Überschuss, Stickstoff, Tierwohl, Strukturbruch - Hollands Schweineprobleme sind kaum zu lösen

Marktbeobachtungen von Hugo Gödde +++ Nach mehrmonatigen Verhandlungen ist der niederländische Bauernverband (LTO) aus den Gesprächen mit Regierungs- und Branchenvertretern über ein Agrarabkommen ausgestiegen. Die geplante Vereinbarung sollte Teil der Regierungspolitik sein, die Stickstoffemissionen der Landwirtschaft auf die Vorgaben von EU-Grenzwerten zu drosseln. Landwirtschaftsminister Piet Adema will nun ohne die Agrarlobby in drei Monaten eine Zukunftsvision für die Landwirtschaft vorlegen. Der LTO begründete seinen Ausstieg mit unzureichenden Zusagen für finanzielle Hilfen zum Ausgleich von Einkommenseinbußen. Es werde von der Politik sehr darauf vertraut, dass der Markt einen Premiumpreis für Nachhaltigkeit finden werde, so dass ein (zu) geringer Ausgleich für den Produktionsmehraufwand durch staatliche Subventionen vorgesehen sei. Selbst wenn noch Vereinbarungen über höhere Preise für niederländische Produkte mit dem heimischen Handel (Albert Heijn & Co) zustande kämen, sei zu bedenken, dass viele niederländische Agrarprodukte exportiert würden und in den Zielländern kein höherer Preis für Naturschutz-, Tierwohl- oder Klimaschutzmaßnahmen zu erwarten sei. Damit bestehe für Landwirte ein hohes Risiko, nicht wettbewerbsfähig zu sein. Nach Ansicht des Verbandes sollten die Landwirte selbst entscheiden können, wie sie die Emissionsnormen und Nachhaltigkeitsziele erreichen. Zum Beispiel hält der LTO die vorgeschlagene Obergrenze von 2,5 bis drei Kühen pro Hektar für unannehmbar, weil zu teuer.

Vom Vorzeigeland zur Struktur- und Umweltkrise

Damit zeigt sich erneut, in welche Sackgasse sich Politik und Agrarwirtschaft manövriert haben. Lange Zeit waren die Niederlande das Schweine- und Milchviehzentrum Europas, wohin alle Berater, Experten und Landwirte pilgerten. Diese Zeit ist längst vorbei. Aber nach wie vor ist das Land weltweit der zweitgrößte Agrarexporteur nach den USA. Das ist doch bizarr für ein so kleines Land, äußern Kritiker. Aber Wirtschaft und Politik sind stolz auf diese globalen Leistungen und wollen sie nicht aufgeben. Selbstversorgungsgrade von 330% bei Schweinefleisch und von 170% bei Milch machen die Überproduktion sichtbar. Aber solange man die Produkte im Export gut absetzen konnte, war scheinbar alles in Ordnung. Aber der Export kommt an Grenzen, wenn die Produktionskosten steigen. Die Schweinezahl ging zwar in den letzten Jahren leicht zurück, bewegt sich aber mit knapp 11 Mio. auf sehr hohem Niveau. Trotz mehrerer Aufkaufprogramme für Ställe („warme Sanierung“) und Kosten durch Produktionsrechte blieb der Bestandsabbau begrenzt. Die Zahl der Schweinehalter aber hat sich auf 3.500 reduziert (minus 75% zum Jahr 2000), die im Schnitt mit 3400 Schweinen im Verhältnis zu einem deutschen Betrieb auf halber Agrarfläche drei Mal so viele Schweine halten. Die Intensität ist und bleibt das Problem.

Nichts geht mehr beim Bauen

Eigentlich seit langem, aber zurzeit verschärft wird die Landwirtschaft unseres Nachbarlandes nicht von Mengen- oder Preisproblemen beherrscht, sondern steht im Bann der Stickstoffkrise. Die Landwirtschaft ist einer der größten Emittenten von Stickstoff/Ammoniak. Jahrelang hat die Regierung auf Druck der Agrar- und Exportlobby nichts dagegen unternommen. 2019 hat das oberste Gericht verfügt, dass man sich an die EU-Gesetze halten und die Naturschutzgebiete (Natura 2000) schützen müsse, die man mit viel Geld der EU eingerichtet habe. Die Regierung hat 162 Gebiete ausgewiesen, die angrenzenden Betriebe sind besonders von den Restriktionsmaßnahmen betroffen bzw. gefährdet. Als hauptursächlich gilt die Gülle der Schweine und Rinder. Das Problem hat sich so sehr ausgeweitet, dass in besonders intensiven Regionen wie in der Schweinegegend Nordbrabant oder Südholland oder in der Rinderregion Gelderland nichts mehr geht. Stopp von Infrastrukturprojekten, kaum Hausbauten und Stallbauten schon gar nicht – überall muss der CO2-Ausstoß gesenkt werden. Das Land ist im Würgegriff des Stickstoffs, sagt uns ein Mitglied der neuen BürgerBauernBewegung (BBB). Besonders der Häuserbau ist eingeschränkt, was bei wachsender Bevölkerung natürlich zu erheblichen Reaktionen führt. Die Einführung des Tempo 100 auf Autobahnen vor zwei Jahren als Kompromiss, um sich nicht mit den protestierenden Landwirten anzulegen, hat keine Befriedung gebracht. Nun muss Den Haag liefern und sucht in Gesprächen eine Lösung. Bis zu 3000 stark emittierende Höfe in Natura 2000-Gebieten sollen aufhören bzw. aufgekauft werden, zu einem Preis von 120% des Marktwertes. Im Einzelfall kann auch enteignet werden, was die Landwirtsseele kochen lässt. Die EU hat für ein Ausstiegsprogramm 1,5 Mrd. € genehmigt, um die Stickstoffeinträge zu verringern und den Ausstieg sozial abzufedern. Aber der Ausstiegswille ist gering.

Für den Bauernverband ist es nicht genug und überhaupt passt ihm die Richtung nicht, dass die wirtschaftlich potente Landwirtschaft einen großen Beitrag zur Stickstoffreduzierung leisten soll. Das Problem würde von „Ökos“ und der EU überbewertet. Die Tierhalter würden zu Sündenböcken gemacht, denen alle Schuld in die Schuhe geschoben würde. Zudem gehe es darum, einen Strukturbruch zu verhindern. Denn es könnte jeder vierte Betrieb betroffen sein. Beobachter halten die Lage für „völlig festgefahren“.

Schwächelnde Regierung

Hoffnung zieht die resistente Branche auch aus dem Erfolg der BauernBürgerBewegung (BBB), die seit ihrem grandiosen Wahlsieg im März auf Provinzebene Gesetze entschärfen bzw. verbessern will. Zudem könne es wegen der häufigen Regierungskrisen im nächsten Jahr zu vorgezogenen Neuwahlen kommen, vermuten Politkenner. Dann könnte die populistische BBB ein gewichtiges Wort mitreden. Angesichts eines drohenden Machtverlustes rücken auch Parteien der Regierungskoalition von ihren Plänen der Stickstoffhalbierung bis 2030 ab. Aber zunächst einmal verliert man wieder Zeit und Planungssicherheit vor allem für junge Betriebsinhaber. Schließlich ist der Stickstoff/Ammoniak/Feinstaub-Überschuss nicht wegzudiskutieren. Die Agrarlobby setzt weiterhin auf technischen Lösungen mit Filtersystemen, eiweißreduzierter Fütterung, noch luftdichteren Ställen, Kot-Harn-Trennung und dem freiwilligen Ausstieg im „normalen“ Strukturwandel.

Umweltschützer, aber auch Gerichte und Ökonomen der Agraruniversität Wageningen halten das für unzulänglich. Das Stickstoffproblem lasse sich mit so vielen Tieren unmöglich lösen. Ohne eine drastische Senkung der Anzahl der Tiere gehe es nicht.

Vion in Schieflage und auf Qualitätssuche

Auch die landwirtschaftsnahe Rabobank hält ein smartes “Weiter so“ für sehr unwahrscheinlich. Ihre Empfehlung ist, das Heil zukünftig nicht in der Mengenproduktion, sondern in der Qualität zu suchen. Vion, der mit Abstand größte Fleischkonzern, hält intensiv nach neuen Strategien Ausschau und baut vor allem im wichtigen deutschen Markt ständig das Unternehmen um, zumal man in den letzten zwei Jahren kräftige Verluste verzeichnete. Für 2022 hat der Konzern mit 108 Mio. Nettoverlust wieder rote Zahlen geschrieben, obwohl der Umsatz um 16% auf 5,3 Mrd. € gesteigert wurde. Aber Restrukturierungskosten und Wertminderungen durch Aufgabe von Standorten usw. vor allem in Deutschland haben das Ergebnis verhagelt, so dass auch keine Dividende gezahlt wird. Man rechnet mit weiter sinkenden Schlachtzahlen in beiden Ländern, weshalb man seine Kapazitäten und Zielsetzungen anpassen müsse.

Dazu gehört auch ein stärkeres Augenmerk auf Tierwohl- und Biofleisch. Besonders der deutsche Biomarkt ist seit Jahren attraktiv. Da erwartet wird, dass demnächst der deutsche LEH heimische Bio-Waren bevorzugt, ist Vion auch in Deutschland verstärkt auf Erzeugersuche für sein Programm „der Grüne Weg“. Zudem würde die Branche gern ihr „beter leven“–Tierwohlprogramm, das in Holland bereits hohe Marktanteile im Einzelhandel verzeichnet, nach Deutschland ausweiten und in die Initiative Tierwohl (ITW) liefern. Der Export und der deutsche Markt bleiben im Fokus.

Der Marktbeobachter ist übrigens der Meinung, dass in Holland wie in allen anderen EU-Schweinezentren der Tierabbau, ein Umbau der Tierhaltung (Schwein und Rind) und eine Transformation der erfolgsverwöhnten Exportagrarwirtschaft kaum zu verhindern ist, auch wenn aktuell die Stimmung auf den Höfen und in den Provinzen unserer Nachbarn hochbrisant, nicht gerade reformfreudig und ein „heißer Herbst“ und populistischer Vorwahlkampf nicht ausgeschlossen ist.

05.07.2023
Von: Hugo Gödde

In den Niederlanden hat die Auseinandersetzung um die Nutztierhaltung schon mehrfach Trecker statt auf die Felder zumProtest auf die Straße geführt. Foto: Frank Magdelyns/Pixabay