die Politik mit strikten Größenbegrenzungen arbeiten möchte, sollten die Werte so festgesetzt werden, dass der Großteil der Schweinebestände in das Programm einbezogen werden kann. Alternativ ist zu erwägen, anstelle einer strikten Größenbegrenzung eine größenabhängige Degression der Zahlungen vorzunehmen. Eine strikte Deckelung des Förderbetrags ist prinzipiell fragwürdig, weil auch größere Betriebe sehr gut in der Lage sind, ein hohes Tierwohlniveau zu gewährleisten, und weil solche Regelungen zumeist durch formale Betriebsteilungen umgangen werden.
  • Den teilnehmenden Betrieben sollte zugestanden werden, dass sie die Anforderungen hinsichtlich intakter Ringelschwänze schrittweise erfüllen. Die Einhaltung hoher Ringel­schwanz-Anforderungen ist nicht nur eine Frage des Haltungssystems, sondern erfordert auch Anpassungen und Lernschritte in den Vorstufen der Mast (Sauenhaltung und Ferkel­aufzucht) sowie anderen Bereichen (Management, Fütterung, Genetik).“

Zugleich äußern sie ihr Unverständnis, warum die Investitionsförderung überhaupt ins Bundesprogramm aufgenommen wird und nicht in der GAK bleibt. Denn dadurch werde die Finanzmasse für Tierwohl stark begrenzt.

„Die AbL begrüßt insbesondere den Vorschlag, die Tierwohlprämien nach agrarstrukturellen Gesichtspunkten degressiv zu gestalten. Ebenso stellt sich die AbL hinter das Kompetenznetzwerk im Hinblick auf die Wichtigkeit langer Vertragslaufzeiten, damit die Bäuerinnen und Bauern ihre Ställe auch planungssicher umbauen können“, erklärt Martin Schulz.

Nachbesserungen und aktueller Finanzierungsbedarf

Neben detailierten Verbesserungsvorschlägen zur Kennzeichnung (Kontrolle, Mischung, Importware usw.) werden in der aktuellen Stellungnahme der „Borchert-Kommission“ auch noch einzelne wichtige Nachbesserungen zum Entwurf für baurechtliche Änderungen angemahnt. In der Gesamtbewertung stellt die Kommission erneut die Grundsatzfrage: „Wohin soll die Reise für den deutschen Nutztiersektor gehen, und wer sitzt am Steuer und übernimmt die Verantwortung für einen verlässlichen Zukunftskurs?“

Zudem verweisen die Autoren darauf, „um zu einer Nutztierstrategie aus einem Guss zu gelangen, bedarf es außerdem einer engeren Abstimmung mit den bereits bestehenden Tierwohlinitiativen. In der Initiative Tierwohl, aber auch in verschiedenen Labelprogrammen haben sich die Wirtschaftsbeteiligten entlang der Lebensmittelkette zusammengeschlossen, um unterschiedlich hohe Tierwohlanforderungen vom Hof bis zur Ladentheke umzusetzen.“

Aus den politischen Verzögerungen der letzten Jahre ziehen sie aber auch einen Vorteil. „Die inzwischen bereits zugesagten Finanzmittel werden bis zum Ende der laufenden Legislaturperiode ausreichen, um die Tierwohlprämie für schweinehaltende Betriebe der Stufen Außenklima („Frischluft“), Auslauf und Bio zu finanzieren, denn aufgrund der genehmigungsrechtlichen Herausforderungen werden in der Anfangsphase der Umsetzung der Nutztierstrategie nur wenige Betriebe neu in die höchsten Tierwohlklassen aufsteigen. Wichtig ist, jetzt die nächsten Schritte entlang einer überzeugenden Transformationsstrategie zu gehen, die entsprechenden Politikmaßnahmen für die Schweinehaltung konkret umzusetzen und dann auch die anderen Nutztierarten zügig einzubeziehen.“
Für eine solche umfassende Transformation des Nutztiersektors steht das Kompetenznetzwerk nach wie vor bereit, heißt es abschließend.

25.01.2023
Von: hg

Keine Zeit zum Ausruhen beim Umbau der Tierhaltung. Foto: FebL