Marktbeobachtungen von Hugo Gödde +++ Großes Aufatmen auf der Biofach. Der Biomarkt hat die Delle überstanden und hat im letzten Jahr um 5,7% auf 17 Mrd.€ zugelegt. Der Anstieg war damit etwa so stark wie 2023. Nur ist dieses Mal nicht der Preis, sondern die Absatzmenge der Umsatztreiber. Die Vorsitzende des Bund Ökologische Lebensmittelwirtschaft (BÖLW) Tina Andres wertete das Plus als Erfolg, warnte aber davor, dass das Wachstum nicht von heimischen Bioproduzenten stamme. „Wir können nicht zulassen, dass der zweitgrößte Biomarkt der Welt zu einem Importmarkt wird“, betonte Andres. Dadurch würden wertvolle Chancen für die heimische Landwirtschaft verspielt.
Weniger Betriebe, fast gleiche Fläche
Wenn man hinter den Umsatzjubel blickt, stellt sich ein differenziertes Bild ein. Die ökologisch bewirtschaftete Fläche in Deutschland stagniert. 2024 betrug das Flächenwachstum 2024 nur noch marginale 7.500 Hektar, bei 1,9 Mio. ha Biofläche insgesamt. Der BÖLW veranschlagt den Anteil der Bio-Fläche auf 11,4%, im Jahresvergleich ein Zuwachs von 0,4 Prozentpunkten, ähnlich ist das Flächenplus der Verbandsbetriebe. Hier rettet allein Naturland mit einem Wachstum von 5% die Bilanz, während Bioland, Biopark, Biokreis und Demeter Flächen einbüßten.
Die Zahl der Biobetriebe sank im zweiten Jahr hintereinander geringfügig auf nun 36.134 Betriebe, wobei die Verbandsbetriebe mit minus 2% einen größeren Aderlass hatten als die EU-Bio-Betriebe. Etwa 55% der Betriebe wirtschaften ohne Verband.
Discount der Gewinner
Das verwundert umso mehr als die Discounter, allem voran Aldi und Lidl, der große Gewinner am Markt sind. Ihr Anteil wuchs auch im letzten Jahr überproportional. Dabei werben sie breit mit Verbandsbio (Lidl mit Bioland, Aldi mit Naturland usw.), aber auf die Betriebszahlen wirkt sich das bisher nicht positiv aus (außer Naturland). Zugleich ist der Anteil der Handelsmarken (Aldi Bio, Lidl Bio, Edeka Bio usw.) deutlich gestiegen, während die klassischen Bio-Hersteller weiterhin Anteile verlieren, weil sie zwar in die Handelsmarken liefern können, aber ohne ihre teuer aufgebauten eigenen Biomarken. Auch der Naturkosthandel legt zwar zu, verliert aber weiterhin Anteile. Da die beiden mit großem Abstand führenden Spitzenreiter Dennree und alnatura überproportional zulegen, ist die breite Bioladenbewegung erneut der Verlierer. Die Konzentration im Markt, aber auch im Naturkostmarkt nimmt drastische Formen an. Diese Entwicklung sehen nicht wenige Marktteilnehmer kritisch. Andreas Hopf, Geschäftsführer einer bayerischen Vermarktungsgemeinschaft bringt es auf den Punkt. „Der Preisdruck ist der vorherrschende Trend am Biolebensmittelmarkt.“ Dabei befindet sich der Markt in einer Wachstumsperiode und ist in vielen Segmenten eher unterversorgt, z.B. bei Schweine- und Rindfleisch oder Speisegetreide. Auch bei Milch, Geflügel, Eiern, Gemüse oder Kartoffeln sehen Marktexperten eine steigende Nachfrage. Gerade im Fleischbereich sind die Erzeugerpreise seit Monaten auf einem Allzeithoch.
Trotzdem ist die Stimmung unter Bio-Landwirten angespannt. Schließlich haben sich auch die Kosten (Futter, Energie, Löhne, Dienstleistungen usw.) enorm verteuert. Andererseits scheint vielen Marktkennern die Stimmung schlechter als die Lage.
Trotz „Boom“ keine Umstellungen
Von den Erfolgsmeldungen lassen sich die Landwirte wenig beeindrucken. Nahezu alle Verbände melden eher Rückumstellungen und auch keine Umstellungsinteressierten, die dann in zwei Jahren die Nachfragen bedienen könnten. Manche Verbandsvertreter wie Andreas Hopf träumen zwar angesichts des Absatzplus‘ und der guten Perspektiven von einer Umstellungswelle, die demnächst bevorstehe. Aber ein (stabiler?) Nachfrageboom bei gleichzeitigem Preisdruck überzeugt zurzeit nicht. Auch das Absatzwachstum in 2023/2024 ist wohl weitgehend auf Importe aus den europäischen Nachbarländern Österreich, Niederlande, Dänemark, Frankreich zu erklären. Das gilt für fast alle Erzeugungssektoren. Der Boom von ca. 30-40% z.B. bei Schweinefleisch seit Coronazeiten ist nur mit Importen zu decken. Heimische Bio-Schweineschlachtungen haben sich bei ca. 350.000 bis 400.000 im Jahr eingependelt. Bio-Schweine sind in den Niederlanden und besonders in Dänemark erheblich günstiger einzukaufen – zur Freude der Viehhändler und Schlachthöfe.
Dennree befürchtet einen Rohstoffmangel und erwägt ein eigenes Förderprogramm. Alnatura hat bereits seit 2015 ein solches (kleines) Programm, das bisher 120 Betriebe unterstützt. Aber das Dilemma der steigenden Nachfrage bei gleichzeitigem Preisdruck bleibt. Und vom Preiswettbewerb sich zu entfernen, kommt für die beiden „Big Bios“ nicht in Frage. Der Druck durch die Konkurrenz sei zu groß. „Auf Aktionen können wir nicht verzichten. Sind Marken nicht auch in Aktion verfügbar, sinkt der Absatz merklich,“ so Dennree-Manager in der „Lebensmittelzeitung“.
Biolandwirtschaft hängt vom Milchpreis ab
Am Bio-Milchmarkt lassen sich die aktuellen Turbulenzen gut studieren. Biolandwirtschaft ist in erster Linie Grünlandwirtschaft, nur etwa ein Drittel ist Ackerbau. Ca. 65% der Biofläche wird von Rindern, besonders Milchkühen genutzt. Zudem konzentrieren sich die Betriebe besonders in Bayern, wo auch ca. 50% der Biomilch erzeugt wird. Deshalb steht natürlich die Milchwirtschaft und der Milchpreis im Zentrum der Auseinandersetzungen. Zwar ist der Preis der Biomilch im Dezember auf 61,5 ct/kg gestiegen und auch im Schnitt wird in 2024 mit etwa 58 ct/kg das Vorjahresniveau erreicht. Marktkenner erwarten zudem nach der aktuellen Preisrunde mit dem Einzelhandel, dass die Ladenmilch um 10 ct/kg ansteigt. Wieviel davon der Erzeuger (und die Molkerei) erhält, muss noch verhandelt werden. Dennoch fehlten nach Berechnungen des Milch Marker Index‘ und von Bioland/Naturland im letzten Jahr fast 12 ct/kg an der Kostendeckung. Marktexperten sehen konventionelle Milch mal wieder rentabler als Biomilch. Deshalb ist die Umstellungsbereitschaft eingebrochen, obwohl im letzten Jahr der Absatz um ca. 4% zugenommen hat und die Nachfrage zufriedenstellt. Aber es reicht nicht. Gerade viele kleinere/mittlere Betriebe haben in der Vergangenheit ihre Perspektive im Biomarkt gesehen und sind nun enttäuscht.
Jetzt auch noch die Weidepflicht
Zudem sind nicht wenige ernüchtert, weil jetzt auch noch eine existenzbedrohende EU-Richtlinie für 2025 angekündigt ist. Laut EU-Verordnung 2018/848 müssen alle Kühe Weidegang in der Vegetationsperiode nachweisen. Bisher hatten ca. 15% der bayerischen Betriebe mit einer Ausnahmeregelung für Innerortslagen bzw. nicht arrondierte Flächen gewirtschaftet. Auch Bayerns Landwirtschaftsministerin Kaniber sieht wenig Chancen für eine Verlängerung. Sogar Betriebe, die seit Jahrzehnten ökologisch wirtschaften, verlieren nicht nur den Bio-Milchpreisaufschlag, sondern fürchten auch um ihre Ökoprämie. Erwartet wird ein Ausstieg von 5% der Bio-Betriebe und ein Rückgang der Milchanlieferung von 4%. Molkereien wie Schwarzwaldmilch oder Gropper nennen es „kein kleines Problem“. Das würde die Importquote erhöhen. Österreichische Molkereien würden gern „aushelfen“, bietet sich die Salzburgmilch an. Schließlich habe man dort die Weidepflicht bereits 2022 umgesetzt.
Der Marktbeobachter sieht das Paradoxon, dass auf dem Biomarkt ein Nachfrageboom mit einem verschärften Preisdruck einhergeht. Die heimischen Bäuerinnen und Bauern profitieren von den besseren Absatzbedingungen zu wenig und stellen nicht um. Stattdessen steigt der Importanteil. Das ist aber mit den großen Zielen von 30% Biofläche in 2030 nicht gemeint. Es ist eben die Crux, wenn man sein Wohl zu sehr vom Discount/LEH abhängig macht. Aber für eine Rückbesinnung ist es wohl schon zu spät.