Hochpreisphase am Schweinemarkt kippt - Jetzt auch noch Hauspreise der Schlachtkonzerne

Marktbeobachtungen von Hugo Gödde +++ Seit Frühjahr 2022 lief es am Schweinemarkt rund. Der Schweinepreis schrieb im Sommer einen historischen Rekordstand. Niemals zuvor gab es einen vergleichbaren Preis. Mit 2,50 €/kg wurde ein Spitzenniveau erreicht, das zuvor nicht einmal Premiumprogramme wie Neuland oder Hofglück (Edeka Südwest) vorweisen konnten. Alle Ökonomen hatten jahrelang felsenfest behauptet (und wissenschaftlich belegt?), dass ein solcher Preis am Markt nicht durchsetzbar und überhaupt undenkbar sei. Berater von Kammern und Verbänden sprachen mit Blick auf die Gewinne von einem sehr guten Juli und – nach leichtem Rückgang – einem guten August und einem „noch guten“ September für die Mäster und besonders für Sauenhalter. Inzwischen fällt der Preis auf 2,20 €/kg und der Ferkelpreis auf 74,50 € von 93 € im Juli. Und jetzt haben auch noch die Schlachtkonzerne, erst Vion, nun auch Tönnies und Westfleisch, erstmals in diesem Jahr mit einem Hauspreis die allgemeine Notierung um 5 Cent unterboten. Gestützt werden sie dabei durch Preissenkungsankündigungen der Discounter. Ist der Zenit überschritten? Der Konflikt um die Meinungsführerschaft am Markt spitzt sich zu.

Der Preis bröckelt - langsam

Blicken wir zurück: Die Schweinepreise explodierten von 1,20 €/kg Anfang 2022 auf 1,90 €/kg im März über 2,00 € im August und 2,20 im Februar 2023 auf in der Spitze 2,50 €/kg in diesem Juni. Einen derartigen Anstieg und ein solches Rekordniveau haben Schweinemäster noch niemals erlebt. Während die Erhöhungen im letzten Jahr vor allem die Steigerungen der Futter-, Ferkel- und Energiekosten ausglichen und die Rendite sich noch verhalten entwickelte, wurde seit dem Frühjahr endlich wieder Geld in der Mast verdient.

Noch bewegender verlief es für die Ferkelerzeugung, die unter den Vorjahren besonders gelitten hatte. Mit im Schnitt 48 € pro Ferkel in 2020 (mit der Spanne von 80 € im Februar und 20 € im November) und etwa 35 € in 2021 war die Erzeugung extrem verlustreich. Auch im Durchschnitt des letzten Jahres lag der Ferkelpreis bei gut 40 € (20 € im Januar und 60 € im Dezember) weiterhin im tiefroten Bereich, da die Kosten (Futter- und Energiekosten, für Ferkel besonders bedeutend) auf 60 bis 70 € gestiegen waren. Erst seit Jahresbeginn mit Preisen von 70 € im Januar bis 90 € im Sommer bei gleichzeitig sinkenden Futterpreisen konnten die Löcher auf den Konten teilweise wieder gestopft werden.

Strukturbruch bei Betrieben - Schweinebestände kräftig abgebaut

Dieses Ansteigen der Preise war aber kein Zufall oder unvorhersehbares Ereignis des Schweinezyklus‘, sondern eine Konsequenz der Aufgabe von etwa 20% der Schweineproduktion im Gefolge der Preiskrise. Abstocken und/oder Aufhören war die verbreitete Diskussion. Von 2000 bis heute haben nach Auskunft der Bundesregierung 87% der Schweinehalter aufgehört. Die Zahl der Schweineschlachtungen fiel von 55 Mio. in 2019 auf 47 Mio. im letzten Jahr. Im ersten Halbjahr 2023 sank die Zahl noch einmal um 9%, so dass von etwa 44 Mio. Schlachtungen für dieses Jahr ausgegangen wird – minus 20% in 4 Jahren(!). Der aktuelle Anstieg der Preise ist durch die schlechten Preise der Vorjahre und den Bestandsabbau von der Schweinehalter bereits im vorhinein selbst bezahlt worden – von den aufgebenden und den „überlebenden“ Betrieben.

Da auch in der EU die Bestände überall (bis auf Spanien) sinken (minus 15% seit 2020), gibt es auch europaweit keine Überstände und der Preis ist fast überall hochgeschossen. Nur in Dänemark hielt der genossenschaftliche Quasi-Monopolist Danish Crown (80% Marktanteil) den Preis um 40 € pro Schwein niedriger.

Fleischkonsum weiter rückläufig

Der pro Kopf-Verzehr von Fleisch, vor allem von Schweinefleisch, ist weiterhin extrem rückläufig. Nach 35,7 kg (2018) geht die Bundesanstalt in diesem Jahr von 27 kg und im nächsten Jahr von 26 kg pro Person aus, das sind 500 Gramm pro Woche. Damit wird sich die Nachfrage erneut reduzieren und das Angebot wird sich anpassen müssen, um nicht durch Überschüsse die Preisspirale erneut nach unten zu drehen. 

Immerhin hat der Abbau der Bestände dazu geführt, dass trotz gesunkenem Export und reduziertem Schweinefleischverzehr der Markt einigermaßen ausgeglichen ist, was erst zu den Preisanstiegen geführt hat. 

Preisdruck wird erhöht

Gesunkene Schlachtzahlen (Angebot) und mengen- und preislich begrenzte Importe hatten trotz „lustloser“ Nachfrage den Markt einigermaßen stabilisiert. Je nach Interessenlage sprechen die einen (Erzeuger) von einem knappen Angebot, während die Industrie und der Handel den schwachen Fleischabsatz ins Feld führen. Schon ein leichtes Anwachsen der Schweinezahlen in den letzten Wochen wird zum Preisdruck genutzt. Außerdem sind die Rahmenbedingungen der Schlachthöfe regelmäßig Thema, wobei der Arbeitskräftemangel eine große Rolle spielt. Ein Marktkenner drückt es so aus, dass die Schlachtkapazitäten nicht mehr wie früher nach der Anzahl der Schlachthaken bemessen wird, sondern nach der Anzahl der Mitarbeiter in der Zerlegung. Corona, das Ende des Werksvertragssystem und der gestiegene Mindestlohn haben die Verhältnisse zum Tanzen gebracht. Handel und Schlachtindustrie jammerten (auf hohem Niveau?) ob des schwierigen Absatzes und die Landwirte waren zufrieden. Dieser Zustand wird nur bei knapper Marktversorgung erreicht und ändert sich schnell, wenn – auch nur dem Anschein nach – die Marktlage sich ändert.

Die Discounter, allen voran Aldi, setzen aktuell den Rotstift an und senken bei 15 Produkten die Ladenpreise – zum Jubel der „Bildzeitung“, die einen Preissturz herbeiredet, weil „sich die Hammer-Inflation endlich im Sinkflug befindet“. Aber selbst in der Handelsbranche wächst die Kritik daran, dass Aldi mal das höhere Tierwohlniveau fordere und mal als erster die Preise senke.

In der Folge kündigt sich eine verschärfte Auseinandersetzung zwischen Erzeugern, Schlachtindustrie und Handel um die Margen an. Noch haben die Schweinehalter gute Argumente, weil die Überschüsse besonders im Süden abgebaut und die Kühlläger leer sind sowie die Nachfrage Richtung Weihnachten oft steigt. Aus landwirtschaftlicher Sicht, so Marktexperten, laufe es zwar nicht rund, dennoch gebe es keinen Grund zur Defensive. Aber die Hochpreisphase ist gekippt. Handel und Industrie arbeiten am „down-grading“.

Export bleibt im Krisenmodus

Der Export, bis vor wenigen Jahren eine Stütze des Absatzes deutschen Schweinefleisches, gibt seit Jahren immer mehr nach. Nach 2,4 Mio. t in 2019 gehen Marktkenner von 1,7 Mio. t in diesem Jahr aus. 90% davon werden in EU-Länder und nach Großbritannien ausgeführt. Exporte in alle Drittländer zusammen liegen nach Angaben des statistischen Bundesamtes etwa auf dem Niveau des Exports nach Polen. Die Hoffnung auf „neue“ Märkte in Südostasien (Singapur, Philippinen, Südkorea) schwindet weiter. Auch die Sehnsucht nach einer Öffnung des chinesischen Marktriesen, der 2019/ 2020 durch die dortige Schweinepest einen Boom für die heimische Schweinebranche auslöste, erfüllt sich nicht. Ein Regionalisierungsabkommen, nach dem nicht von der ASP betroffene Regionen liefern dürften, stockt nach wie vor. Stattdessen hat die chinesische Regierung die Einfuhrsperre mit Russland nach 15 Jahren wieder aufgehoben, obwohl die ASP in Russland immer wieder grassiert. Aber aus „virenfreien“ Regionen darf wohl ab nächsten Sommer geliefert werden. Deutsche Schlachtkonzerne, die gern wenigstens (hier unverzehrbare) Nebenprodukte wie Köpfe, Füße, Öhrchen anbieten wollen, berichten, dass bei chinesischen Inspektionen Biosicherheitsfragen plötzlich weniger Einfluss auf Entscheidungen hatten als allgemeine „antiwestliche“ Welt- und Systemfragen (da sind die Chinesen aber sehr „pragmatisch“, aktuell haben sie einen Riesendeal mit US-Weizen abgeschlossen).

Exportabhängigkeit wird zum Bumerang

Bedingt durch die ASP, die den Export in viele Drittländer von einem Tag auf den anderen zunichte machte, musste sich die deutsche Schweinefleischwirtschaft auf den heimischen und den europäischen Binnenmarkt zurückziehen. Das Wehklagen war groß, könnte sich nun aber zum Vorteil entpuppen. Der globale Preiskampf gegen USA, Brasilien oder auch Russland war ohnehin nicht zu gewinnen. Die 3 Länder produzieren aktuell zu 1,60 bis 1,80 €/kg. Sich auf den Binnenmarkt zu konzentrieren, hat durchaus frühzeitig Nachfragevorteile, Marktkontakte, knowhow usw. gebracht. Wie sagte es der Vorstandsvorsitzende einer großen westdeutschen Erzeugergemeinschaft: „Ich hätte nie gedacht, dass sich unsere großen Schlachthöfe, die jahrelang vor allem auf Export gesetzt haben, so schnell umstellen würden seit ASP und Exportbeschränkungen.“

Der Marktbeobachter merkt an, dass für die Schweinefleischbranche (im Unterschied zur Milchwirtschaft) der Export nicht mehr die entscheidende Rolle spielt. Der Schweinepreis wird nicht mehr vom Export nach China oder in andere Drittländer bestimmt, sondern vom heimischen, allenfalls EU-Binnenmarkt. „Billigfleisch“ wird in Deutschland nicht mehr durch die Wettbewerbsfähigkeit mit anderen globalen Exporteuren definiert. Das sollten auch die Exportkritiker in Agrarkreisen zur Kenntnis nehmen. Positiv genutzt und verknüpft mit einer Herkunftskennzeichnung ist es auch eine Chance bei der aktuellen und kommenden Auseinandersetzung mit dem heimischen Handel und bei der Preisgestaltung der zukünftigen Premiumprodukte. Wir müssen nicht mehr billig für den Weltmarkt produzieren.