Marktbeobachtungen von Hugo Gödde +++ Seit der inflationsbedingten Biokrise 2022/23 treibt vor allem der LEH bzw. Discount den Bio-Umsatz voran. Der Anteil liegt inzwischen bei deutlich über 60%. Auch manche Bioverbände, die früher den Lebensmittelketten kritisch gegenüberstanden, setzen nun voll auf die fünf Handelskonzerne. Und in der Tat bauen Aldi, Edeka und Co. ihre Bio-Sortimente aus. Die Umsatzverschiebung vom Naturkosthandel zum konventionellen Handel beschleunigt sich. Die Bioläden fassen nur teilweise und mit Mühen wieder Tritt. Aber das Tempo wird vom konventionellen Handel vorgegeben. Vor allem Discounter (Aldi, Lidl) und Drogeriemärkte (dm, Rossmann) preschen vor.
Locken über den Preis
Der klassische LEH wächst in erster Linie über Eigenmarken. Die Bio-Labels von „Gut bio“ (Aldi), „Rewe bio“ bis „Lidl bio“ vermarkten in erster Linie das „günstigere“ EU-Bio. Nahezu 60% des Marktanteils liegt bei den Eigenmarken. Herstellermarken spielen allenfalls bei den Supermärkten eine gewisse Rolle, die damit eingefleischte Kunden aus den Bioläden abwerben wollen. Z.B. soll dm fast eine halbe Milliarde Euro Umsatz mit ihrer Eigenmarke in diesem Jahr anstreben. Der Ausbau geht oft über den Preis, wobei Aldi und dm um die Preisführerschaft ringen. Discounter preschen nach Angaben der „Lebensmittelzeitung“ mit Nachlässen zwischen 10 und 40% für Ökoprodukte vor und testen neue Preisschwellen. Man spricht von Tiefstpreisen, um die Kundenreichweite zu erhöhen. Immer wieder werden neue Aktionen mit EU- und auch schon mal mit Verbandsware angeboten. „Bis zu 33% sparen“, heißt es bei Aldi. Einzelne Produkte wie Bio-Käse bei Lidl werden bis 40% reduziert. Kaufland wirbt mit einer Rabattschlacht von 50 Produkten in einer Woche. Die „Aktionitis“, früher bei Bio verpönt, ist voll im Biomarkt angekommen.
„Normales“ Handelsverhalten steigt auch bei Bio
Gleichzeitig baut Aldi Süd (deutlich weniger Aldi Nord) sein Bio-Sortiment mit Naturland-Verbandsware unter der Marke „Nur Nur Natur“ allmählich aus. Bis Ende des Jahres soll sich der Anteil auf 25% erhöhen – das aber mit nur 50 Produkten, woraus Marktkenner ersehen, dass das dauerhafte Angebot an Bioprodukten immer noch niedrig bleibt. Geworben wird stark über einzelne Aktionspreise. So hat Edeka eine Zeitlang mit einem Preissturz von 23% auf Bio-Milch getrommelt. Nicht selten werden die Preisgefechte von einem Händler ausgelöst, dem dann andere mit anderen Produkten folgen. So warb Aldi auch schon mal auf zwei Seiten im Handzettel mit bis zu 35% Rabatt im Preiseinstieg.
Überhaupt setzt sich zurzeit mit dem Preiseinstieg eine günstigere Preisebene neben dem normalen Angebot durch, was man früher besonders vom klassischen Einzelhandel kannte, der damit dem Discount Paroli bieten wollte.
Aber auch die „Fachhandelskonzerne“ Alnatura und Dennree spielen beim Preisgefecht mit. Denns Biomarkt hat seine Aktionen verstärkt mit bis zu 40% Rabatt. Alnatura verfolgt eine andere Strategie, indem man keine ständig wechselnden Aktionspreise vorhält, stattdessen bestimmte Sortimente zum Dauertiefpreis anbietet. Biokonsum sei eine Bewusstseinsfrage, argumentiert Alnatura-Chef Rehn. Ob permanente Tiefpreise dem Anspruch gerecht werden, bezweifeln viele Marktteilnehmer.
Alnatura-Streit mit LEH-Partnern
Mit seiner Discountpreis-Eigenmarke „Prima! Alnatura“ hat sich Alnatura, der mit jeweils ca. 550 Mio. Euro etwa gleich viel über die eigenen Läden und über den Großhandel absetzt, nicht nur Freunde bei seinen LEH-Abnehmern gemacht. Auch wenn die Eigenmarke nur etwa 50 Produkte auflistet, die nur in den eigenen Läden deutlich günstiger angeboten wird, reagieren Edeka und Hit prompt und wollen perspektivisch ca. 100 Alnatura-Produkte durch ihre Eigenmarken ersetzen. Im letzten Jahr hatte Alnatura seine Markenprodukte deutlich verteuern müssen, womit man sich vom Preiseinstieg zu sehr entfernt habe, wie Edeka verlauten lässt. Alnatura will sich im LEH nicht im Niedrigsegment verorten lassen, zugleich aber Bio-Qualität günstig anbieten. Das könnte eine Quadratur des Kreises bedeuten.
Bauern fürchten falsche Signale
Landwirtschaftliche Erzeuger sehen die Entwicklung in Richtung Preiseinstieg kritisch. Noch hat sich das Preisgebahren nicht im gesamten Markt durchgesetzt. Bei aller Sprunghaftigkeit der Erzeugerpreise werden einzelne Marktsegmente wie Rind- und Schweinefleisch, Kartoffeln oder Eier durchaus positiv bewertet – andere wie Milch oder Getreide leiden unter fehlenden Kostenausgleich. Außerdem ist der Markt von erheblicher Spreizung durch billige ausländische Ware (Schwein, Getreide) und mangelnde Transparenz gekennzeichnet. Ex-Demeter Vorstand Clemens Fischer erklärte in einem Interview mit der Lebensmittelzeitung: „Der LEH sollte die Finger davon lassen, Preiseinstiegsschwellen weiter nach unten zu ziehen.“ Verbandsvertreter von Bioland und Naturland sind bei ihren Verträgen mit dem Discount damit angetreten, den Discount zu verändern und Problembewusstsein zu vermitteln – wohl mit begrenztem Erfolg. „Es gelingt uns aber nicht, den LEH zu überzeugen, dass er Kunden mit ständigen Aktionen zu noch niedrigeren Preiserwartungen erzieht. Das ist das falsche Signal,“ weiß ein Verbandsmanager.
Der Marktbeobachter sieht die vielfältigen Sorgen von Erzeugern zunehmend bestätigt, dass der großflächige Einstieg bzw. Ausbau der Bioprodukte durch Discount und LEH verbunden wird mit einem Preissenkungskonzept. „Bio – aber günstig“ galt vielen in der Bio- Szene immer als obsolet. Qualität hat ihren Preis und darf nicht verramscht werden, z.B. durch vielfältige Formen der Aktionshämmer oder durch Rabattschlachten. Lange Zeit sah sich die Bio- Szene die Preisdrückerei im konventionellen Handel nur von Ferne an. Mehr Menge, aber weniger Wertschöpfung beim Erzeuger, dem schwächsten Glied in der Lieferkette war bisher das Kennzeichen im normalen Markt. Die DNA des Discounts ist nicht die Weltverbesserung oder die hohe Lebensqualität, sondern die eigene Marge. Das darf man bei allen wichtigen – und manchmal guten - Geschäftsbeziehungen nicht vergessen. Wenn sich das Discount- Verständnis im Zuge der Markterweiterung („30%- Ziel) jetzt auch bei Bio durchsetzen sollte, verbunden mit dem Wachsen oder Weichen in der Bio- Landwirtschaft und im Naturkosthandel, stände die ganze Aufbauarbeit der letzten Jahrzehnte auf dem Spiel. Noch sind Chancen durch Zusammenarbeit auf Augenhöhe gegeben, perspektivischer ist eine engere Kooperation auf Erzeugerebene.