Schweinehalter haben den Preisanstieg selbst bezahlt

Marktbeobachtungen von Hugo Gödde

Und er bewegt sich doch. Seit zwei Monaten lag der Schweinepreis fest beim immerhin historischen Erzeugerpreis von 2,33 €/kg. Aber Marktkenner beschrieben das Angebot als mindestens regional sehr knapp, was eigentlich Anlass zu Steigerungen gibt und jetzt auch mit einem Rekordpreis von 2,38 €/kg durchgesetzt wurde. Die Fleischindustrie (die „rote Seite“) warnte davor, den Bogen zu überspannen und die Verbraucher:innen in dieser Inflationszeit preislich zu überfordern. Angesichts des LEH’s, der sich als Inflationsbremser und Verbraucherschützer geriere, seien höhere Preise nicht durchzusetzen. Allerdings traute sich auch kein Schlachtkonzern, mit Hauspreisen die Notierung zu unterlaufen – ein Druckmittel, das früher gern angewendet wurde. Zu stark sind die Produktionszahlen in den letzten zwei Jahren eingebrochen, so dass selbst bei diesen extremen Preisen kaum Widerstand aufkommt. Mit aktuell in Schnitt 720.000 Schlachtungen liegen die Zahlen etwa 25% unter den Werten von vor 5 bis 7 Jahren. Der Schweinepreis ist seit Corona- und Schweinepestzeiten so abgesackt, dass viele Schweinehalter die Produktion beendeten. Die übrig gebliebenen zahlten mit starken Verlusten den Verbleib am Markt.

Auch Ferkelerzeuger profitieren

In der jetzigen Boomphase müssen sie die alten Verluste erst einmal ausgleichen. Sie haben sozusagen die jetzigen guten Preise mit früheren Verlusten (und Produktionsaufgaben) selbst vorfinanziert. Die gesunkenen Futtermittelpreise (auch Energie u.a.) verbessern die Aussichten, so dass selbst harte Vollkostenrechner von befriedigenden Ergebnissen sprechen. Seit April könne man wieder Geld verdienen bzw. zurückholen.

Da die Bestandsrückgänge besonders bei der Sauenhaltung zu spüren sind, profitieren seit einigen Wochen auch die Ferkelerzeuger, die sonst immer am Ende der Wertschöpfungskette stehen. Der Ferkelpreis steigt diese Woche auf 88 €/Ferkel. Damit reagiert die Notierung nicht nur auf die knappen Tierzahlen, sondern auch auf eine Ausfransung des Marktes. Denn angesichts der knappen Ferkelversorgung wurden regional häufig erhebliche Zuschläge von teils über 10 Euro gehandelt. Das macht eine Notierung als Richtwert zunehmend überflüssig, wenn sich niemand daran hält.

Das fehlende Angebot nützt natürlich den Ferkelerzeugern, aber es ist mit vielen Hofaufgaben teuer erkauft. Jeder Branchenkenner weiß, dass vor allem Sauenhalter, wenn sie einmal ausgestiegen sind, sehr selten die Produktion wieder aufnehmen. Daher bleibt die heimische Ferkelerzeugung das Nadelöhr für die Zukunft – es sei denn, man setzt auf Importe aus Dänemark, Niederlande oder Polen. Aber die Schweinehalter dort haben reichlich eigene Umwelt- oder Tierschutzprobleme. Die Dänen haben schon abgestockt und die Holländer kämpfen mit hohen staatlichen Auflagen.

Schlachtbranche im Umbruch

Die Strukturveränderungen treffen aber nicht nur die Erzeugung, auch die Schlachtindustrie muss sich neu sortieren. Im Schlachthofranking der Interessengemeinschaft der Schweinhalter Deutschlands (ISN) zeigt die Krise deutliche Wirkungen. Insgesamt sanken die Schlachtungen in 2022 um fast 10% auf 47 Mio. Schweine – 8 Mio. weniger als im Rekordjahr 2015. Dabei ist entgegen allen Forderungen nach Regionalisierung („Jedem Kreis ein eigener Schlachthof“, so die ehem. Niedersächs. Ministerin Otte- Kinast) die Konzentration noch gewachsen. Die TOP 10 der Schweinebranche schlachten 82% der Tiere (+1%), darunter die vier Konzernriesen 64%. An der Spitze liegt unangefochten Tönnies mit 14,8 Mio. Schlachtungen (minus 7,5% zu 2021) und einem Marktanteil von 31,4%. Es folgen Westfleisch (14%) und der holländische Konzern Vion (12%) vor dem dänischen Unternehmen Danish Crown (6,4%).

Der Lebendimport ausländischer Schlachtschweine ist zwar im letzten Jahr leicht auf 1,2 Mio. angestiegen, bleibt aber weit hinter den Einfuhren von 2020 (2,3 Mio.) oder 2019 (3,3 Mio.) zurück. Von einem in Teilen der Branche behaupteten hohen ausländischen Marktdruck kann hier keine Rede sein.

Die Unterauslastung vieler Schlachthöfe führt natürlich zu Strukturveränderungen. Alte Betriebe werden (z.B. von Vion und Danish Crown) geschlossen, andere schichtweise zurückgefahren. Tönnies hat 1500 Stellen nicht besetzt, verteilt auf mehrere Standorte. Trotz stark erhöhtem Mindestlohn von 12 Euro (vor wenige Jahren in der Branche undenkbar) klagen alle über Personalprobleme – mit der Konsequenz verstärkt neue Techniken einzusetzen und Arbeitsplätze abzubauen. Experten zufolge kommen die dicken Bretter erst noch. Überkapazitäten, Belastungen durch erhöhte Umwelt-Auflagen, Energie- und Personalkosten und die Marktdifferenzierung durch die Tierhaltungskennzeichnung bilden einen wachsenden Anpassungsdruck. Die Fleischbranche steckt schon im Umbruch. Aber der wirkliche Transformationsprozess steht wohl noch bevor – wie in der Landwirtschaft.

Kommt Bewegung in die Tierhaltungspolitik? Förderung bleibt Knackpunkt

In Agrarkreisen scheiden sich die Geister über die Tierhaltungspolitik. Während die einen beklagen, dass die Regierung nichts voranbringt, kein Gesamtkonzept vorlegt und die Bauern im Regen stehen lässt, beklagen andere ständig neue Auflagen und politische Einmischungen. Dabei hatten sich Wissenschaft, Agrarverbände und NGO’s in den Empfehlungen der Borchert-Kommission auf einen gemeinsamen Weg gemacht. Trotz mancher Beteuerungen von Minister Özdemir hat das Ministerium diesen Weg verlassen, sich aber in eigenen Zielen gepaart mit groben handwerklichen Fehlern und Koalitionsstreitigkeiten verhampelt. Die Kommission hat daraufhin ihre Arbeit seit Herbst ruhen lassen und will am Freitag entscheiden, ob man „hinschmeißt“ oder auf neuer Grundlage die Arbeit fortsetzt.

In Berlin versucht man sich statt eines Gesamtkonzeptes mit einem „Instrumentenkasten“ aus Kennzeichnung, Bau- und Immissionsrecht – aber nur für die Mastschweinehaltung! Bei Bau- und TA-Luft-Vorgaben kann man sich wohl verständigen, bei der Kennzeichnung bleibt die vielfältige Kritik bestehen. Aber die Entscheidung über Erfolg oder Misserfolg des gesamten Umbauprozesses fällt bei der Finanzierung bzw. Förderung.

Das geplante Bundesprogramm zum Umbau der Schweinehaltung liegt zur Notifizierung bei der EU-Kommission. Das BMEL erwartet innerhalb von 3 Monaten grünes Licht für eine Förderung von investiven Maßnahmen und laufenden Kosten für höhere Standards. Der Förderzeitraum beträgt 10 Jahre, wenngleich bisher nur 1 Mrd. € bis 2026 zur Verfügung stehen. Neben gestaffelten Subventionen bei Neu- und Umbauinvestitionen sollen auch laufende Mehrkosten für höhere Tierwohlauflagen der Stufen Frischluft, Auslauf und Bio mit teilweise hohen Beträgen ausgeglichen werden. Auch hier werden die Bestände gestaffelt gefördert – z.B. bis 50 Sauen und 1500 Mastschweine mit 80%, bis 200 Sauen und 6.000 Mastschweine mit 70%, darüber nicht mehr. Auch Teilbetriebsumstellungen sind möglich. Der Pferdefuß, so kritisiert auch die AbL, sind die Unsicherheiten der jährlichen Beantragung und der jährlichen Prämienfestsetzung. Damit sei keine Planungssicherheit gegeben, die aber notwendig sei, wenn sich Betriebe mit hohen Investitionen auf das Risiko eines neuen und unkalkulierbaren Marktes einlassen sollen.

Herkunftskennzeichnung auf frisches Fleisch erweitert

Das Bundeskabinett hat einen Verordnungsentwurf zur nationalen Herkunftskennzeichnung beschlossen. Damit soll eine verpflichtende Angabe auf frisches, gekühltes und gefrorenes Schweine-, Geflügel-, Schaf- und Ziegenfleisch erweitert werden, die es bisher nur für verpacktes Fleisch sowie unverpacktes Rindfleisch (Folge der BSE-Krise) gibt. Der Entwurf sieht vor, dass das Aufzuchtland und das Schlachtland nachgewiesen werden muss – nicht aber das Geburtsland. Das Ministerium hält damit implizit auch Brüssel vor, bisher - obwohl zugesagt – keine europaweite Herkunftskennzeichnung vorgelegt zu haben. Opposition und einige Verbände kritisieren, dass die Verordnung wieder nur Stückwerk sei, weil weder die Ferkelerzeugung eingeschlossen sei noch Wurstwaren oder die Gastronomie mitgeregelt seien. Aber selbst die Zentrale Koordination Handel-Landwirtschaft (ZKHL), gegen die Bauernproteste der letzten Jahre von Handel und DBV gegründet, wertet die Verordnung grundsätzlich positiv, wenn auch nicht weitreichend genug. Die ZKHL, der oft Handlungs- und Entscheidungsunfähigkeit vorgeworfen wird, will selbst mit einem „Herkunftskennzeichen Deutschland“ auf den Markt kommen, bei dem auch das Geburtsland der Tiere gekennzeichnet sein müsse. Aber mit dem Verordnungsentwurf könnte sie nun überholt werden, bevor sie überhaupt losgegangen ist.

ITW- Entgelt: statt Verpflichtung nur noch Empfehlung

Dass bei all den Entwürfen und Vorlagen nicht der Markt und die Kartellgesetze vergessen werden dürfen, hat gerade die Initiative Tierwohl (ITW) erfahren. Das Kartellamt hat wettbewerbliche Bedenken geäußert, dass die ITW keinen verpflichtenden Aufschlag für ihr Programm mehr vorscheiben dürfe. Ein einheitlicher Betrag erscheine nicht unerlässlich für die Durchsetzung der Ziele, heißt es von den Wettbewerbshütern. Der Markt könne die Kosten ausbalancieren. Die ITW will sich dem Urteil der Kartellwächter fügen und ab 2024 nur noch eine Empfehlung an die Schlachtbetriebe abgeben.

Vor zwei Jahren hat ITW die Finanzierung der äußerst geringen Tierwohlauflagen („Alibi-Tierschutz“) von einem Fondmodell (Betriebe bekamen Mehraufwendungen aus einem vom Handel gespeisten Fond bezahlt) auf ein Marktmodell umgestellt. Seitdem hat sich die Schlachtindustrie verpflichtet, dem Mäster 5,28 €/Tier als Aufschlag zu zahlen. Diesen Bonus muss sie sich am Markt, d.h. beim Handel wiederholen. Die großen Handelskonzerne haben sich vertraglich verpflichtet, den Ausgleich im Preis „irgendwie“ zu akzeptieren. Aber sie haben keine Mengengarantie abgegeben, so dass sie wie jetzt in der Absatzkrise ihre Abnahme reduzieren können. Im Ergebnis stehen die Schlachthöfe in der Sandwich-Position, haben sich den Landwirten gegenüber verpflichtet, können aber die ITW-Ware nicht vollständig absetzen – mit teils gehörigen Verlusten.
In Zukunft liegt das Risiko ausschließlich beim Schweinehalter. Ob er seine Mehrkosten ersetzt bekommt, hängt von seiner Markt- und Machtposition ab.

Der Marktbeobachter ist erstaunt. Der Markt wird die Mehrkosten für Tierwohl nicht bezahlen, heißt es in den Empfehlungen der Borchert-Kommission, weshalb die staatliche Finanzierung zur Schlüsselfrage geworden ist. Die ITW scheint aber noch der Meinung zu sein, die Planungssicherheit der Landwirte mit den Kräften des Marktes erreichen zu können. Das könnte sich leicht als Trugschluss erweisen.

31.05.2023
Von: Hugo Gödde

Seit Jahren geschlossener VION-Ableger in Lübeck - Vorbote heutiger Entwicklungen oder in der Warteschleife, um wachgeküsst zu werden? Foto: FebL