Die Borchert-Kommission beendet ihre Arbeit

Das Kompetenznetzwerk Nutztierhaltung, die nach ihrem Vorsitzenden benannte Borchert-Kommission, hat ihre Arbeit eingestellt. Die politischen Voraussetzungen für eine erfolgreiche Umsetzung der von ihm erarbeiteten Empfehlungen seien weder in der vorherigen Legislaturperiode noch in den ersten zwei Jahren der laufenden Legislaturperiode geschaffen worden. Deshalb beende das Kompetenznetzwerk seine Arbeit. Der Vorsitzende des Netzwerks Jochen Borchert zeigt sich im Interview mit Top Agrar enttäuscht darüber, dass die Politik den vorgeschlagenen Weg nicht gegangen ist und übt deutliche Kritik an der Ampel. Bundeslandwirtschaftsminister Özdemir bedankt sich bei dem Netzwerk und insbesondere auch bei dessen Vorsitzendem Jochen Borchert für die erfolgreiche und zukunftsweisende Arbeit.

Im Februar 2020 hat das Kompetenznetzwerk ein Konzept respektive Empfehlungen für den Umbau der gesamten deutschen Nutztierhaltung zu einem deutlich höheren Tierwohlniveau vorgelegt, ein „Durchbruch“, wie die Kommission das in ihrer aktuellen Stellungnahme angesichts der gemeinsamen Positionierung unterschiedlichster Akteure in der Kommission nennt. Die Empfehlungen in dem Konzept verlangen den tierhaltenden Betrieben in Deutschland tiefgreifende und mit hohen investiven und laufenden Kosten verbundene Veränderungen ab, die über die vorgeschlagenen politischen Maßnahmen eine Umsetzung in die breite Praxis ermöglichen.

Das Kompetenznetzwerk erkennt in seiner aktuellen Stellungnahme an, dass in den letzten Monaten erste Schritte in Bezug auf Änderungen im Bau- und Umweltrecht sowie die Kennzeichnung unternommen wurden und die Einleitung eines Prozesses zur Einführung einer Tierwohlprämie erfolgt ist. Allerdings schaffe die gegenwärtige Ausgestaltung für den Großteil der Landwirtschaft keine hinreichende Grundlage für einen Umbau. „Erforderlich wären 1) die Ausgestaltung der laufenden Tierwohlprämien im Rahmen langfristiger und rechtssicherer Verträge und 2) eine ausreichende Finanzausstattung für die Umstellung einer jährlich steigenden substantiellen Anzahl von ökologischen und konventionellen Betrieben. Die politischen Voraussetzungen für eine erfolgreiche Umsetzung der Empfehlungen des Kompetenznetzwerks wurden somit weder in der vorherigen Legislaturperiode noch in den ersten zwei Jahren der laufenden Legislaturperiode geschaffen. Auch der Entwurf des Bundeshaushalts 2024 lässt den notwendigen Durchbruch nicht erkennen. Das Kompetenznetzwerk beendet deshalb seine Arbeit“, heißt es in der Stellungnahme.

Dabei habe sich die Idee, ein Konzept zur Transformation eines wichtigen Teils der deutschen Landwirtschaft durch eine Multi-Stakeholder-Kommission erarbeiten zu lassen, bewährt. „Das Kompetenznetzwerk hält eine deutliche Anhebung des Tierwohlniveaus in der gesamten deutschen Nutztierhaltung weiterhin für machbar und dringend erforderlich. Es ist – auch unter erschwerten geopolitischen und wirtschaftlichen Rahmenbedingungen – eine Frage des politischen Gestaltungswillens, entsprechende Entscheidungen zu treffen und umzusetzen“, schreibt das Kompetenznetzwerk in der jetzigen Stellungnahme, in der das Ende seiner Arbeit verkündet wird.

Borchert: Ein ganzer Wirtschaftszweig wird zu Grunde gerichtet

Auch nach einer Nacht drüber schlafen hält der Kompetenznetzwerk-Vorsitzende im Interview mit Top Agrar die Entscheidung zur Auflösung des Netzwerks für richtig. „Die Entscheidung ist nach wie vor richtig, zumal wir über diesen Schritt zuvor lange in der Kommission diskutiert und alle Argumente abgewogen haben. Am Ende muss man aber feststellen, dass die Weiterarbeit keinen Sinn mehr macht. Denn im Haushaltsplan 2024 sind keine Gelder für die weitere Transformation der Nutztierhaltung vorgesehen. Es wäre vergebene Liebesmüh, Vorschläge zu erarbeiten, die am Ende mangels finanzieller Unterstützung nicht umgesetzt werden können.“, so Borchert. Stolz sei er darauf, dass Vertreter unterschiedlichster Interessengruppen Wege aufgezeigt haben, wie es gehen kann. Umso enttäuschter sei er, „dass die Bundesregierung nicht zugegriffen hat und unsere Empfehlungen jetzt in der Schublade verschwinden.“ Niemand wisse, welchen Kurs Cem Özdemir jetzt einschlagen werde und auf welche Ratgeber er künftig höre. „Fakt ist, dass deutsche Landwirte auch in Zukunft nicht investieren können, weil die Rahmenbedingungen und die Perspektiven fehlen. Hier wird ein ganzer Wirtschaftszweig zu Grunde gerichtet. Ich warne dringend davor, die Landwirte weiter im Regen stehen zu lassen“, mahnt Borchert dringendes Handeln der Politik an.

„Zuallererst muss die Bundesregierung Perspektiven für die deutschen Tierhalter schaffen. In Berlin müssen doch alle Warnglocken klingen, wenn selbst junge Landwirte, die ihre Zukunft noch vor sich haben, reihenweise bereits genehmigte Bauanträge zurückziehen“, erklärt Borchert und sieht insbesondere für die Sauenhalter die Situation katastrophal. „Sie müssen in den nächsten Jahren große Investitionen im Deckzentrum und Abferkelstall stemmen. Das können sie aber nur, wenn die Politik das finanziell flankiert. Wir brauchen Förderprogramme und die langfristige Übernahme der laufenden Mehrkosten. Andernfalls werden deutsche Ferkelerzeuger rote Zahlen schreiben und aussteigen“, so der Ex-Kompetenznetzwerk-Vorsitzende im Top Agrar-Interview.

Özdemir: Der Ball liegt beim Haushaltsgesetzgeber, dem Deutschen Bundestag

Anlässlich der Beendigung der Arbeit des Kompetenznetzwerks erklärt Bundeslandwirtschaftsminister Cem Özdemir: „Meinen herzlichen Dank an das gesamte Kompetenznetzwerk Nutztierhaltung und allen seinen Mitgliedern für ihre Arbeit. Ganz besonders danke ich Jochen Borchert für sein großes persönliches und erfolgreiches Engagement für die tierhaltenden Betriebe in Deutschland, aber auch für Umwelt und Gesellschaft.“ Er will, dass auch in Zukunft gutes Fleisch aus Deutschland auf den Tisch kommt. „Mit der Verabschiedung des Tierhaltungskennzeichens, mit den Änderungen im Baurecht, mit der nationalen Ausweitung der Herkunftskennzeichnung und den Leitplanken für einheitliche Auslegungen im Bereich des Immissionsschutzes sind wir schon wichtige Schritte gegangen. Und es besteht kein Zweifel daran, dass wir ohne die Arbeit der Borchert-Kommission nicht da wären, wo wir jetzt sind. Ich bin entschlossen, diesen Weg fortzusetzen und die Ziele der Borchert-Kommission Schritt für Schritt zu erreichen“, so Özdemir. Es werde bereits intensiv an der zügigen Erweiterung der Tierhaltungskennzeichnung gearbeitet – zum Beispiel auf die Gastronomie und verarbeitete Produkte.

Nach Verweis auf die bereits erfolgten und auch in der Stellungnahme des Kompetenznetzwerks genannten ersten Schritte erklärt der Minister, dass es klar sei, „dass wir für die weiteren Schritte zusätzliche Mittel brauchen und dafür werde ich mich voll einsetzen. Investitionen in die Tierhaltung und in die Landwirtschaft sind Investitionen, die sich gleich mehrfach bezahlt machen, als Investitionen in das Tierwohl, für das Klima und für die Menschen in den ländlichen Räumen. Hier liegt der Ball beim Haushaltsgesetzgeber, dem Deutschen Bundestag. Die Koalitionsfraktionen arbeiten an einer dauerhaften Finanzierung und mein Haus unterstützt das nach Kräften. Ich bin optimistisch, dass wir auch hier Wege finden, um den begonnenen Pfad für eine zukunftsfeste Tierhaltung in Deutschland weiterzugehen und würde mich freuen, wenn die Akteure des Kompetenznetzwerks auch in anderer Funktion in diesem Sinne künftig weiter wirken.“

 

23.08.2023
Von: FebL/PM

Bundeslandwirtschaftsminister Özdemir und Jochen Borchert: ein Foto aus auch nicht einfachen aber doch besseren Tagen. Aktuell gibt es nichts zu lachen. Bildquelle: BMEL/twitter