Biomarkt bleibt turbulent

Marktbeobachtungen von Hugo Gödde +++ Die Zahl der Biobetriebe ist im letzten Jahr auf ca. 37.000 und damit auf 14,2% aller Betriebe gewachsen. Aber das Interesse der Landwirte an Bio schwächt sich ab und ist weit von den Zuwachsraten entfernt, die die Regierung mit ihren 30% Ziel bis 2030 avisiert hat. In diesem Jahr sind die Umstellungen nach Auskunft der Bioverbände weiter rückläufig. Andererseits bekommen die Mehrzahl der Bäuerinnen und Bauern die volle Härte des Marktes zu spüren. Ein gesicherter Absatz zu angemessenen Preisen ist keinesfalls selbstverständlich. Marktkenner sprechen davon, dass der Welpenschutz der Nische und der relativen Eigenständigkeit der Branche zu Ende geht.

Krise am Bio-Milchmarkt

Der Milchmarkt, in der Vergangenheit ein Vorbild für ein ausbalanciertes Verhältnis von Angebot und Nachfrage, durchlebt aktuell eine ernsthafte Krise. Die weiterhin steigende Milchanlieferung passt nicht zum gesunkenen Absatz. Dadurch sinkt auch der Milchpreis Schritt für Schritt auf 57 ct/kg im Mai, liegt aber immer noch über dem Vorjahresmonat. Außerdem ist der Rückgang mit 5 ct/kg zum Jahresanfang wesentlich niedriger als bei der konventionellen Milch, wo der Abstieg 14 Cent beträgt. Aber die Kosten der Bio-Milcherzeuger sind nicht gedeckt, so dass Rückumstellungen zum Thema geworden sind. Bio-Milchleistungsfutter liegt laut AMI immer noch 30% über 2021. Viele Bäuerinnen und Bauern reduzieren ihren Kraftfuttereinsatz zugunsten des Grundfutters und nehmen eher geringere Milchleistung in Kauf. Problematischer ist der große Unterschied zwischen einzelnen Molkereien. Der dänisch-schwedische Milchkonzern Arla zahlt z.B. im Mai unter 50 Cent aus, während südliche Molkereien wie Schwaben oder Oberfranken noch fast 60 ct/kg notieren. Bei Auszahlungsdifferenzen von 10 Cent kann der Einkommensverlust bei Lieferung an eine wenig zahlende Molkerei durchaus für einen Durchschnittsbetrieb 30.000 bis 40.000 € im Jahr sein.

Die Krise ist aber nicht beschränkt auf die landwirtschaftlichen Erzeuger. Die Molkereien leiden unter dem gesunkenen Absatz, da sie ihre Kapazitäten, die sie in guten Bio-Zeiten aufgebaut haben, nicht auslasten können. Das trifft besonders die „reinen“ Bio-Molkereien, die eben nicht über ihren konventionellen Hauptzweig die Rückgänge abfedern bzw. die Bio-Übermilch konventionell (wenngleich mit Minus) verwerten können. Die Läger sind voll und eine Besserung nicht in Sicht.

Gläserne Molkerei geht an eine „Heuschrecke“

Offenkundig wird diese Krise am Verkauf der Gläsernen Molkerei, die in Brandenburg und Mecklenburg-Vorpommern zwei Standorte betreibt und zum schweizerischen Emmi-Konzern gehört. Die Emmi-Gruppe meldete vergangene Woche den Verkauf an die Beteiligungsgesellschaft Mutares mit Sitz in München, weil man sich lieber auf profitable, strategische Märkte und Nischen fokussieren wolle.

Die 2001 gegründete Gläserne Molkerei erwirtschaftete 2022 mit mehr als 120 Mitarbeitern einen Umsatz von rund 100 Mio. Euro und war damit nach Andechser, Allgäuer Milch und Gropper eine der größten deutschen Bio-Verarbeiter und rangiert bei den reinen Bio-Molkereien auf Platz 2. Emmi hatte 2016 sämtliche Anteile an dem Unternehmen übernommen. Mit diesem Schritt wollte der Konzern damals nach eigenen Angaben dem Trend zu natürlichen, nachhaltig hergestellten Milchprodukten Rechnung tragen. Wegen der Entwicklungen auf dem Markt für Bio-Molkereiprodukte in Deutschland musste Emmi im Geschäftsjahr 2022 jedoch eine Wertberichtigung von 13 Mio. € vornehmen. Schon in den Jahren zuvor waren rote Zahlen geschrieben worden. Das Unternehmen rechnet zudem für 2023 auf der Stufe des Ergebnisses vor Steuern und Zinsen (EBIT) mit einem einmaligen Verlust von 39 Mio. €.

Brisant ist der Griff zur Reißleine besonders wegen des Verkaufs an die private Investorengruppe Mutares, eine Münchner Beteiligungsgesellschaft. Das Unternehmen ist darauf spezialisiert, Firmen in Schieflage zu kaufen und zu sanieren. In der Ernährungsindustrie ist das allerdings die erste Übernahme für Mutares. Das Unternehmen kündigte an, „die Kostenstruktur wettbewerbsfähig anzupassen.“ Die 120 Bio-Milchbauern mit Verträgen bei der „Gläsernen“ werden wohl mit niedrigen Preisen vorlieb nehmen müssen, denn die neuen Eigentümer wollen das „Lieferantenmanagement verbessern“, das Wachstum steigern und neue Vertriebswege gewinnen.

Der „Private Equity Investor für Sondersituationen“, wie man sich selbst bezeichnet, ist auf die Übernahme mittelständischer Unternehmen in „herausfordernden Situationen spezialisiert.“ Eine „enge Überwachung der Lieferanten“(!) ist Teil der Strategie. „Ziel ist es, aus unprofitablen Unternehmen eigenständige und dynamisch agierende Mittelständler mit wettbewerbsfähigem und ertragsstarkem Geschäftsmodell zu formen, über organisches wie anorganisches Wachstum weiterzuentwickeln sowie schließlich gewinnbringend zu veräußern.“  Im Volksmund werden solche Unternehmen als „Heuschrecken“ bezeichnet, die angeschlagene Unternehmen übernehmen, um sie zu „sanieren“ und profitabel stückweise oder insgesamt zu veräußern. Sinn ist immer eine hohe Rendite für die Anleger/Aktionäre.

Bio billiger machen

Bio funktioniert weiterhin im LEH, besser noch im Discount, wie die aktuellen Zahlen belegen. Die Folge sind zunehmende Kämpfe um den Preis, den die Biobranche bisher in diesem Ausmaß nicht kannte. Die Hoffnung auf besseren Absatz verbindet sich mit allerlei Preissenkungsmaßnahmen – vom wachsenden Aktionsgeschäft über Stärkung der Handelsmarken und Preiseinstiegsprogramme. Auch (ehemalige?) Naturkostgrößen sind eingestiegen. Denn’s legt eine Preiseinstiegsmarke auf und Alnatura bewirbt heftig Dauerniedrigpreissortimente.

Besonders aggressiv geht Netto (Tochter von Edeka) mit seiner Printwerbung in dieser Woche vor (s. nebenstehend). Wenn dieses „Verhämmern“ Schule macht, werden die Bio-Preise noch stärker abgesenkt. Vielfach beschweren sich Hersteller über den intensiven Preisdruck. Dadurch wird die Transparenz und Vergleichbarkeit am Markt immer geringer. Auch die Marktkenner der AMI beklagen die großen Preisspannen z.B. beim Rind- und Schweinefleisch in den verschiedenen Absatzwegen. Wer längerfristige Vereinbarungen oder feste Beziehungen (durchaus auch mit dem LEH) hat, steht zurzeit wesentlich besser da als „freie“ Lieferanten. Im Informationsdienst der Landwirtschaftskammer NRW heißt es, dass die Spanne zwischen dem niedrigsten und dem höchsten Preis für E-Schweine mittlerweile bei 60 Cent (zwischen 4,00 und 4,60 €/kg) liegt. Und bei Rindfleisch werden die Wartelisten der Erzeuger immer länger.

Der Marktbeobachter nimmt zur Kenntnis, dass Bio in der Mitte der Gesellschaft angekommen ist, wie es stolz manche Bioanhänger verkünden, und die wachsende Zahl der Biobetriebe auf 14,2% aller Betriebe belegt es auch. Aber damit passt sich der Sektor zunehmend allen Bedingungen des marktwirtschaftlichen Systems an. Man ist allen Schwankungen und Machtverhältnissen des Marktes unterworfen. Der kapitalistische Mainstream ist eben keine warme Stube für moralische und idealistische Vorstellungen einer besseren Welt, wie die gegenwärtigen politischen und Markt-Auseinandersetzungen zeigen. Bei den Bio-Pionieren war der Bioanbau nicht nur eine andere Art der Erzeugung, sondern ein Gegenentwurf zu ungerechten und abhängigen Lebens- und Arbeitsbedingungen. Sie wollten die Verhältnisse ändern. Momentan sieht es eher umgekehrt aus.