Der Lotse geht von Bord - Sepp Brunnbauer verlässt den Biokreis – ein Zeichen für die Biobranche?

Marktbeobachtungen von Hugo Gödde +++ Mehr noch als in anderen Branchen ist die Entwicklung des Biosektors von einzelnen Persönlichkeiten abhängig (gewesen). Das gilt sowohl für den Fachhandel wie für Herstellungsunternehmen, aber auch für manche Bioverbände. Was wären die Biomarken ohne die Pioniere von Völkel, Bauck, Bohn (Freiland-Puten) oder Josef Jacobi von der Upländer Bauernmolkerei? Was wären die Biomärkte ohne Greim (dennree), Rehm (alnatura), Kaiser (BioCompay) oder Radau (BioSuperMarkt)? Wo stände der Biogroßhandel heute ohne die mutigen Schrittmacher von Weiling, Wilhelm (Rapunzel), Heldberg (Elkershausen) bis Schritt (Kornkraft), um nur einige zu nennen? Auch die Bioverbände wurden immer auch bzw. werden noch getragen von starken Persönlichkeiten wie Thomas Dosch oder Jan Plagge bei Bioland. Viele der Pioniere in allen Teilen der Wertschöpfungsketten stehen heute – oder schon seit ein paar Jahren – vor dem Generationswechsel. Und der gelingt mal besser und mal weniger gut. Er ist immer eine Zäsur.

Keine Übereinkunft bei den Vorstellungen

Deshalb lässt es schon aufhorchen, wenn Josef Brunnbauer und Biokreis ab Oktober getrennte Wege gehen. Fast 30 Jahre verkörperte Brunnbauer wie kein anderer den kleinen, aber selbstständigen Verband aus dem Süden (Passau), der sich 1979 aus einer Verbraucherinitiative entwickelte. Für viele, ob Bäuerinnen und Bauern oder Vermarkter und Verarbeiter, war Brunnbauer das Biokreis-Gesicht. Zusammen standen sie dafür, vor allem kleinbäuerliche Strukturen, handwerkliche Verarbeitung und regionale Wirtschaftskreisläufe zu stärken. Nun geht er auf eigenen Wunsch und zum Bedauern des Verbandes, wie der Vorsitzende Thorsten Block hinterherruft.

Brunnbauer hat, wie er selbst in einer Erklärung mitteilt, „Biokreis als eigenständigen Verband organisiert. Mein Ziel war, die traditionelle und über 30 Jahre gewachsene Struktur des Biokreis so anzupassen, dass er den aktuellen Herausforderungen gerecht werden kann. Doch meine Vorstellungen waren mit dem Vorstand nicht mehr in Deckung zu bringen, so dass am Ende die Entscheidung stand, getrennte Wege zu gehen“.

Diese Eigenständigkeit und auch die Verbandsphilosophie scheinen nun gefährdet. Kürzlich ist „Netto“ (Discount-Tochter von Edeka) Mitglied geworden und der Spagat der Strukturen und Ziele wurde offenkundig.

Der Fachhandelsbeschluss...

Noch vor fünf Jahren war der Biokreis offen der Kooperation von Bioland und dem Discounter Lidl entgegengetreten. Als einziger Anbauverband beschloss er per Mitgliedervotum 2019, seine Marke ausschließlich dem Bio-Fachhandel einzuräumen. „Als Bioland 2018 seine Kooperation mit dem Discounter Lidl bekannt gab, waren etliche Bio-Fachhändler extrem enttäuscht. Quer durch die Branche wurde vom ‚Sündenfall‘ gesprochen. Man muss sich bewusst sein, einem Discounter zu helfen sich einen grünen Anstrich zu verpassen. Das Unternehmen steht nicht für handwerklich geprägte Strukturen“, kritisierte Brunnbauer 2022 in einem Interview seinen BÖLW-Kollegen.

Weiterhin konnte zwar jedes Biokreis-Mitglied frei überallhin liefern. Der „Fachhandelsbeschluss“ legte jedoch fest, dass nur Händler das Biokreis-Label nutzen durften, die mindestens ein Fünftel ihres Umsatzes mit Bio-Lebensmittel erwirtschaften. Damit waren Supermärkte wie tegut genehmigt, eine Kooperation mit Discountern aber ausgeschlossen. Die Edeka-Tochter Naturkind (damals 100% Bio) wurde als Quasi-Fachhändler akzeptiert, inzwischen wurde das Format weitgehend eingestellt.

Man wollte zuallererst die Bioläden, aber der Fachhandel dankte es ihnen nicht. Dennree-Chef Greim stellte auf einer Verarbeitersitzung klar, dass ihn Verbände nicht mehr interessieren. Bio Company, drittgrößter Bio-Einzelhändler mit 61 Märkten in Berlin und Brandenburg (Umsatz 205 Mio.€ in 2023), hat seine Mitgliedschaft zum Ende des Jahres gekündigt. Die Anteile des Biomarktes wandern gehäuft in den Discount. Biokreis behielt seine Alleinstellung, verlor aber an Bedeutung. In 2023 sank die Mitgliederzahl um 6% auf 1255, auch wenn die Fläche auf 84.000 ha wuchs.

...und sein Ende

Auf der Mitgliederversammlung Anfang März zog der Vorstand die Bremse. Mit 61 Ja-Stimmen bei 53 Nein-Stimmen und acht Enthaltungen öffnete man sich „strategischen Partnerschaften mit dem konventionellen Lebensmitteleinzelhandel und Discountern“. Das denkbar knappe Ergebnis zeigte, wie sensibel das Thema sei, sagte damals Block im anschließenden Gespräch mit dem Portal „über bio“.

Seit einigen Wochen sind bei Netto offen als Biokreis ausgelobte Schweine-Nackensteaks und Rückensteaks in ausgewählten Filialen zu kaufen. Mehr als ein klitzekleiner Einstieg ist das nicht. Neue Märkte und Wertschöpfung zu erschließen, Anforderungen des konventionellen Handels gerecht zu werden und möglichst auf Augenhöhe zu agieren, wie der Vorstand verspricht, ist noch ein sehr weiter Weg.

Die Unruhe im Verband bleibt

Zuletzt hat Deutschlands Bioverband Nr. 4 (flächenmäßig weit hinter Bioland, Naturland und Biopark) versucht, durch Teilnahme an der Rahmenvereinbarung von Bioland und Naturland den Anschluss nicht zu verlieren. Aber Insider sehen sich als fünftes Rand am Wagen, da immer zunächst die großen Verbände mit ihren Interessen, ihren Kontakten und Netzwerken zum Zuge kämen. Nur bei Mangelware sei man gefragt.

Ob sich der Verband mit diesen Beschlüssen und der Neupositionierung einen Dienst erwiesen hat, erscheint fraglich. Der Spagat erschüttert weiterhin die Führung. Zwei in 2023 gewählte Vorständler haben bereits im Frühjahr aus unterschiedlichen Gründen ihre Ämter niedergelegt. Die Pressesprecherin ist zu Naturland, die Referentin Agrarpolitik zur Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft gewechselt. Die Unruhe im Verband wird aber nicht geringer.  Vorstandschef Thorsten Block übernimmt kommissarisch die Geschäftsführung.

Der Marktbeobachter fürchtet, dass auf den Verband eine Quadratur des Biokreises zukommt. Thorsten Block sieht die Erhaltung der Eigenständigkeit des Verbandes als Hauptaufgabe der nächsten Zeit. Zugleich soll der Satzungskern, „der Einsatz für die Erhaltung und Sicherung der Existenz der kleinen und mittleren landwirtschaftlichen Familienbetriebe“ und die strategische Partnerschaft mit dem Discount verknüpft werden. Eine mögliche, auch diskutierte Alternative wäre ein Verband für kleinere/mittlere Betriebe mit hohem Anteil an Direktvermarktung und individuellen Wegen. Aber eine solche Strategie gegen den Bio-Mainstream des Wachstumstraum(a)s (30% bis 2030) setzt mindestens einen einigen Verband mit einer starken Führung voraus, was der Biokreis nicht ist. Dieser Konflikt hält auch größere Organisationen in Atem. Wenn in einer solch wichtigen Phase der Lotse von Bord geht, stellt sich schon die Überlebensfrage. Sepp Brunnbauer lässt die genauen Gründe für sein Ausscheiden offen, aber es könnte der Anfang vom Ende „seines Verbandes“ sein. Erste Erosionen zeigen sich schon. Auch Übernahmewillige laufen sich schon warm. Der Bio-Einheitsverband bleibt der Elefant im Raum.