Lage der Landwirtschaft 2023/2024 zwischen Berg- und Talfahrt

Marktbeobachtungen von Hugo Gödde +++ Wer schon einmal ein Haus gebaut oder gekauft hat, kennt die drei wichtigsten Auswahlkriterien: Lage, Lage, Lage. Auch in der Landwirtschaft gilt seit Jahrzehnten diese Erkenntnis. Entscheidend sind die Preise, denn damit wird der größte Teil des Einkommens erzielt – auch wenn inzwischen je nach Betriebsgröße und Ausrichtung Subventionen und/oder Einkünfte aus der Energiewirtschaft einen wichtigen Teil des Unternehmensgewinns ausmachen.  

Da die Hintergründe der Treckerdemonstrationen der letzten Wochen sehr vielfältig sind und die Streichung der Dieselölsubvention nur der Auslöser für die breiten und dauernden Proteste ist, rückt immer mehr die Frage nach dem Ziel der Aktionen in den Vordergrund. Allein die Rücknahme des Dieselbeschlusses, wie der DBV fordert, bietet keine Perspektive für die Auseinandersetzung. Nur der ungeliebten Ampel-Regierung auch öffentlich den Stinkefinger zu zeigen, bringt kurzfristig zwar massenhafte Solidarisierung für die Protestler, aber keine Lösung. Faire Preise, an den Kosten orientierte krisenfeste (resiliente) Einkommen und größerer Einfluss der Erzeuger rücken in den Fokus. Damit stellt sich zunächst ganz einfach die Frage, wie sich die landwirtschaftliche Lage im laufenden und im vergangenen Jahr tatsächlich entwickelt (hat).

Vorjahr gut, jetzt deutlicher Rückgang zu erwarten

Die Einkommen im Wirtschaftsjahr 2022/ 23 (Juli bis Juni) waren laut Situationsbericht des Bauernverbandes (DBV) sehr gut. Durchschnittlich 115.000 € Unternehmensgewinn bei Haupterwerbsbetrieben waren eine Rekordmarke. Die Saison 2023/24 bringt dagegen für Haupterwerbsbetriebe deutliche Rückgänge – wie immer nicht in allen Marktsektoren und stark differenziert je nach Betriebsstruktur. Bei der jährlichen Vorschätzung von Testbetriebs-Ergebnissen durch den Verband der Landwirtschaftskammern (VLK) auf der Basis von Buchführung, bisherigen Monatsergebnissen und Trendanalysen in den Kammergebieten (vor allem im Norden) kommt man zur Einschätzung, dass im Schnitt etwa 80.000 € Unternehmensergebnis zu erwarten sind – ca. 40% unter Vorjahr. Damit fällt der Gewinn wieder auf den Schnitt der letzten fünf Jahre, und die (anvisierte) Zielmarke für einen ausreichenden Unternehmensgewinn wird um ca. 25% unterschritten. Schließlich müssen davon noch die Ausgaben nicht bezahlter Familienmitglieder, Steuern, Sozialversicherungen und Neuinvestitionen beglichen werden.

Die Stimmung auf den Höfen ist außer bei den Schweinehaltern nach dem Rekordjahr auf Talfahrt gegangen. Noch im Herbst ermittelte der DBV-Situationsbericht „einen Grad an Zufriedenheit, wie es ihn seit September 2014 nicht mehr gegeben hat.“ Das war vor den Treckeraktionen. Die Buchführungsergebnisse belegten ein Allzeithoch bei den landwirtschaftlichen Ergebnissen mit Plus 45% zum Vorjahr. Dazu beigetragen hatten vor allem die hohen Erzeugerpreise mit einem Plus von 23%, die die Steigerung der Betriebsmittel von plus 16% übertrafen. Von diesen Ergebnissen ist man inzwischen weit entfernt.

Ackerbau sprunghaft und unterschiedlich

Bei Ackerbauern ist vor allem die betriebliche Ausrichtung bedeutsam. Überwiegend auf Getreide und Raps ausgelegte Betriebe (z.B. in Schleswig-Holstein oder Rheinland-Pfalz) werden durch die nach der Ukraine-Getreidekrise gesunkenen Erzeugerpreise einen Gewinneinbruch um die Hälfte hinnehmen müssen. Dagegen können sich Hackfruchtbetriebe (Zuckerrüben, Kartoffeln) über deutlich höhere Preise und gestiegene Gewinne freuen. Gemischtbetriebe mit hohem Hackfruchtanteil (Niedersachsen, NRW) dürften das gute Vorjahresergebnis leicht übertrumpfen und insgesamt in der Spitzengruppe landen. Trotz der schwierigen Erntebedingungen dürfte der Kartoffelanbau ganz vorn liegen.

Milchviehbetriebe wieder die Verlierer

Nach dem Allzeithoch im Vorjahr ist bei den Futterbaubetrieben der „normale Frust“ wieder eingekehrt. Laut VLK werden sich im laufenden Wirtschaftsjahr bei den Milchbäuerinnen und -bauern die Gewinne mehr als halbieren und auf ein unterdurchschnittliches Niveau sinken. „Die Party ist vorbei und der Kater regiert“, wie es ein westfälischer Kuhhalter ausdrückt. Der Milchpreis ist von 55 ct/kg im Wirtschaftsjahr 2022/23 auf ca. 42 (im Norden, Westen) bis 47 ct/kg (im Süden) im Gesamtjahr 2023 gesunken. Die größten Milchkonzerne DMK und Arla haben mit Zuschlägen gerade die 40 Cent geschafft. Nicht zu unterschätzen ist dabei, dass die Preise im Süden kräftig über den Nord/West/Ost-Preisen liegen. Für einen durchschnittlichen Milcherzeuger sind da schnell 25 - 30.000 € gewonnen oder verloren – netto(!). Es lohnt sich für melkende Betriebe wieder, im Süden zu erzeugen, wie es ein Milchbauer ausdrückt. Schließlich kommt ein Viertel der Milch aus Bayern, wo auch eine klein- und mittlere Hofstruktur vorherrscht. Für Grünland- und Mittelgebirgsbetriebe ist die Milch zudem der wichtigste Einkommensfaktor.

Noch ärger trifft es mal wieder die Rindermäster, Mutterkuhhalter und kleineren Milchviehhalter im Haupterwerb. Ihr Gewinn wird mit unterirdischen 45.000 € vorgeschätzt. Die gesunkenen Rinder- und Jungbullenpreise tragen ihren Teil bei.

Zuversicht bei den Schweinehaltern

Nach zwei schlechten Jahren 2020/21 haben sich die Schweinepreise 2022 mit 1,85 €/kg und 2023 mit ca. 2,30 €/kg auf ein Allzeithoch geschraubt, das auch die Einkommen der „Veredelungsbetriebe“ veredelte. Die Voraussagen für 2023/24 gehen von einem Preis von ca. 2,15 €/kg aus – bei gesunkenen Futter- und Energiekosten, aber steigenden Ausgaben für Löhne und verschiedene Dienstleistungen. Da die Ferkelpreise durch die Marktknappheit überdurchschnittlich gestiegen sind, erwarten vor allem die Sauenbetriebe ungewöhnlich gute Ergebnisse. Dieses Jahr verdienen die Ferkel das Geld. Insgesamt ist die Schweinebranche zurzeit der einkommensmäßig lukrativste Agrarsektor. Das war nach den Krisenjahren (Corona, ASP) nicht unbedingt zu erwarten. Aber es zahlt sich aus, dass sich die Produktion näher an dem gesunkenen Verbrauch anpasst. Für den geschmälerten, aber nicht unbedeutenden Export wird fast ausschließlich (ca. 85%) die EU genutzt, so dass nicht zu globalen Billigpreisen ausgeführt werden muss.

Nord vor Süd und groß weit vor klein

Weiterhin ist ein erhebliches Nord-Süd-Gefälle festzustellen, auch wenn die Landwirtschaftskammern nur Einrichtungen im Norden sind und daher nur dort ihre Vorschätzungen machen. Schon im letzten Jahr rangierten die nördlichen und östlichen Bundesländer mit doppelt so hohem Ergebnis weit vor Baden-Württemberg und Bayern. Das wird sich in diesem Jahr noch verschlimmern, da die gebeutelten Rinderbetriebe vor allem im Süden zu finden sind.

Starke Unterschiede herrschen zwischen den Betrieben. Die „größeren“ Betriebe erzielten im Vorjahr durch die Bank fast das Dreifache der „mittleren“ Höfe, die wiederum doppelt über den „kleineren“ Betrieben lagen. Damit lag laut DBV-Bericht das Verhältnis zwischen dem oberen und unteren Drittel bei 6:1. Die „unteren“ bauen Vermögen und Fremdkapital ab und investieren weniger. Der Strukturwandel geht also auch in relativ guten Jahren weiter.

Auffällig war die zurückhaltende Investitionsbereitschaft trotz verbesserter wirtschaftlicher Lage. Investitionen wurden vor allem in der Landtechnik und im erneuerbaren Energiebereich getätigt, während die Ausgaben für Ställe und Wirtschaftsgebäude fielen. Das bestätigt auch die gute Ertragslage der Landtechnikindustrie von Fendt bis Claas. Die Zulassungen der Traktoren liegen seit vier Jahren über 30.000 – so viel wie seit 10 Jahren nicht mehr trotz gesunkener Betriebszahlen.

Moralische Entwertung nicht unterschätzen

Die Preise sind wichtig für die reale Lage auf den Höfen. Aber daneben spielt immer mehr die „gefühlte“ Lage eine Rolle. Der Historiker Thomas Schürmann kam bei Befragungen im Oldenburger Münsterland, einer Hochburg der Intensivlandwirtschaft, zu dem für ihn überraschenden Schluss, dass an erster Stelle die „moralische Entwertung“ den Landwirten zu schaffen macht – erst dann folgen die oft niedrigen Erlöse, die wachsenden Dokumentenpflichten und die misstrauische Agrarbürokratie. „Die materielle Entwertung hat das Selbstbewusstsein vieler Landwirte gleichsam sturmreif geschossen“, schreibt er in seinem Buch.

Der Marktbeobachter fragt sich, ob er im Süden mit der weniger intensiven Landwirtschaft zu ähnlichen Erkenntnissen gekommen wäre. Die erstaunliche Reaktion auf die Treckerdemonstrationen nach innen (Berufstand) und nach außen (Bevölkerung) könnten zum seelischen Auftanken genutzt werden – oder zu Überheblichkeit führen. Die Landwirtschaft ist kein Opfer, sie kann sehr wohl Gestalter der Verhältnisse sein, wenn sie die aktuellen Erfolge nicht zum Roll-back treibt.
Man könnte sie nutzen angesichts einer zunehmend unsicheren Perspektive. Als stabil angenommene Regeln stehen in der Kritik und auf dem Prüfstand. Betriebliches Wachstum mit der Hoffnung auf bessere Erlöse („wachsen oder weichen“) galt als ehernes Gesetz. Flächenunabhängige Veredlung war ein Erfolgsschlager. Pachtpreise kannten fast keine Grenzen. Aber die Bauern hatten in Gesellschaft und Politik trotz aller Kritik eine Unterstützung, die ihnen dauerhaft Subventionen zum Ausgleich abzweigte (Flächenprämie, Bauernmilliarde, Tierwohl, Diesel, Sozialversicherung usw.). All dieses steht in Frage. Und da man so wenige geworden sind, fürchtet man (weitere) Ungerechtigkeiten und Unfairness seitens der städtischen Polit-Eliten. Der Markt wird zugleich immer „volatiler“ (sprunghafter). Dafür gewinnt die Bürokratie anscheinend die Oberhand. Befürchtet werden neue, unbekannte Veränderungen und das Höfesterben belegt es weiterhin. Wer einen Hofnachfolger hat, kann dankbar sein.
Aber die Zahlen belegen trotz alledem, dass die Lage besser ist als die Stimmung. Und mit Jammern hat noch kein Berufstand überlebt und der folgenden Generation Mut und Hoffnung gegeben.

15.02.2024
Von: Hugo Gödde

Die landwirtschaftlichen Einkommen auf Berg- und Talfahrt. Foto: Nattanan Kanchanaprat/Pixabay