Marktbeobachtungen von Hugo Gödde +++ Nun also doch! Mit der Genehmigung des Bundesprogramms zur Förderung des Tierwohls durch die EU-Kommission scheint die verfahrene Diskussion um eine bessere Tierhaltung und ihre Finanzierung mindestens bei Schweinen einen Schritt vorwärts zu kommen. Trotz vielfacher Kritik an der Tierhaltungspolitik der Ampelregierung dürfte jetzt Bewegung in die Auseinandersetzung um Planungssicherheit und Perspektiven für manche Betriebe kommen. Wer dagegen einen schnellen Umbau der Tierhaltung insgesamt erwartet, wird enttäuscht werden und noch viel Geduld aufbringen müssen. Vom großen Wurf, wie ihn die Borchert-Kommission mit einer Finanzierung von 1 Mrd. Euro (und mehr, wenn man alle Tierarten einbezieht) im Jahr (!) empfahl, ist man noch meilenweit entfernt. Aber es wird mehr Geld eingesetzt werden können als bei allen Regierungen zuvor.
EU-Anerkennung des Beihilfeprogramms
Am Dienstag hat die EU-Kommission veröffentlicht, dass sie „ zwei deutsche Regelungen mit einem Gesamtbudget von rund 1 Mrd. EUR genehmigt, mit denen die Tierwohlstandards in der Viehzucht, insbesondere bei Schweinen, verbessert werden sollen. Die Maßnahmen werden zur Verwirklichung der strategischen Ziele der EU in Bezug auf den europäischen Grünen Deal, die Gemeinsame Agrarpolitik und die Strategie ‚Vom Hof auf den Tisch‘ beitragen.“
Die Regelungen werden anerkannt, „um Tierhalter bei Investitionen zur Modernisierung von Schweinezuchtanlagen und der Umsetzung von Haltungspraktiken zur Verbesserung des Tierwohlstandards für Schweine zu unterstützen.“ Für die investiven Maßnahmen werden 675 Mio. € und für die laufenden Kosten 325 Mio. € gewährt. Die Regelung läuft bis 2030 bzw. 2031 und kann künftig auf andere Tierarten ausgedehnt werden.
Beihilferechtliche Würdigung
Die Kommission bezieht sich auf die Agrarrahmenregelung 2022 für staatliche Beihilfen und bewertet das Programm:
„ - Die Maßnahmen fördern die Entwicklung eines Wirtschaftszweiges, nämlich der Tierhaltung.
Das Bundesprogramm nützt dem Fortschritt des Schweinewohls – wenn es sachlich sinnvoll und bürokratiearm umgesetzt wird
Im Unterschied zum Tierhaltungskennzeichnungsgesetz, das „nur“ eine verbindliche Einstufung der Schweine in verschiedene Haltungsstufen beinhaltet, unterstützt das Förderprogramm tatsächliche Fortschritte beim Tierwohl. Es setzt auch Signale in Stärkung landwirtschaftlicher Strukturen, die nicht auf Mengenwachstum ausgerichtet sind. Das Bundesprogramm fördert mengengestaffelt Betriebe, die mehr Tierwohl anstreben. Deshalb gibt es nur eine Förderung der höheren Tierwohlstufen 3 bis 5 für Mastschweine, Sauen und Ferkel. Zudem subventioniert es kleinere Bestände höher als große Bestände. Sie nimmt damit langjährige Forderungen z.B. von der AbL auf, die von der Förderung eine soziale Lenkungswirkung erwarten. Außerdem ist eine Ausweitung der Tierhaltung (abgesehen von Ausnahmefällen) nicht gestattet.
Aber im Einzelnen sind viele Dinge noch nicht geregelt, die aber letztlich den Erfolg einer Maßnahme auf den Betrieben ausmachen. Handwerkliche Fehler sollte die Regierung möglichst vermeiden, selbst wenn man Kinderkrankheiten bei einem solchen „neuartigen“ bundesweiten Programm einräumen sollte.
Eine Schwachstelle ist die fehlende Absicherung der Zuschüsse, die jedes Jahr neu beantragt werden müssen und die je nach politischer Beschlusslage auch sinken können, was einer Planungssicherheit für Investitionen erheblich im Weg steht. Es wird sich zeigen, inwieweit das notifizierte Programm Vertrauen und Perspektiven für einen Teil der Landwirtschaft, aber auch für den Markt auslösen wird.
Geht‘s jetzt voran mit der Umsetzung von Kennzeichnung und Förderung?
Der Marktbeobachter sieht damit die Bundesregierung wieder im Spiel. Natürlich werden Kritiker (zu Recht) anmerken, dass das Geld nicht für einen Umbau der Tierhaltung insgesamt reicht. Aber es werden sich auch führende Agrarfachleute umsortieren müssen, die nach dem Karlsruher Haushaltsbeschluss schon das Ende der „Tierwohlträumereien“ ausriefen und den Bauern rieten, bei Fleisch vor allem auf Versorgungssicherung zu orientieren und am besten sofort Abstand von mehr Tierschutz zu nehmen bzw. nur an eine Tierhaltungsänderung zu denken, wenn man eine sichere Abnahme mit einem Handels- oder Industriepartner vorweisen könne. Der langfristige und kostengerechte Vertrag ist zwar immer noch entscheidend, aber die Politik steuert nun einen (gewichtigen) Teil des Ausgleichs der Mehrkosten bei.
Andererseits ist die Umsetzung des Programms noch längst nicht in trockenen Tüchern. Denn bekanntlich steckt der Teufel im Detail. Es gibt noch viele praktische Probleme zu lösen, die in den letzten Monaten liegen geblieben sind. So ist nach wie zum Beispiel nicht klar, wie und wo der interessierte Landwirt einen Antrag zur Kennzeichnung oder Förderung stellen kann, wer die gesetzliche Einstufung der Ställe bzw. Betriebe durchführt oder wie eine Kontrolle aussehen wird. Auch diverse Fragen zu Anforderungen ans Tierwohl (z.B. Definition von Außenklima, Raufen bei Strohställen oder Platz bei Abferkelbuchten) sind noch zu klären. Viele Einzelfragen zur Sauenhaltung oder zu Tierwohlmaßnahmen sind schnell und praxisnah zu lösen, damit die Regierung im Kernbereich ihrer Agrarpolitik den Schwung aus Brüssel nutzen kann und nicht auch „diesen Elfmeter wieder versemmelt“, wie es eine Landjugendvertreterin der Zukunftskommission ausdrückte.
Inwieweit der Beschluss aus Brüssel eine Dynamik in der Landwirtschaft auslösen wird, ist noch schwer zu bewerten. Einige finanzielle Unklarheiten und wohl auch aufgewärmte Diskussionen um Tierwohlprämien und MWST-Steuererhöhungen dürften erst einmal zurückgedrängt sein. Umsetzen steht auf der Tagesordnung.
Nebenbei: Unternehmen des Einzelhandels wie Aldi, Lidl u.a., die zeitnah auf einen höheren Anteil für mehr Tierwohl bei Fleisch und Milch hinarbeiten, sollten sich gestärkt fühlen und trotz eines schwierigen Konjunkturumfelds weiter den Markt für Tierwohlprodukte entwickeln – aber dabei die Kosten und das Bauernwohl nicht vergessen. Immerhin hört man aus der Branche zuletzt häufiger, dass Schweine aus höheren Stufen gesucht sind.