Bio-Markt: Von Preiseinstiegen, Marktverlagerungen und Billig-Bio

Marktbeobachtungen von Hugo Gödde +++

Es ist keine neue Erkenntnis, dass der Bio-Markt zurzeit diverse Windungen und Wendungen vollzieht. Unabhängig von der Frage, ob es sich nur um eine vorübergehende Absatzdelle handelt oder um eine sich auswachsende Krise, führen die Unwuchtungen des Marktes schon jetzt zu Veränderungen in den Strukturen von der Erzeugung bis zum Verkauf, die bleibende Wirkungen haben werden.

Im Handel spielt die Musik

Schon seit Corona ist der Einzelhandel einschließlich Discount der Absatzweg der ersten Wahl. Dort werden etwa zwei Drittel der Bioprodukte abgesetzt mit aktuell steigenden Anteilen, während der Naturkosthandel bei etwa 20% noch verliert. Angetrieben vom 30%-Ziel der Bundesregierung und ähnlichen Vorgaben in den Bundesländern (vornweg Bayern) stürzt sich quasi die gesamt Bio-Branche auf die Einzelhandelskonzerne. Naturland hält den LEH/Discount für den „Schlüssel“ einer dynamischen Weiterentwicklung und hat sich Verträge mit Aldi Nord und Süd sowie netto (Edeka-Discounter) gesichert, neben Rewe, die sie bereits seit 14 Jahren beliefern. Bioland hat vor ein paar Jahren mit der Vereinbarung mit Lidl die „Discount-Büchse der Pandora“ geöffnet. Ein Discounter bleibt in der DNA ein Discounter, hatten Kritiker damals vorsichtige Hinweise gegeben. Verändern wir den Einzelhandel oder verändert er den Biomarkt und den Bio-Anbau, stand bei den heftigen Diskussionen immer im Raum.

Eigenmarken und Preiseinstieg

Tatsächlich hat der Einzelhandel seit 2022 seine Bio-Marktanteile noch einmal erhöht und in 2023 ein Umsatzplus (weniger Mengenplus) von 7% zu Lasten des Naturkosthandels erzielt. Das Wachstum liegt vor allem im Eigenmarkensegment des LEH – und im Preiseinstieg, d.h. im Billigbereich. Alle Händler gehen davon aus, dass in diesen Krisenzeiten Bio billiger werden muss, um am Markt zu bestehen. So wollen sie den Absatz ankurbeln und die Inflation senken. Landwirte kämpfen mit Absatzproblemen und die Verhandlungen der Verarbeiter stehen unter wachsendem Druck. Der Bio-Schmusekurs weicht einer härteren (normaleren?) Gangart.

Tegut, die Supermarktkette mit dem höchsten Bio-Anteil von 29%, verdoppelt innerhalb eines Jahres das Bio-Sortiment der Eigenmarke „Tegut Bio zum kleinen Preis“. Aldi Süd und dm haben ihre Preiseinstiegsmarken kontinuierlich ausgebaut. Besonders dm kämpft um die Preisführerschaft. Aber auch bei den Größen des Naturkosthandels ist die Strategie angekommen. Spitzenreiter Dennree hat sein Label „Bio für jeden Tag“ auf 200 Artikel aufgestockt. Alnatura setzt mit der Marke „Prima! Alnatura“ dagegen auf Preiseinstieg und Dauerniedrigpreisen. Der klassische Bioladen gerät weiter unter Druck. Immerhin waren die Umsätze im Juni erstmals wieder leicht positiv, sagen Konsumforscher. Tegut sieht sich mit diesem Vorgehen auf dem Weg aus der Absatzdelle und baut den Preiseinstieg quer durch das Sortiment mit Schwerpunkt auf Frischeprodukte, d.h. Obst und Gemüse, Milchprodukte und Fleisch aus. Das Billig-Label basiert auf EU-Bio und liegt preislich sogar noch 20% unter Alnatura, die für Tegut traditionell als Ankermarke fungiert.

Gegen diese Offensive der Handelsriesen wehrt sich der Fachhandel sehr defensiv. Volkmar Spielberger warnt in der „Lebensmittelzeitung“ vor einer einseitigen Ausrichtung auf die großen Handelskonzerne, um rasch den Bio-Anteil anzuheben. „Wir brauchen nicht nur Bio-Diversität zum Erhalt unserer Lebensgrundlage, sondern auch eine Handelsdiversität. Denn vielfältige und regionale Handelsstrukturen tragen zur Stabilität der Wirtschaft bei und fördern Innovationen. Marktkonzentrationen sorgen für den Verlust von Vielfalt und Resilienz.“ Ob diese Argumentation, so richtig sie ist, einen Marktteilnehmer bewegt, erscheint doch eher fragwürdig.

EU-weit im Fokus: Preisbildung und Margen

Die Auswirkungen dieser „neuen“ Preisbildung ist in der Breite bisher noch nicht im Markt angekommen, auch wenn manche bereits von „partiellem Verramschen“ (Richard Mergner, BUND Bayern) sprechen.
Aber die Diskussion um faire Preise, Produktionskosten und Margen wird intensiver. Erste Untersuchungen prüfen, ob auch im Biomarkt die alten konventionellen Rechnungen der Rückwärtskalkulationen (vom Regal zum Erzeuger) gelten, in denen der Landwirt bekommt, was übrig bleibt. In vielen europäischen Ländern liegt die Teuerung der Nahrungsmittelpreise deutlich über der normalen Inflation, obwohl die Erzeugerpreise weitgehend stagnieren. Auch die Anteile in den Bio-Wertschöpfungsketten stehen inzwischen europaweit im Fokus einer „fairen Verteilung“ der Handelspartner. Schweizer und französische Verbraucherschützer sprechen von einer doppelt so hohen Marge bei Bio wie bei konventionellen Produkten. Die österreichische Plattform „Oekoreich“ kritisiert den Biowucher und der offizielle Schweizer Preisüberwacher beklagt die „Gierflation“ von Handel und Industrie. Brancheninsider kritisieren seit langem die klassischen Kalkulationen. Die auch auf Bio und andere hochwertige Produkte angewandt werden. Demnach wird auf den Einkauf stumpf ein fester Prozentsatz aufgeschlagen, unabhängig von den Zusatzkosten im Verkauf. Dadurch werden hochpreisige Waren noch einmal deutlich teurer, obwohl im Handel ein relativ geringer Ressourcenverbrauch (Rohstoff, Energie, Arbeit) stattfinde und geringe Nachhaltigkeitskosten entstünden. Die verbreiteten Aufschläge von 30 bis 70% bzw. erst recht die Aufschläge in Euro und Cent sabotierten die Nachhaltigkeit, hat die vielzitierte englische Kearney-Studie „Why todays pricing sabotages sustainability“ analysiert. Sie fordern, dass die Denkweise und Buchhaltungslogik der Unternehmen von einer relativen auf eine feste Marge umgestellt werden müsse.

Klaus Braun, Bio-Konsumforscher und Bio-Berater, vermutet im Interview mit dem FairBioVerein, „dass sich die Margen in den 18 Monaten massiv verändert haben. Die Preissteigerungen im klassischen LEH sind extrem hoch ausgefallen. Insbesondere bei Bioprodukten hat sich der LEH kalkulatorisch anders verhalten als zuvor und das Preisniveau des Bio-Fachhandels damit teilweise sogar übertroffen. Der inhabergeführte Bio-Fachhandel hat im Gegensatz dazu die gestiegenen Kosten eher vorsichtig und zurückhaltend auf die Verbraucherpreise umgelegt. Dadurch geraten einige Händler nun in eine finanzielle Schieflage.“ Genützt hat ihnen die Vorsicht wenig. Dagegen hätten die klassischen Händler gute Spannen erzielt.

Der LEH agiere insgesamt (noch?) preisfriedlich und realisiere eher hohe Spannen, weil er Bio als Premiumsegment einsetzt, sieht Achim Spiller von der Uni Göttingen eher einen Preiskampf und keinen Preiskrieg. Im Gegenteil ließe die viel effizientere Logistik im Handel und bei den Lieferanten noch Spielraum für Preissenkungen, dies sei aber bisher nicht gewünscht. Die Discountmentalität des „the winner takes it all“ breitet sich aus. Aber für Experten treffen die Befürchtungen aktuell nicht zu, dass der Handel im gesamten Sortiment massiv die Erzeugerpreise drückt, meist zahlt er „normale“ Bio-Preise im schmalen ausgesuchten Eckprodukten. Doch er dehnt den Preisdruck weiter aus und könnte seinen Biokurs schnell ändern, wenn mangelnde Nachfrage oder Änderungen in der Mainstream-Kultur das ratsam erscheinen lassen.

Milch als Kampfzone

Diese Entwicklung ist besonders im Milchmarkt zur Zeit heftig umstritten, was gleichermaßen die Milcherzeuger wie die Molkereien trifft. Die Abschlüsse für Bio-Milchprodukte seien in letzter Zeit „fürchterlich“, wie ein Milchverarbeiter gestand. Wer nicht „preisgerecht“ anbiete, würde wie beim Bio-Käse schnell mal ausgetauscht. Im Kampf um Listungen gehe auch für Genossenschaften kein Weg an einer Kürzung des Auszahlungspreises vorbei. Hubert Dennenmoser, Geschäftsführer der Allgäu Milch, mit 135 Mio. kg in 2022 Nr. 2 am Bio-Milchmarkt (siehe Statista-Grafik), fürchtet, dass über 50% der Bergbauernhöfe im Allgäu in den nächsten Jahren aufgeben müssten. Ähnlich wie Arla oder die Schwarzwaldmilch, die überschüssige Milch mit deutlichem Verlust am Spotmilchmarkt oder konventionell vermarkten, hoffen sie auf eine Trendumkehr. Besonders reine Biomolkereien, die die Produkte nicht quersubventionieren können, stehen massiv unter und liegen im Erzeugerpreis auf den hinteren Plätzen.

Im Milchmarkt steht viel auf dem Spiel. Schließlich ist Grünland das Feld des biologischen Landbaus und die Milcherzeugung der Gradmesser für die Vielzahl der bäuerlichen Bio- Betriebe.

Der Marktbeobachter sieht den Umbruch im Bio- Markt mit Gewinnern und zahlreichen Verlierern gerade bei Naturkost, kleineren Verarbeitern (Milch, Fleisch) und Bäuerinnen und Bauern. Die Einkommen der Bioerzeuger sind im letzten Jahr gesunken und zurzeit sieht es in vielen Sparten nicht besser aus. Umstellung kann man erst einmal vergessen. Konsolidierung steht auf der Tagesordnung. „Big is beautiful“ heißt wieder die kapitalistische Marktdevise. Wachsen oder weichen wird nun auch auf den Biosektor übertragen. Dabei war die Abkehr von dieser Agrarformel eines der Grundpfeiler der Pioniere der Biobranche. Und nicht vergessen: Biolebensmittel wurden von den Bäuerinnen und Bauern erfunden, nicht vom Handel, der Industrie, der Politik oder der Wissenschaft.  Sie fordern jetzt faire Preise ein – ein Begriff, den große Konzerne erst lernen müssten. Vielleicht ist er „nur“ ein Kampfbegriff gegen einen übermächtigen „Partner“. Oder ist es eher eine Hilferuf an die Politik, sie auf dem Markt nicht allein zu lassen.