Umbau der Tierhaltung - nächste Schritte umgehend einleiten

Der Bundestag hat mit der Mehrheit der Koalitionsfraktionen SPD, Bündnis 90/Die Grünen und FDP gegen die Stimmen der Oppositionsfraktionen CDU/CSU, AfD und Die Linke die Einführung einer verpflichtenden Kennzeichnung für die Schweinehaltung beschlossen – vorerst allerdings nur bezogen auf frisches, unverarbeitetes Schweinefleisch. Schrittweise sollen weitere Bereiche wie Gastronomie und Außer-Haus-Verpflegung sowie Tierarten wie Rinder und Geflügel dazukommen. Vorgesehen ist ein Modell mit fünf Haltungskategorien während der Mast: Stall, Stall und Platz, Frischluftstall, Auslauf/Freiland sowie Bio. Ebenso beschlossen wurden Änderungen im Baugesetzbuch zur Erleichterung von Stallum- und neubauten.

Die Arbeitsgemeinschaft bäuerlich Landwirtschaft (AbL) zeigt sich erfreut darüber, dass sich der Bundestag zum Umbau der Tierhaltung bekannt hat, mahnt jedoch „die dringend notwendigen nächsten Schritte umgehend einzuleiten“. Das Tierhaltungskennzeichnungsgesetz ist für die Interessengemeinschaft der Schweinehalter Deutschlands (ISN) „ein wichtiger Schritt, denn nach nunmehr über einer Dekade politischer Diskussion über den Umbau der Nutztierhaltung kommt endlich Bewegung in die Sache“, sie fordert jedoch auch „zügig weitere Schritte“. Für den Bauernverband ist es „ein erster, wenn auch zu kleiner Schritt“, deren Lücken dringend geschlossen werden müssen. Scharfe Kritik kommt von Tierschutzorganisationen. Sie sehen „tierschutzwidrige Haltungssysteme mit „Stall“ und „Stall+Platz“ gesiegelt und damit staatlicherseits dauerhaft legitimiert“ und sprechen von „Verbrauchertäuschung“.

Anlässlich der Beschlüsse im Bundestag erklärt Bundesminister Cem Özdemir: "Heute ist ein guter Tag für die tierhaltenden Betriebe in unserem Land und für die Verbraucherinnen und Verbraucher. Mit der verpflichtenden Tierhaltungskennzeichnung und den Erleichterungen für den Stallumbau gehen wir heute gleich zwei ganz zentrale Bausteine an, die für eine zukunftsfeste Tierhaltung notwendig sind. Damit ist der Umbau der Tierhaltung nach Jahren der Krise und vielen Anläufen bei Kennzeichnungen endlich eingeleitet. Das ist ein großer und gemeinsamer Erfolg der Koalition für unsere Landwirtschaft. Weniger Tiere besser halten und eine gute wirtschaftliche Perspektive für unsere Landwirtinne und Landwirte, darum geht es uns.“

Die Kennzeichnung jetzt zügig ausbauen und die Finanzierung stärken, das fordert die AbL. AbL-Vorsitzender Martin Schulz sagt: „Es ist erfreulich, dass sich der Bundestag heute zum Umbau der Tierhaltung bekannt hat. Jetzt sind BMEL und die Ampelkoalition gefordert, die dringend notwendigen nächsten Schritte umgehend einzuleiten. Das heißt, die Tierhaltungskennzeichnung der Schweinemast ist auf etwa Gastronomie und außer Haus schnellsten auszuweiten. Das Problem, dass die Kennzeichnung nur für das halbe Schweineleben gilt, ist zu beseitigen und die Sauenhaltung muss als nächstes und sehr zeitnah folgen. Es ist auch wichtig, den Umbau der Tierhaltung auf alle Tierarten schnellst möglichst auszudehnen. Die AbL begrüßt, dass mit dem Bundesprogramm die Finanzierung zunächst angeschoben wird, fordert aber die FDP auf, ihre Blockadehaltung zu beenden und die Finanzierung angelehnt an die Pläne der sogenannten Borchert-Kommission zu unterstützen.“

Noch erheblichen Ergänzungs-, Änderungs- und vor allem Abstimmungsbedarf zum Tierhaltungskennzeichnungsgesetz und zum Baugesetzbuch sieht die ISN. „Trotzdem ist es nun wichtig, dass eine Entscheidung zur Einführung einer verpflichtenden Tierhaltungskennzeichnung gefallen ist. Zwar soll das Gesetz in erster Linie Transparenz für die Verbraucher beim Einkauf von Fleisch bringen. Aber jedem sollte klar sein, dass diese Form der Klassifizierung von Haltungssystemen natürlich gleichzeitig die zentrale Richtschnur für die Bauern bei der zukünftigen Weiterentwicklung Ihrer Ställe ist. Insofern ist es ein wichtiger Schritt, denn nach nunmehr über einer Dekade politischer Diskussion über den Umbau der Nutztierhaltung kommt endlich Bewegung in die Sache. Die Tierhalter brauchen endlich Planungssicherheit und Perspektive, damit sie wissen, wo die Reise hingeht. Zu groß ist sonst das Risiko einer Fehlinvestition, die für einen Familienbetrieb schnell das wirtschaftliche Aus bedeuten kann“, ordnet ISN-Geschäftsführer Dr. Torsten Staack die Zustimmung des Bundestages zum Tierhaltungskennzeichnungsgesetz und zum Baugesetzbuch ein. Entscheidend sei daher jetzt, dass von der Ampelkoalition zügig weitere Schritte eingeleitet werden, damit die fachlichen Kritikpunkte beseitigt, zentrale Fragestellungen (wie die Finanzierung des Umbaus) geklärt und bestehende Regelungslücken (z.B. Einbindung weiterer Absatzkanäle) geschlossen werden. „Wir erwarten zudem, dass gemeinsam mit der Wirtschaft an der Umsetzbarkeit in der Praxis gearbeitet wird. Die Änderung des Baugesetzbuches führt nicht zur Beseitigung der Stall(um)baubremse, denn dafür müssen zunächst die weiteren Hürden ausgeräumt werden. Nur so ergibt sich ein tragfähiges Gesamtkonzept. Und nur dann können sich die Verbraucher beim Einkauf tatsächlich für Fleisch der verschiedenen Haltungsstufen entscheiden, welches dann auch noch zukünftig aus heimischer Produktion stammt“, so die ISN.

Scharfe Kritik von Tierschützern

Die Zustimmung der Ampelfraktionen zum neuen Tierhaltungskennzeichnungsgesetz ist für alle Tierschützerinnen und Tierschützer, vor allem aber für die Tiere in der Landwirtschaft eine große Enttäuschung, kommentiert Thomas Schröder, Präsident des Deutschen Tierschutzbundes: „Das heute beschlossene Tierhaltungskennzeichnungsgesetz verhilft keinem einzigen Tier zu einem besseren Leben. Wer das Gegenteil suggeriert, der täuscht die Öffentlichkeit, im schlimmsten Fall sogar bewusst. Mit dem Gesetz werden eindeutig tierschutzwidrige Haltungssysteme mit „Stall“ und „Stall+Platz“ gesiegelt und damit staatlicherseits dauerhaft legitimiert. Wir erwarten, dass bei weiteren Entscheidungen der Bundesregierung der Tierschutz gestärkt und nicht weiter geschwächt wird. Besonders die FDP muss ihre Blockadepolitik gegen besseres Ordnungsrecht und mehr Anreizsysteme aufgeben.“

Eine aktuelle YouGov-Umfrage im Auftrag des Deutschen Tierschutzbundes belege, dass die Verbraucherinnen und Verbraucher in die Irre geführt werden. Danach gehen rund 40 Prozent der Befragten davon aus, dass Schweine in der Haltungsstufe „Stall“ regelmäßig ausgewechseltes Stroh und Einstreu bekommen. Und rund ein Drittel ist der Auffassung, dass die Kennzeichnung nicht nur die Haltung, sondern auch Transport, Schlachtung und Zucht einbeziehe. „Schön wäre es. Hier liegt noch gewaltige Aufklärungsarbeit vor der Bundesregierung“, erklärt Schröder.

Wenn die Bekenntnisse des Bundesministers Cem Özdemir, wenn die Versprechen der Ampel-Regierung im Koalitionsvertrag etwas gelten sollen, dann muss nach Ansicht des Tierschutzbundes jetzt eiligst nachgearbeitet werden. „Das Tierschutzgesetz muss grundlegend reformiert werden, die Lücken im Tierschutzrecht müssen aufgearbeitet und die Stufen „Stall“ und „Stall+Platz“ zum Auslaufmodell erklärt werden. Der Bundesminister, die Bundesregierung und der Deutsche Bundestag müssen zügig und mit klarer Tierschutzhandschrift nachlegen, sonst hat die Tierhaltungskennzeichnung keinerlei Wert und endet als Verbrauchertäuschung“, so der Tierschutzbund-Präsident.

Enttäuscht über ein „fehlleitendes staatliches Haltungskennzeichen“ zeigt sich Provieh. „Der Bundestag hat heute endgültig eine große Chance für mehr Tierschutz vertan und sich für Verbrauchertäuschung und gegen Transparenz über die Haltungsbedingungen von Nutztieren entschieden”, kommentiert Anne Hamester, Leitung Facharbeit und Politik bei PROVIEH. “Es ist mehr als bedauerlich, dass in einem staatlichen Haltungskennzeichen nun Haltungsformen mit Bezeichnungen wie „Stall+Platz“ ohne wirklichen Platz und „Frischluftstall“ ohne wirkliche Frischluft sowie „Auslauf/Weide“ und „Bio“ ohne Freilandhaltung über die tatsächlichen Verhältnisse hinwegtäuschen.“

Die Haltungsformen „Stall“, „Stall+Platz“ und „Frischluftstall“ stellen nacch Ansicht von Provieh aufgrund von Enge, fehlendem Zugang zu offenen Stallseiten, gesundheitsschädlichen Vollspaltenböden sowie fehlenden Funktionsbereichen und Beschäftigungsmöglichkeiten tierschutzwidrige Haltungsformen von Schweinen dar. Während Länder wie Österreich solche Haltungsformen verbieten, festige Deutschland diese Haltungssysteme langfristig mit dem jetzt beschlossenen Gesetz.

Provieh fordert von der Bundesregierung zumindest eine umfassende und klar bewertende Aufklärungskampagne. Diese müsse Verbraucherinnen und Verbrauchern eindeutig übersetzen, welche Haltungsformen im staatlichen Kennzeichen aus wissenschaftlicher Sicht als tierschutzkonforme und Tierwohl-förderliche Haltungssysteme zu bewerten sind. „Der Bundestag hat heute eine völlig fehlgeleitete staatliche Haltungskennzeichnung beschlossen. Das ist eine große Enttäuschung für Tierschützerinnen und Tierschützer“, so Provieh.

Der Gesetzentwurf zum Baurecht sieht laut BMEL Folgendes vor:

  • Bestehende, nach heutigem Recht nicht mehr privilegierte Tierhaltungsanlagen im Außenbereich dürfen umgebaut werden, wenn der Umbau dem Wechsel zu den Haltungsformen Frischluft, Auslauf oder Bio im Sinne des Tierhaltungskennzeichnungsgesetzes dient.
  • Anlagen sollen auch in dem Umfang vergrößert werden dürfen, der notwendig ist, um den Tierbestand nach dem Umbau in der neuen Haltungsform gleich groß halten zu können.
  • Statt eines reinen Umbaus soll es dabei auch möglich sein, das Gebäude abzutragen und ein neues Gebäude, das der angestrebten Haltungsform entspricht, zu errichten.
  • Auch ein Wechsel der Tierart soll künftig möglich sein, wenn ins Tierhaltungskennzeichnungsgesetz Festlegungen zu anderen Tierarten Eingang finden.
21.06.2023
Von: FebL/PM

Der Bundestag hat Schritte zum Umbau der Tierhaltung beschlossen. Foto: FebL