Schweinemarkt: Lage gut, Stimmung mäßig, Perspektiven schlecht – Reform des Preissystems ist notwendig

Marktbeobachtungen und Überlegungen von Hugo Gödde +++ Nach vielen Turbulenzen in den letzten Jahren ist der Schweinemarkt seit ca. zwei Monaten „stabil und ausgeglichen“, wie die landwirtschaftliche Seite und die Fleischindustrie unisono vermelden. Entspannung meldet auch der Verband der Erzeugergemeinschaften und hält die Notierung seit Anfang Oktober konstant. Angebot und Nachfrage passen aktuell zusammen. Dadurch wird für das gesamte Jahr 2023 ein Rekordniveau für die Schweinepreise erzielt werden, das bei etwa 2,25 €/kg landen wird – nach 1,86 €/kg in 2022 und 1,38 €/kg in 2021.

Da die Preise bereits im Herbst letzten Jahres Richtung 2 Euro stiegen, konnte im Wirtschaftsjahr 2022/23 die Gewinnsituation der Veredelungsbetriebe (Schweine, Ferkel) erheblich verbessert werden, wie Analysen von ersten Buchführungsergebnissen des Verbandes der Landwirtschaftskammern (VLK) ergeben. Durch sinkende Tierzahlen und trotz gestiegener Futterkosten wurden von spezialisierten Veredelungsbetrieben in Norddeutschland Unternehmensergebnisse von 110.000 € erzielt, wodurch auch ein Unternehmensgewinn (für Risikoabdeckung und Investitionen) und eine positive Eigenkapitalbildung bilanziert werden konnte.

Auffallend ist, dass dieses Mal auch die Ferkelerzeuger von der guten Preissituation profitieren konnten. Für die nächsten Monate prognostizieren Marktkenner gute Aussichten, da die Tierzahlen voraussichtlich stagnieren und aus dem Ausland keine großen Importe zu erwarten sind.

Die Lage ist besser als die Stimmung

Das konstatiert selbst die Interessengemeinschaft Schweinehalter (ISN). Denn die Perspektiven und eine gewisse Planungssicherheit für die Zukunft fehlen. In der Vergangenheit sind gute Buchführungsabschlüsse in Neu- bzw. Erweiterungsbauten umgesetzt worden. Das scheitert zurzeit weniger am Geld – obwohl Bauen und Kredite teuer sind – als an Klarheiten, was der Markt (bezahlen) will und was die behördlichen Auflagen (Baurecht, Immissionsrecht usw.) verlangen. Einfach wachsen macht aus vielerlei Gründen keinen Sinn. Zudem sind angesichts des Facharbeitskräftemangels häufig die Arbeitsgrenzen erreicht. Und neue technische Fortschritte bei Fütterung, Haltung, Tiergesundheit durch die Digitalisierung schlagen nur bedingt durch. Bei einem Arbeitsfaktor von 0,4 Std. pro Mastschwein (= ca. 8 €) sind die Einsparmöglichkeiten durch Technik begrenzt.

Bei der Sauenhaltung kommt noch hinzu, dass die Verschärfungen durch gesetzliche Vorschriften (Deckzentrum, freies Abferkeln) in den nächsten Jahren in den Planungen der Ferkelerzeuger allgegenwärtig sind. Man weiß, dass man durch Um- oder Neubauten viel investieren muss, aber man weiß nicht, wie man die Kosten durch staatliche Förderung oder durch den Ferkelpreis wieder einspielt. Es entwickelt sich die paradoxe Konstellation, dass der Schweinehalter investiert, aber nicht – wie in der Vergangenheit – um anschließend kostengünstiger und wettbewerbsfähiger zu produzieren, sondern um danach teurer zu erzeugen. Und dafür gibt es keinerlei Sicherheit.

Verträge und/oder vertikale Integration

Die naheliegende Konsequenz ist die vertragliche Vereinbarung des Absatzes. Das hat bereits die Borchert-Kommission mit ihrer Forderung an den Staat über eine langfristige Absicherung der Mehrkosten benannt. Aber die Regierung (allen voran die FDP) konnte sich nicht durchringen, eine Verpflichtung über z.B. 10 Jahre einzugehen. (Mit dem neuen Haushaltsstreit wird es noch unwahrscheinlicher!) Damit fühlen sich die Bauern von der Politik im Stich gelassen. Fordern, aber keine Perspektiven bieten.

Nun bleibt nur noch die abnehmende Seite. Tatsächlich haben vor allem der Discount, aber teilweise auch der LEH Zielvorgaben für höheres Tierwohlniveau angekündigt und erwarten nun von der Schlachthofseite entsprechende Angebote für die Haltungsstufen 3 (Außenklima), 4 (Auslauf) und 5 (Bio). Einzelne wie Edeka Südwest bieten für ihr Programm „Hofglück“ (Haltungsform 4) sogar 10-jährige Abnahmeverträge (bis 2033) an. Auch beim Preis ist man kooperativ. Es gibt einen festen Aufpreis auf die Notierung und einen Mindestpreis, unter den die Basisnotierung nicht fallen darf. Zusätzlich ein Recht auf Verhandlung, wenn durch außergewöhnliche Umstände (z.B. Futterpreise) die Kostenlage sich verändert hat.

Ähnliche Konstruktionen werden von anderen LEH-Programmen berichtet. Sogar in Programmen von Schlachthöfen stehen Vertragszeiträume und Preissysteme zur Disposition. Aber bisher ist die Industrie nur zu sehr begrenzten Verpflichtungszeiten (oft 1 Jahr wie bei ITW = Stufe 2) bereit, weil sie selbst vom abnehmenden Handel keine verpflichtenden Abnahmezusagen bekommen. Bisher ist auf dem Schweinemarkt ein täglicher oder wöchentlicher Handelskampf um Teilstücke die Normalität.

Flexiblere Notierung und neue Preissysteme

Dieses System hat aber keine Zukunft, wie auch Marktbeteiligte betonen. Ohne Sicherheit kann der Landwirt nicht sinnvoll investieren und der Abnehmer keine verlässliche Verfügbarkeit erzielen. Der Handel kann lautstarke Ankündigungen machen, benötigt aber politische Rahmenbedingungen und zuverlässige Erzeugungsstrukturen.

Deshalb fordern Marktteilnehmer wie Westfleisch und Tönnies ebenso wie Erzeugergemeinschaften und auch die AbL, dass das Notierungssystem, das seit 25 Jahren bis in die Gegenwart gute Dienste tut, reformiert und flexibler werden muss, außerdem neue Preissysteme entwickelt werden müssen. Mit zunehmender Differenzierung von Produktion und Markt müssen auch differenzierte Preissysteme einhergehen. Ein Notierungspreis für alle reicht nicht mehr. In der Vergangenheit war ein Basispreis, der auch eine hohe Marktrelevanz hat, eine Errungenschaft, um der Zersplitterung der landwirtschaftlichen Seite entgegenzuwirken.

Wichtig ist bei einer solchen Reform, dass nicht die Auswüchse der vertikalen Integration und der einseitigen Abhängigkeiten übernommen werden, wie man sie aus dem Geflügelmarkt oder aus anderen Schweine-Ländern wie USA oder Spanien kennt. Dort geben die Abnehmer die Fütterung, den Stallbau, die Einstallzeiten, die Rassen usw. vor. Der Bauer wird quasi zum Lohnarbeiter, der für einen mehr oder weniger festen Betrag pro Schwein die Arbeit macht – in Spanien zurzeit zwischen 12 und 15 Euro.

Der Marktbeobachter hält diese Überlegungen für ein Gebot der Stunde. Der Schweinemarkt der Zukunft sieht anders aus als heute. Die zunehmend differenzierten Anforderungen an die Erzeugung durch die unterschiedlichen Programme von Tier-, Umwelt- und Klimaschutz, regionale oder nationale Herkunft, aber auch durch den sich wandelnden Binnenmarkt erfordern neue Konzepte und neue Strategien in der gesamten Wertschöpfungskette. Es spricht einiges dafür, dass in Zukunft Schweine in unterschiedlichen Programmen und Stufen (zumal bei deutscher Herkunft!) gesucht sind. Bisher verlässt sich der Handel mit seinen Haltungsformen auf die Schlachtindustrie, die „das schon machen wird“. Aber auch die Schlachtunternehmen sind teilweise wie eine Dame ohne Unterleib. Oft haben sie „ihre“ Erzeuger(gemeinschaften) sich nicht entwickelt lassen oder sie in Abhängigkeit gehalten. Die Erzeugerorganisationen müssen und werden selbstbewusster werden, wenn sie nicht mehr nur Mengenablieferer, sondern auch gleichberechtigte Teilnehmer der Lieferkette sind.

Und das gilt nicht nur für Schweinefleisch, beim Rindfleisch wächst der nächste differenzierte Markt heran.