Marktbeobachtungen von Hugo Gödde +++ Die Discounter erhöhen beim Tierwohl den Druck und geben sogar noch extra Gas. Ab sofort bietet Aldi Süd Rindfleisch nur noch aus den höheren Haltungsformen (HF) 3 (Laufhof) und 4 (Weidehaltung oder Bio) an und zwar nur mit deutscher Herkunft. Zuvor hatte der Discounter bereits Trinkmilch und Putenfrischfleisch komplett auf HF 3 und mehr umgestellt, weil Tierwohlware immer beliebter wird, wie es aus Mülheim, dem Stammsitz des führenden Discounters heißt.
Damit werde das Ziel im „Aldi-Haltungsversprechen“, bis 2030 komplett auf höheres Tierwohl umzustellen, schon sechs Jahren früher erreicht. Fleisch aus deutschen Landen ist gefordert. Abgesehen von Aktionsware und gemischtem Hack stamme das gesamte Rinderfrischfleisch aus heimischer Erzeugung – außer bei Bio-Rindfleisch, ausgerechnet hier mangelt es an Verfügbarkeit.
Der Tierwohl-Wettkampf nimmt noch mehr Fahrt auf
Auch Lidl, mit über 3.000 Filialen der größte Discounter (wenn man Aldi Süd und Nord getrennt rechnet), drückt aufs Tempo. Bis Ende dieses Jahres sollen 40%, bis Ende 2025 50% aller Frischfleischprodukte aus den höheren Stufen angeboten werden. Tierartübergreifend wird zusätzlich ein neues Label verwandt: „Faire Haltung - zum Wohle der Tiere.“ Auch für Hähnchenfleisch wird mit zusätzlichen Tiergesundheitskriterien Ware gesucht. Zudem wolle man verstärkt langfristige Verträge eingehen und eine Abnahmegarantie abgeben. Ziel sei, für die Lieferanten mehr Planungssicherheit zu schaffen. Nähere Angaben zu den Vertragslaufzeiten und der Höhe des finanziellen Ausgleichs fehlen noch – doch nur dann wird „ein Schuh draus“. So bleibt es ökonomisch etwas wolkig.
Dennoch scheint im Ranking der Tierwohlkonkurrenz zurzeit Aldi Süd den „pacemaker“ (Tempomacher) zu geben, der die Ambitionen hochhält (Aldi Nord läuft eher im Windschatten der Schwester). Der klassische Einzelhandel Rewe und Edeka beobachtet die Szene, macht irgendwie mit, hält sich aber aus der Spitzengruppe heraus, formuliert keine Ziele, die eventuell gerissen werden könnten.
Aldi Süd als das Maß der Dinge beim Tierwohl lässt auch nicht nach, Fleisch in der Breite umzustellen. Schon heute würde über alles bereits 50% des Umsatzes im Frischfleischsortiment sowie über 20% der gekühlten Fleisch- und Wurstwaren aus den höheren Stufen erfolgen. Eigenmarken-Trinkmilch ist bereits komplett aus deutscher Herkunft und aus HF 3 bis 4.
Tempo überrascht die Branche
Das Entwicklungstempo hat sowohl in der Fleisch- als auch in der Milchbranche zu großer Überraschung, ja teilweise zum Entsetzen geführt. Gerade noch haben sich die Wirtschaft und der Bauernverband auf das Narrativ eingerichtet, dass der Verbraucher wegen der hohen Inflationsrate keine oder wenig Premiumprodukte (s. Absatzeinbruch bei Bio) bezahlen wolle oder könne und man sich deshalb vom Tierwohl und dem Umbau der Tierhaltung verabschieden müsse. „Die Empfehlungen der Borchert-Kommission sind tot,“ wurde auch von interessierter Seite auf den Treckerdemonstrationen verkündet, „wir müssen uns mehr um den Standardmarkt kümmern. Wachsen oder weichen ist wieder angesagt.“ Tierwohl als Grünes Projekt geht zu Ende, heißt es dazu in den Funktionärsstuben, auch bei der CDU. Manche Großmolkereien und Schlachtkonzerne stießen in das gleiche Horn.
Discounter sorgen für Verunsicherung
Die ersten Reaktionen auf die Discount-Initiativen waren häufig hochmütig. „Das ist ein Marketing-Gag von Aldi, der die Bauern vor den Kopf stößt“, schrieb Heidl als bayerischer Ex-Bauernpräsident an die Mülheimer und bekam noch Beistand durch den NDR, der in einer „kritischen ARD/NDR-Doku“ von einem „scheinheiligen Fleisch-Versprechen“ sprach – mit dünnen Argumenten. Auch verbandsnahe Fachzeitschriften vermuten weiterhin, dass der Handel sich nur „hübsch machen“ wolle. Es fehle an langfristigen Abnahmeverträgen, an gesicherten fairen Preisen und an unwiderruflichen Bekenntnissen für alle Teilstücke und deutsche Herkunft. Außerdem solle der Handel noch die fehlenden Teile der Wertschöpfungskette (z.B. Ferkel) stemmen.
Immerhin gesteht man dem Handel im Unterschied zur Politik ein „Veränderungs-Gen“ zu, das dem Markt deutliche Signale sendet. Gerade diese regelmäßigen Signale erzeugen jedoch bei denen Unmut, die eigentlich ein roll-back und keinen Umbau wollen. Da verwirren die klaren Ansagen und der Ehrgeiz der Händler.
Industriebranche arrangiert sich - natürlich
Noch ist z.B. Rind- und Schweinefleisch (HF 3+4) insgesamt eine Nische. Aber in der Bedientheke soll es im Supermarkt laut ITW bereits bis zu 20% erreichen. Logischerweise, wenn auch teilweise zähneknirschend haben sich in den letzten Wochen/Monaten die Verarbeiter der Fleisch- und Milchbranche auf die neuen Verhältnisse eingestellt. Jeder größere Schlachthof bietet Fleisch aus unterschiedlichen Tierwohlstufen an. „Das Thema ist durch,“ heißt es bei Tönnies, „der Handel wird es durchsetzen und wir werden liefern.“ Auch Westfleisch, Vion, Müller und Co. setzen auf vielfältige Programme – mit Auflagen für Tierwohl, Regionalität, Umweltschutz usw. Gegenwärtig sind Erzeuger von Schweinen, Kühen und Bullen aus HF 3 bis 4 heftig umworben. Mehrjährige Verträge werden angeboten, auch bei Preisen bzw. Preismasken ist mehr möglich als ein „kleiner“ Aufpreis auf die Notierung. Das Risiko liegt beim Verarbeiter, aber der will ja weiterhin im großen Stil liefern. Selbst auf dem kurzlebigen Schweinemarkt, der bisher wöchentlich notiert, werden Dreimonats- bis Halbjahresverträge für Tierwohl ernsthaft und konkret verhandelt. Erzeuger sind verunsichert, weil sie darauf nicht vorbereitet sind.
Verunsicherte Erzeuger zweifeln
Überhaupt steht die Erzeugerseite in der ersten Reihe der Zauderer. Die Argumentation ist vielfältig.
Erstens traut man den Discountern nicht. Sie bzw. die Verbraucher sind unzuverlässig, suchen eigentlich nur das Billigste. Warum soll das jetzt anders sein?
Zweitens zeigt doch die Politik, dass man an Planungssicherheit und Perspektive für die Erzeuger wenig interessiert ist. Der stockende Prozess des Umbaus und der Streit in der Regierung belegen es jeden Tag.
Drittens halten viele konservative Verbände und Parteien generell den Umbau der Tierhaltung für ein Projekt der Grünen, mit denen man gerade auf den Demonstrationen abgerechnet hat.
Und wenn dann noch Verbände wie der Bundesverband Rindermast, die Interessengemeinschaft Schweinehalter oder Berater vorrechnen, dass es sich alles nicht rechne und man auf den Risiken und Investitionen sitzen bleibe, ist es doch kein Wunder, dass die Mehrzahl der Bauern mauert und blockiert. Bei einer westfälischen Bauernversammlung haben sich 70% gegen den Umbau der Schweinehaltung ausgesprochen. In einer topagrar-Umfrage unter Rinderhaltern haben 20% für die Umstellung auf HF 3 votiert, während fast zwei Drittel es nur für eine Nische halten bzw. definitiv nicht umstellen werden – trotz aller Signale der Abnehmer.
Interesse an Förderung der Tierwohlschweine steigt
Demgegenüber steht ein „offensichtlich hohes Interesse an einer tiergerechten Landwirtschaft“ (BMEL). Seit dem Start des Bundesprogramms zur Förderung der Schweinehaltung im März sind bis Ostern 37 Anträge mit einem Gesamtvolumen von 49,4 Mio. € eingegangen, wie das Ministerium auf Anfrage der „Lebensmittelzeitung“ berichtet. Davon wurden etwa die Hälfte als Zuwendung beantragt, der Rest Eigenmittel. Bisher kann es sich nur um Bauanträge (investive Maßnahmen) handeln, denn der Antragsbeginn für die Förderung laufender Mehrkosten beginnt erst am 4.Juni. Die meisten Anträge gingen bisher aus Niedersachsen (12) ein. Es folgen BaWü (9), Bayern (9), NRW (5), Anträge aus den neuen Bundesländern fehlen noch.
Diese Anträge setzen einen genehmigten Bauantrag voraus, so dass bisher eher Betriebe mit „Vorlauf“ am Start sind. Es geht immerhin um nennenswerte Produktionsanteile.
Der Marktbeobachter sieht eine widersprüchliche Entwicklung bei der Tierhaltung und im Fleisch-/Milchmarkt. Der Handel mit dem Discount am Steuer macht ernst. Die Regierung ist mit sich selbst beschäftigt, hat ein ordentliches Förderprogramm aufgelegt, jedoch mit hanebüchenen handwerklichen Fehlern im Wettstreit mit den Ländern und der Umsetzung. Manche Bundesländer wie NRW oder Bayern wollen sich als Opposition zu Berlin profilieren und das Tierhaltungskennzeichnungsgesetz „vor die Wand fahren“ – zur Empörung auch der Industrie. Erzeugerorganisationen (nicht alle!) kritisieren die Fehler des Ministeriums, stehen aber gegenüber den Wünschen des Handels fast blank da, erwarten zugleich, dass dann eben der Markt alle Sicherheiten und Perspektiven erfüllt. Sonst werde man sich verweigern. Der positive Beginn der Förderanträge lässt vielleicht andere Schlüsse zu. Manche Tierwohlhoffnungen sind dem Kriegs-/Krisenmodus zum Opfer gefallen. Dennoch könnte sich die Umbau-Stimmung wieder drehen, wenn der Discount und die Politik mal zusammenwirken.