Borchert-Kommission „schmeißt“ nicht hin, stellt aber Forderungen

Was war im Vorfeld der letzten Sitzungen der Borchert-Kommission, offiziell heißt sie ja „Kompetenznetzwerk Nutztierhaltung“, nicht alles spekuliert worden. Die Meinungen der Teilnehmer gingen weit auseinander. Borchert „schmeißt hin“, hieß es bei den einen. Die Mitglieder sind immer wieder vom Ministerium enttäuscht worden und wollen nicht als Alibi benutzt werden, meinten andere. Der Charme der Empfehlungen der Kommission vor drei Jahren sei das Gesamtkonzept und davon seien die Entwürfe des Ministeriums weit entfernt. Außerdem werde zwar viel über das „Borchert-Konzept“ geredet, aber die Verordnungen und Gesetzentwürfe würden die gemeinsamen und nach einem intensiven Diskussionsprozess abgestimmten Vorstellungen der Teilnehmer aus Agrar- und Umweltverbänden, aus Wissenschaft und Vertretern der Bundesländer nicht widerspiegeln. Manche wollten auch ein Statement setzen und aus Enttäuschung über die Missachtung aussteigen und damit der Opposition und der regierungsinternen Opposition (FDP) das Wort reden. Einzelne (Bios?) sahen ihre Interessen auch in den aktuellen Regierungsentwürfen ausreichend vertreten und wollen nur noch umsetzen, d.h. das (wenige) Geld verteilen.

Beim Ministerium ist keine besondere Anerkennung der Arbeit der Kommission zu spüren. Minister Özdemir lobt zwar öffentlich die Arbeit, verkündet das Interesse an einer Zusammenarbeit, aber eine konkrete Aufgabenstellung und eine klare Perspektive lässt er vermissen. „Ankündigungsminister“ nennt ihn die Opposition. Ein „guter Kommunikator und strahlender Verkäufer selbst unzureichender Ergebnisse“ gestehen selbst Kritiker zu. „Der Minister kann dir altes Heu für frisches Gras verkaufen,“ konstatierte ein Teilnehmer.

Erste Schritte des Ministeriums anerkannt

Immerhin hat das Ministerium in den letzten Monaten geliefert: Tierhaltungskennzeichengesetz (THKG) in der EU-Notifizierung, Baurecht geeinigt – beides ist allein Bundessache und steht Ende des Monats im Bundestag zur Abstimmung. Immissionsrecht (Länderzustimmung) auf dem Wege, Bundesprogramm zur Förderung zur Genehmigung in Brüssel eingereicht.

Ein Instrumentenkasten nennt es die „grüne“ Fraktion. Für Stückwerk ohne Gesamtkonzept halten das die vielstimmigen Kritiker. Und tatsächlich gibt es eine ganze Reihe von Unstimmigkeiten zwischen den einzelnen Entwürfen, zwischen den Zielsetzungen der Kennzeichnung (nur Transparenz für den Verbraucher ohne Tierwohlambitionen) und der Finanzierung (Tierwohl als zwingende Anforderung), zwischen der Öffnung des landwirtschaftlichen Privilegs im Baurecht und der ungeklärten Finanzierung.

In ihrer Sitzung vom 2.Juni hat auch die Kommission „diese ersten Schritte in die richtige Richtung“ anerkannt. In einem Statement begründet sie ihre Unzufriedenheit mit der Umsetzung.
„Allerdings schafft die gegenwärtige Ausgestaltung für den Großteil der Landwirtschaft keine ausreichende Grundlage für einen Umbau. Diesbezüglich erforderlich sind
1. die Ausgestaltung der laufenden Tierwohlprämien im Rahmen langfristiger und rechtssicherer Verträge und
2. eine ausreichende Finanzausstattung für die Umstellung einer substantiellen Anzahl von ökologischen und konventionellen Betrieben.“

Klarheit im Haushalt 2024, sonst Ausstieg

Vor diesem Hintergrund setzt das Kompetenznetzwerk (KNW) „seine Arbeit fort und tritt weiterhin mit Nachdruck dafür ein, in den kommenden Monaten die finanziellen Voraussetzungen für einen Einstieg in den Umbau der Nutztierhaltung zu schaffen. Klarheit muss der Haushalt 2024 bringen. Sollte es bei der bisher unzulänglichen Finanzausstattung und der fehlenden Verlässlichkeit der Zahlungen bleiben, beendet das KNW seine Arbeit.“

Minister Özdemir beeilte sich, die Entscheidung zu begrüßen. „Ich freue mich, dass das KNW Nutztierhaltung seine wichtige Arbeit unter der Leitung von Jochen Borchert fortsetzen will.“ Die Bundesregierung habe den Umbau „mit voller Kraft angepackt“, zugleich räumte er ein, dass die bisher mobilisierte Milliarde Euro für diese Legislaturperiode nicht ausreiche.

Die Kommission wiederholte ihre Forderung, „die laufenden Tierwohlprämien für die Betriebe langfristig verlässlich auszugestalten und mit ausreichenden Verpflichtungsermächtigungen zu hinterlegen. Das ist jedoch bisher nicht der Fall.“ Bisher sieht die Förderrichtlinie im Bundesprogramm jährlich einen Ausgleich der laufenden Mehraufwendungen für höhere Tierwohlstandards vor. Diese Förderung kann für die Dauer des Programms (10 Jahre bzw. bis Ende 2033) erfolgen.

Langfristige verlässliche Vereinbarungen erforderlich

Diese Konstruktion sei nicht geeignet, so die Kommission, eine größere Zahl von Betrieben zum Umbau anzureizen. Denn es werden keine langfristigen Verträge mit den Landwirten abgeschlossen, sondern jährliche Förderbescheide unter dem Vorbehalt der „Verfügbarkeit der jeweils erforderlichen Haushaltsmittel.“ Das bedeutet, dass die Betriebe jährlich einen Antrag stellen müssen, sie aber nicht wissen, wie hoch die Prämie ist und ob sie im folgenden Jahr wieder gefördert werden. So aber haben Betriebe nicht einmal eine begrenzte Planungssicherheit, seine höheren Leistungen ausgeglichen zu bekommen. Hinzu kommt, dass die Dauer des Programms über die Legislaturperiode hinaus nicht gesichert ist. Verpflichtungsermächtigungen ab 2027 (man spricht von 25 Mio.€ jährlich) sind weder hinreichend noch gesetzlich vereinbart und ab 2031 gibt es bisher nur schöne Worte. Da bleibt die Förderdauer von 10 Jahren nur ein Lippenbekenntnis.

Die Finanzierung des Programms bzw. die Förderung der Betriebe ist und bleibt der Schlüssel für den Umbau. Die geplante staatliche Haltungskennzeichnung bringt kurzfristig gar nichts. Damit wird im Wesentlichen die vorhandene freiwillige Kennzeichnung des Handels verbindlich gemacht. Aber mit den jetzt verfügbaren Mitteln kann man nur jährliche Zahlungen an eine relativ kleine Gruppe von Betrieben leisten, die heute schon die höheren Tierwohlstandards erfüllen. „Der benötigte Impuls für eine Umgestaltung des deutschen Nutztiersektors bliebe damit aus“, resümiert die Kommission.

Angesichts der aktuellen drastischen Veränderungen des Schweinesektors und des Verlangens nach Perspektiven für die gesamte Branche würde es dann, so analysieren Marktkenner, nur Verlierer geben.

Ausgestaltung für Sauen- und Ferkelhaltung kommt

Als nächstes soll seitens des Ministeriums kurzfristig die Haltungskennzeichnung auch für Zuchteber, Jungsauen, Muttersauen und Ferkel definiert werden. Ein entsprechendes zeitnahes Gesprächsangebot an die Branche und die Verbände ist ausgesprochen. Das war mal Aufgabe der Borchert-Kommission. Es geht weiter.
Hugo Gödde

07.06.2023
Von: Hugo Gödde

Am 2. Juni hat die Borchert-Kommission in einem Statement, hier die erste Seite, die Bedingungen für eine Weiterarbeit benannt.