Marktbeobachtungen von Hugo Gödde +++ Vor neuem Aufschwung, Konsolidierung nur durch Einzelhandelskonzerne, klassischer Strukturwandel mit Wachsen oder Weichen, Abbau des Bio-Mittelstands, Grundskepsis bei Bäuerinnen und Bauern – die Attribute für die Situation auf den Biomärkten sind vielfältig. Manche halten die Bio-Krise der letzten Jahre für überwunden, andere sehen eher eine grundlegende Konventionalisierung von der Erzeugung bis zur Ladentheke, die die (alten?) Bio-Werte beiseiteschiebt. Wieder andere halten die gegenwärtige Marktlage für eine Übergangsphase zu einem stärkeren Konkurrenzkampf auch im Biosegment. Und was bedeutet es für die Bäuerinnen und Bauern?
Zurückhaltung durch Unsicherheit
Wenn man die aktuellen Umsatzzahlen nicht mit den Boom-Jahren 2020/2021 vergleicht, sind die Nachfragewerte und die Preisentwicklungen in vielen Bereichen des Ökolandbaus gar nicht schlecht. Allmählich hat sich die Bio-Branche aus der Delle 2022/23 herausgearbeitet. Aber die Unsicherheit hat Spuren hinterlassen, das Polit-wünsch-dir-was von 30% Bio bis 2030 und vom „EU-Green Deal“ ist abgeräumt und die Zurückhaltung bei der Umstellung in der Landwirtschaft größer geworden. Trotz leicht verbesserter Lage am Biomarkt geht das Umstellungsinteresse gegen Null. Zugleich starren auch die „Bios“ auf das Wachstum als die scheinbar einzige Lösung. Die Mühen der marktwirtschaftlichen Ebene haben Einzug gehalten, nennt es ein alter Biolandbauer.
Milchpreise steigen langsam, aber kontinuierlich
Dabei haben in verschiedenen Bereichen die Erzeugerpreise zugelegt. Der wichtige Biomilchpreis wächst seit Jahresbeginn auf im Mai 64,6 ct/kg und damit ca. 15% über Vorjahr. Der kalkulierte kostendeckende Preis von 69 ct/kg ist zwar noch nicht erreicht, rückt aber näher. Der Abstand zum seit Januar stagnierenden konventionellen Preis erhöht sich wieder. Grund ist der leicht steigende Absatz bei geringerer Erzeugung, wobei der Rückgang in Deutschland mit Minus 1% noch deutlich unter dem EU-Schnitt von fast 5% liegt (Frankreich und Dänemark minus 10%). Einzig Österreich von den größeren Bio-Milchländern legt 2% zu. Biomilch ist gefragt. Scheitz, die größte Bio-Molkerei, sucht bereits offensiv mit Veranstaltungen nach neuen Lieferanten. Ähnliches ist aus anderen Regionen zu hören. Aber bisher ist die Resonanz noch auffallend ruhig. Auch der in Relation attraktivere konventionelle Erzeugerpreis lässt die Landwirte zögern. Die Unsicherheit der letzten Jahre wirkt nach.
Mit Bio-Schweinen Geld verdienen
Die Nachfrage nach Bio-Schweinen, vor allem aus dem Einzelhandel, kann seit Monaten nicht gedeckt werden. Folglich steigen die Preise kontinuierlich an – um 5 bis 8% über Vorjahr je nach Marktweg. Wie drückte es ein Bioland-Mäster aus: Wer jetzt kein Geld verdient, wird es niemals tun. Andere klagen über gestiegene Futtermittel und andere Kostenfaktoren, die den Gewinn auffressen. Neben dem knappen Angebot ist die Sortimentserweiterung auf Wurstprodukte bei Aldi Süd, Edeka u.a. dafür verantwortlich, während der „reine“ Fleischverkauf laut AMI eher rückläufig ist. Ob große Schlachthöfe billig im Ausland zukaufen oder den Bio-Preis querfinanzieren, um konventionelle Regalplätze zu sichern, bleibt ein „Geheimnis des Marktes“. Manche Bio-Schweineexperten erwarten einen Stallbauschub durch die Umsetzung des „Bundesprogramm Umbau der Tierhaltung“. Aber kurzfristig ist das nicht.
Durch die Discount-Verträge haben besonders die Verbandsbetriebe Vorteile, die sinnvollerweise z.B. zu stabilen Wertschöpfungsketten von Mästern und Ferkelerzeugern genutzt werden. Ändert sich der Schweinepreis, wird zugleich der Ferkelpreis angepasst. Für die konventionelle Schweinbranche ist das Zukunftsmusik.
Rindfleisch auf Rekordniveau
Der Druck des Höhenflugs des „normalen“ Rindermarktes hat auch den Bio-Rindpreis vor sich hergetrieben. Zeitweilig lagen die Preise fast gleichauf. Bio-Bullen und Bio-Kühe werden 30% und mehr über Vorjahr bezahlt. In den Läden kommen die höheren Preise erst allmählich an. Die Sorge, dass die Kunden abspringen, lässt den Handel zögern. Trotzdem sind laut AMI die Verkaufsmengen des Bio-Rindes seit Jahresanfang um 10% gesunken. Dennoch bleibt die Ware knapp, da auch schon mal Bio-Tiere auf dem „normalen“ Markt lukrativ gehandelt werden. Der Naturkosthandel spielt eine geringe Rolle. Vor allem die oft handwerklich strukturierten Verarbeiter für den Fachhandel haben große Schwierigkeiten, mit den Großen mitzuhalten. Ohne Verlässlichkeit und Treue langjähriger Lieferanten haben sie es in der neuen Bio-Welt schwer. Hoffentlich erinnern sich die Landwirte, wer den Biomarkt „einst“ groß gemacht hat.
Eier, Geflügel, Kartoffeln gesucht
Die knappe Verfügbarkeit ist auch bei Eiern und Geflügel ein Hauptthema. Bei Kartoffeln ist eine Bewertung noch zu früh – ähnliches gilt für Brot- und Futtergetreide. Abzuwarten bleibt das Ergebnis der Ernte und der Mischfutterpreise. Nach einem Schub zu Jahresbeginn haben sie lange Zeit stagniert. Nun scheint Bewegung in den Markt zu kommen. Aber die Händler bedienen sich zunehmend im Ausland. Auch das wird das neue „normal“.
Allianzen und Blick ins Ausland
Die Anforderungen des Einzelhandelsmarktes und die knappe Warenverfügbarkeit lassen auch alte Strukturen überholt erscheinen. So haben sieben Verbände unter Führung von Bioland länderübergreifend eine Allianz zum „besseren Rohwarenmanagement“ gegründet. Aber damit will man auch den Wettbewerb zu Naturland, dem Marktverband Nr. 1, vertiefen, obwohl man zuvor noch mit Rahmenvereinbarungen die Kooperation betont hatte. Später (!) soll auch die Sicherung kostendeckender Erzeugerpreise auf der Agenda stehen. Ob das die Marktmacht der Erzeuger (oder nur der Verbände?) stärkt, wird sich zeigen müssen. Die Bereitschaft zur Umstellung auf Biolandbau ist auf landwirtschaftlicher Seite weiterhin gering.
Auch in anderen EU-Ländern klemmt die Bioentwicklung. Deutschland und Frankreich erzielen mit 28 Mrd. € Umsatz etwa 60% der EU. In Frankreich ist die Ökofläche das zweite Jahr in Folge geschrumpft. Jetzt hat die Regierung versprochene, aber nicht abgerufene Gelder für den Ökolandbau gekürzt. Dänemark, EU-Nr. 1 im Bioverzehr pro Einwohner, lobt zwar sein Bio-Wachstum, dabei hat sich die Bio-Fläche um 3% verringert. Und der Umsatzträger Nr. 1 sind wenige große Möhrenproduzenten, die 25% des gesamten Bio-Umsatzes ausmachen, und nicht selten den EU-Bio-Möhrenmarkt fluten.
Für den Marktbeobachter ist die Umstellungszurückhaltung aus bäuerlicher Sicht eine verständliche, aber keine gute Nachricht. In der Vergangenheit waren es häufig die kleineren oder mittleren Betriebe, die zu Bio wechselten, weil sie den permanenten Druck zum Größenwachstum nicht mehr mitmachen wollten oder konnten. Nicht umsonst ist gerade in kleinstrukturierten und grünlandgeprägten Regionen Süddeutschland der Bio-Anteil am höchsten. Für viele Höfe war/ist es ein Ausweg. Was ist die Alternative, wenn diese Möglichkeit ausbleibt? Eine wachsende Zahl der Betriebe setzt zu Recht auf Differenzierung wie erneuerbare Energien, auf Direktvermarktung und hofnahe Dienstleistungen, wenn der Standort passt. Aber ein Selbstläufer ist es nicht. Deshalb ist es so wichtig, den Biolandbau als Einkommens- und Betriebsperspektive zu erhalten und nicht den kapitalkräftigen Haien zu überlassen. Eine bäuerliche Verteidigungsstrategie steht auf der Bio-Tagesordnung – nicht großspurige Wachstumssehnsüchte.
