Perspektiven für Ferkelerzeuger gesucht

Anfang 2024 könnte der größte Viehhändler Deutschlands entstehen. Über die in diesem Zusammenhang bestehende Lage und Perspektiven der Ferkelerzeugung sowie die Rolle des Lebensmitteleinzelhandels sprach Marktbeobachter Hugo Gödde mit Ferkelerzeuger Dirk Schulze Pellengahr, Vorstandsvorsitzender der Viehverwertungsgenossenschaft Werne, deren Tochter Raiffeisen Viehvermarktung GmbH (RVG) mit ca. 450 Mio. € Umsatz an dem Zusammenschluss beteiligt ist.
Die RVG aus dem Münsterland und die Viehzentrale Südwest GmbH (VZ) wollen die Geschäftstätigkeit in der Nutz- und Schlachtviehvermarktung bündeln und zukünftig Tiere mit einem Jahres-Umsatzvolumen von 750 Mio. € vermarkten. In den Bereichen Vermarktung, Logistik und Verwaltung sollen die bestehenden Prozesse ausgebaut und optimiert werden. Bei einem Eigenkapital von 29 Mio. € fusionieren hier nicht zwei kranke Unternehmen, sondern Partner, die den Umbruch in der Schweine-und Tierhaltung insgesamt gestalten wollen. Die regionalen Stärken sollen erhalten und bundesweite Synergien verwirklicht werden.

Herr Schulze Pellengahr, die Ferkel sind knapp am Markt und nach zwei katastrophalen Jahren verdienen die Sauenhalter endlich wieder Geld. Bleiben die Ferkel trotzdem knapp?
Die Ferkelkapazitäten liegen deutlich unter den Mastplätzen, außerdem haben viele Ferkelerzeuger aufgehört, die nicht wieder einsteigen werden. Und angesichts der kommenden massiven Auflagen der Nutztier-VO im Deckzentrum und der Abferkelung haben noch einmal 50% der Betriebe angekündigt, dass in sie den nächsten Jahren aussteigen werden oder den Ausstieg ernsthaft überlegen. Man nimmt das aktuelle gute Geld mit und was dann?

Schon jetzt kommen je nach Berechnungen 20% bis regional im Nordwesten 40% der Ferkel aus Dänemark oder den Niederlanden. Können wir auf eine heimische Ferkelerzeugung verzichten?
Manche in der Politik mögen sich das so vorstellen. Aber Vorsicht! Auch in Dänemark werden zurzeit erheblich Schweine abgebaut und Holland hat reichlich Stickstoffprobleme. Im Sinne der Eigenerzeugung sollte mehr Wert auf die Stabilisierung der heimischen Sauenhalter gelegt und sie nicht ständig unter Druck gesetzt werden.

Nach meinem Eindruck steht in der Schweinebranche die Ferkelerzeugung deutlich hinter der Mast. Warum spielen die Sauenhalter immer die zweite Rolle?
Erstens sind die Mäster besser organisiert. Die Sauenhaltung ist arbeitsintensiv. Wer hat dann noch Zeit für Politik und Interessenvertretung? Es liegt zweitens auch an der Arbeitsteilung im System. Wir müssen jede Woche liefern, der Mäster kauft z.B. bei Rein- Raus dreimal im Jahr und kann entscheiden, ob er noch auf einen günstigeren Preis wartet, den Stall kurz mal leer lässt oder Ernte oder Urlaub hat. Das erzeugt häufig Druck auf den Ferkelhandel. Und drittens läuft nur ein Teil der Geschäfte über feste Verträge mit Abnehmern, ob Mäster oder Gemeinschaften. Etwa 20 bis 30% werden am freien Markt ungebunden gehandelt. Und die bestimmen den Preis mit.

Orientierung für den Preis ist die Notierung des Verbandes der Erzeugergemeinschaften (VEZG). Gegenwärtig werden aber Ferkel sehr oft erheblich über der Notierung gehandelt. Das macht die Notierung doch unglaubwürdig. Wer nach Notierung abrechnet, ist der Dumme.
Unsere RVG ist ja auch Preismelder zur wöchentlichen Notierung. Tatsächlich werden momentan im Markt nicht selten 10 bis 15 € je nach Qualitäts- oder Mengenzuschlag, Genetik, Impfung usw. mehr bezahlt. Wir waren aber auch schon manchmal froh, die Ferkel überhaupt oder unter Notierung abgeben zu können. Die Zuschläge werden bei knapper Ware immer größer. Das ist nicht schön, aber auf einem freien Markt kaum zu verhindern. Trotzdem finde ich das Preissystem im Prinzip in Ordnung. Es bevorteilt die Mast, ja, aber ich habe auch kein besseres. Insgesamt schätze ich, dass das Vertragswesen zunehmen wird, auch unterschiedliche Formen der Integration. Das wird die Verhältnisse verändern, hoffentlich zu Gunsten der Ferkelerzeuger.

Die Bundesregierung hat eine Herkunftskennzeichnung beschlossen und mehrere Discounter haben angekündigt, so weit wie möglich nur noch deutsches Fleisch zu verkaufen. Zudem will man sich an die Kennzeichnung von 5xD halten, bei der ja auch die Schweine von Geburt an einbezogen sind.
Ich trau der Diskussion um Herkunft und 5xD, besonders bei Ferkeln, noch nicht wirklich, wenn ich sehe, wo überall gekauft wird. Es geht ja immer um den Preis. Von mir aus können auch Ferkel oder Schweine aus dem Ausland gehandelt werden, wenn sie unter den gleichen Bedingungen gehalten werden wie unsere. Vielleicht fangen wir bei den höheren Haltungsstufen 3 und 4 mal an. Da sind wir noch nicht vergleichbar und dürften auch tendenziell genügend Ferkel erzeugen.

Die Ferkelerzeugung ist ja nicht nur vom Markt betroffen , sondern zurzeit noch mehr von staatlichen Eingriffen. Was kommt da auf die Höfe zu?
Die Marktunsicherheiten sind in letzter Zeit sehr hoch, höher als das, was wir kennen. Jetzt kommen nach schlechten wirtschaftlichen Jahren noch politische Auflagen als Belastung dazu, deren Auswirkungen nicht einzuschätzen sind. Seit 2010 erleben wir drei erhebliche staatliche Vorgaben. Erst die Gruppenhaltung, daneben für manche die Änderungen des Immissionsrechts (Gutachten, Abluftfilter usw.), jetzt mehr Platz im Deckzentrum und im nächsten Jahrzehnt die Auflagen der Abferkelung, d.h. Abbau der Kastenstände. Die unklare Zukunft der Tierhaltungsstufen noch nicht mitgerechnet. Das geht nicht ohne Um- oder Neubau, also gewaltigen Investitionen, alles ohne Absicherung über den Preis oder eine gesicherte längere Förderung. Deshalb sind wir sauer auf Politiker, die ständig dem gesellschaftlichen Mainstream hinterherlaufen, aber den Ferkelerzeugern keinerlei Planungsperspektive geben. Tierwohl ist in aller Munde, aber wir sehen ja, die Preissensibilität der Verbraucher spielt eine große Rolle. Was ist, wenn demnächst Tierwohl nicht mehr so wichtig ist, stattdessen der CO2 Footprint?

Was erwarten Sie vom Verbraucher und was vom Handel bzw. den Schlachthöfen?
Machen wir uns nichts vor: der Verbraucher ist der Handel, dort manifestiert sich der Verbraucherwille. Ich kenne das aus Verhandlungen. Manche Gesprächspartner sagen: meine Verbraucher wollen mehr Tierwohl. Andere sind sicher, dass seinen Kunden Tierwohl egal ist, wenn es zu teuer wird. Wenn wir realistisch sind, steht Tierschutz im Grundgesetz, ist aber ein Luxus, den sich viele nicht leisten wollen oder können. Trotzdem: gehen wir nur einmal von 20% Anteil für Markenfleisch, Tierwohl oder bio aus. Bis vor ca. drei Jahren lagen wir über alle Vermarktungswege bei 2-3%, heute vielleicht bei 5%. Damit wird ein erheblicher Teil des Marktes neu verteilt – in Zeiten, in denen man um jeden Prozentpunkt kämpft. Da sollte man dabei sein.

Aldi und Co. setzen in ihren Aussagen verstärkt auf Tierwohl. Das haben sie jetzt noch einmal bestätigt. Trauen Sie denen nicht? Ihre VVG arbeitet doch auch mit großen Handelskonzernen zusammen.
Für uns ist klar: Was der Handel will, müssen wir liefern oder ausscheiden. Momentan bringt der Handel die Dynamik ein. Er treibt die Politik, die mir eher unzuverlässig scheint. Dafür braucht es eine direkte Partnerschaft von Handel, Schlachtindustrie und Erzeugergruppen. Wir als Bündler wollen den Kunden bedienen. Und der Handel sucht auch den direkten Kontakt zur Landwirtschaft. Das ist neu und wird von den Schlachtbetrieben nicht so ganz gern gesehen. Wir als RVG sind in einer „learning by doing“-Phase mit Schwerpunkt auf LEH-Haltungsform 3 (Außenklima). Das ist zurzeit neben der ITW-Stufe 2 die angesagte Stufe. Leider läuft die Stufe 3 aktuell total über. Die Bauern sind schneller in der Umstellung als der Markt. Aber ich hätte nie gedacht, dass sich unsere großen Schlachthöfe, die jahrelang vor allem auf Export gesetzt haben, sich so schnell umstellen würden seit der ASP und den Exportbeschränkungen.

Ihre RVG hat einen Vertrag mit Edeka Rhein-Ruhr (Rasting) für Stufe 3. Was ist das Besondere und wie sind die Konditionen?
Das Neue ist erst einmal, dass WIR direkter Vertragspartner von Edeka- Rasting sind und mit dem Schlachthof einen Dreiecksvertrag haben. Der ist unser Dienstleistungspartner, weil das Schwein regional geschlachtet werden soll und vollständig vermarkten werden muss und nicht nur die Edelteile wie Schinken und Kotelett. Die sind kein Problem, machen aber nur 25% des Schlachttieres aus. Das Verhältnis ist schon auf Augenhöhe, wir brauchen uns gegenseitig. Aber wir als RVG haben den Vertrag über 5 Jahre. Ein Großteil der Schweine kommt von unseren Betrieben und ist wirklich regional. Die Ferkel sind wie bei der LEH-Haltungsform 3 noch nicht drin, sollen aber bald eingebaut werden.

Wie war die Preisfindung und was wird gezahlt?
Die Vergütung, die die tatsächlichen Erzeugungskosten abbilden soll, haben der Erzeugerring und die Kammer errechnet. Diese Kosten werden als Aufschlag auf die Notierung gezahlt. Der gilt bis erhebliche Kostenänderungen, z.B. beim Futter auftreten. Es gibt eine Notierungsuntergrenze und eine neue Preismaske für die Qualitäts- und Gewichtsklassen, die für Landwirte interessant ist. Viele Betriebe müssen dafür umbauen und brauchen eine längerfristige Absicherung. Ein Vertrag über 5 Jahre ist notwendig und sinnvoll, ist aber in der Branche sehr ungewöhnlich. Natürlich ist der Abnehmer der entscheidende Akteur, weil er bezahlen muss. Händler sprechen gern von ihrer Verantwortung für die heimische Landwirtschaft. Also packen wir sie bei ihren Worten.
Das ist ein Lernprozess, bei dem man nicht weiß, wo er enden wird. Aber noch einmal: im Moment ist das schwierigste, dass wir als Sauenhalter bis Anfang 2024 der Behörde benennen müssen, ob wir weitermachen bzw. wie wir konkret planen und investieren wollen. Und zwar ohne Netz und doppelten Boden.

Die beschlossene Fusion mit der Viehzentrale Südwest soll, denke ich, auf die „neue Zeit“, den Umbau der Tierhaltung und Vermarktung vorbereiten.
Die Fusion ist von beiden Gremien beschlossen, muss aber noch durch einen Gesellschaftsvertrag besiegelt werden. Wir glauben, dass die genossenschaftlichen Unternehmenskulturen passen, beide sind erfolgreich, gut vernetzt in der Region und erzeugerfreundlich. Beide arbeiten schon mit Marken- und Regionalprogrammen. Außerdem können wir uns komplett ergänzen bei den eher discountgetriebenen Märkten im Norden und bei der regional besseren Wertschöpfung (Metzgermärkte) im Süden. Das zeigt sich z.B. beim Kälbermarkt, der im Süden anders läuft, oder bei der verbreiteteren Bullenmast im Norden. Wir werden mehr Differenzierung und zugleich mehr Verfügbarkeiten für unsere Abnehmer anbieten. Aber es geht bei weitem nicht nur um Optimierung der Märkte. Es geht um EDV, um Logistik, um strategische Partnerschaften, um häufige und kurzfristige Marktänderungen und Projekte. Der Umbau der Tierhaltung ist bei uns schon angekommen und muss nun Schwung aufnehmen.

Herr Schulze Pellengahr, vielen Dank für das Gespräch.

Eine Betriebsreportage zum Hof Schulze Pellengahr erscheint in der kommenden Ausgabe der Unabhängigen Bauernstimme.

30.08.2023
Von: Hugo Gödde

Ferkelerzeuger und Vorstandsvorsitzender der Viehverwertungsgenossenschaft Werne. Foto: privat