Biomarkt mit positiven Aussichten bei wachsender Konventionalisierung

Marktbeobachtungen von Hugo Gödde +++ Momentan geben sich viele Biomarkt-Akteure Mühe, gute Stimmung zu verbreiten. Auf der Biofach-Messe Mitte Februar war das Aufatmen laut zu hören. Die Absatzdelle ist überwunden, es geht wieder (langsam) aufwärts. Sieht man sich die allgemeinen Umsatzzahlen der Branche für 2023 an – 5% Plus in 2023 -, so ist dem zuzustimmen. Das Wachstum geht wieder nach oben, wenn auch (noch) nicht bei dem Absatz, nur preisbedingt beim Umsatz. Bio hat der Inflation getrotzt und sich resilient (widerstandsfähig) gezeigt. Und mit sinkender Inflation (Februar 2,5%) und sinkender Lebensmittelverteuerung steigen die Chancen für Premiumprodukte signifikant, sagen die Ökonomen. Also wieder alles klar auf der Andrea Doria?

Konventionalisierung schreitet voran

Mitnichten. Die Preise sind in wichtigen Bereichen unter Druck. Sie spreizen sich von Markt zu Markt, von Region zu Region. Damit zeigt sich die Schattenseite des Wachstums. Denn der Zuwachs gelang fast nur in den Supermärkten und beim Discount. Deren Anteil ist inzwischen auf 67% des Biomarktes gestiegen, fast die Hälfte davon beim Discounter. Aldi rühmt sich, Deutschlands Nr. 1 im Biomarkt zu sein – wohl auch zu Recht, da Lidl, Penny, Netto hinterherhinken. Bio-Marktexpertin Diana Schaack von der AMI spricht kritisch von einer „weiteren Konventionalisierung“ der Biobranche. Sie fordert, die Discounter in ihren Denkweisen umzustellen. Das halten Marktkenner für „mutig“, manche für vorschnell. Auch Bioland-Chef Jan Plagge hatte beim Lidl-Bioland-Deal faire Preise angemahnt, sonst könne man nicht mehr liefern. Die aktuellen Preise sprechen eine andere Sprache. Bei Milch fordern Bioland/Naturland einen Orientierungspreis von 69 ct/kg. Gezahlt wird bundesweit im Schnitt 55,5 Cent im Januar, weit unter Gestehungskosten, wie Bioland selbst errechnet hat. Die Discounter bleiben eben Discounter „in ihrer Denkweise“ und werden kein Bio-Erzeuger-Wohltäter.

Andererseits waren großen Handelsketten auch nützlich, als es im letzten Jahr darum ging, (Über-)Mengen abzusetzen. Manche Molkereien, Eier-, Gemüse- oder Kartoffelvermarkter waren/sind froh, Mengenabfluss zu sichern.

Verbände mit Handelskonzernen „verpartnert“

Noch ein Verkaufsphänomen ist mit der Discounterisierung in letzter Zeit aufgetreten. Die „Billigheimer“ wehren sich gegen Herstellermarken, stärken eher ihr Aldi-Bio, Edeka-Bio oder K-Bio (Kaufland). Der Anteil der Eigenmarken des Handels ist auf 56% gestiegen, während die Herstellermarken überall gesunken sind. Um aber den Vertrauensvorschuss der Bio-Kunden abgreifen zu können, haben sich die Handelskonzerne mit Bioverbänden „verpartnert“ und damit den Lieferantenradius erweitert – erst Rewe mit Naturland, dann Lidl mit Bioland und jetzt Aldi mit Naturland, auch Kaufland mit Demeter. Das nützt zwar dem jeweiligen Verband, führt aber zu Konflikten zwischen den Mitgliedern der Verbände. Vor allem Naturland ist seit dem Aldi-Deal im Vorwärtsgang, bietet Übergangsregelungen (z.B. bei Ferkeln) für Nichtmitglieder, wenn nicht genügend eigene Verbandsware zur Verfügung steht. Zudem hat Naturland in Österreich circa 1.000 Mitglieder von Bio-Austria abgeworben, um die Aldi-Biomilchvermarktung zu gewährleisten, wie die „unabhängige Bauernstimme“ berichtet. Eine Branchenvereinbarung zwischen den großen Zwei führte vorerst zur Beruhigung, aber nicht wenige Betriebe lassen sich nach wie vor doppelt zertifizieren, um langjährige Absatzkanäle nicht zu verlieren – so z.B. im Kartoffelmarkt, der seit Jahren von Aldi und Bioland dominiert, nun aber von Naturland beansprucht wird. Mehrkosten für Doppel-Mitgliedschaft inclusive.

Bio-Marktberater mahnen vom LEH mehr Aufmerksamkeit und Werbung an. Aber der LEH sieht die Bringschuld beim Bioverband. Dabei haben Aldi und Lidl ihren Werbeetat für Bio schon aufgestockt. Wenn Aldi mit „Bio, aber günstig“ wirbt oder Lidl in seinen Werbeprospekten mit „So günstig geht Bio“, dann trifft das bei Bios auf massive Kritik. Es könne doch nicht Ziel sein, den Preisdruck mitzumachen und mit Billigaktionen in den Prospekten zu werben. Bio sei nicht billig, so würde ein völlig falsches Signal gesetzt.

Naturkosthandel berappelt sich

Nicht mehr ganz so schlecht wie vor einem Jahr sieht es gegenwärtig beim Bio-Fachhandel aus. Seit Mitte 2023 konnte wieder zugelegt werden. Für 2024 ist man leicht optimistisch gestimmt. Aber man darf nicht vergessen, dass der Naturkosthandel nur in der Breite von kleineren bis mittleren Bioläden getragen wird. Ein Drittel bis die Hälfte des Marktes wird von zwei „Bio-Konzernen“ bestimmt – je nachdem ob man den Großhandel einrechnet. Dennree mit 1,35 Mrd. € und Alnatura mit 1,15 Mrd. € Umsatz liegen meilenweit vor der Konkurrenz. Interne Kenner gehen davon aus, dass jeder vierte der 2000 Bioladen von den „big brothers“ betrieben wird und andere von deren Großhandel abhängig sind.

Gespreizte Preise

Die aktuelle komplexe Lage zwischen Absatzdelle und LEH-Wachstum spiegelt sich auch auf den einzelnen Märkten wieder. Biofleisch – Rind und Schwein – läuft gut, da die Schweineknappheit nicht nachlässt und sich die Nachfrage bei Rindfleisch verbessert hat, wie die AMI berichtet. Auch Fleisch-/Wurstwaren lagen in 2023 mit 5- 6% im Aufwind. Schwer tat sich dagegen Geflügelfleisch, das mengenmäßig um 9,1% und umsatzmäßig um 4,1% fiel. Geflügel ist einfach durch den sehr hohen Preis gehandikapt, außer bei günstiger EU-Ware oder Bioware aus Österreich, die regelmäßig zum Erstaunen der Szene deutlich günstiger angeboten wird.

Stabile bis gute Preise erzielen auch die Bio-Kartoffeln, auch weil die Erntebedingungen schwierig waren und die Qualitätsprobleme herausfordernd sind. Positive Impulse werden endlich wieder vom Eiermarkt nach Rückgängen im letzten Frühjahr bis Herbst gemeldet.

Ein wieder schlechtes Jahr haben die Milcherzeuger vor und hinter sich. Es gibt zu viel Milch und der Handel drückt die Preise in der Hoffnung, den Absatz anzukurbeln. Die Bioland-Berater Volling und Binder kommen zum Ergebnis, dass Biomilch ein Verlustgeschäft ist. Die noch einmal um 6 ct/kg gestiegenen Produktionskosten, hauptsächlich für Futter und Löhne, werden überhaupt nicht ausgeglichen. Der Milchpreis 2023 lag laut Bioland bei 57 Cent, minus 1 Cent zum Vorjahr.

Ein schwieriges Jahr hat der Getreidemarkt zu bewältigen. Wetterkapriolen haben die Erntebergung erschwert und die Qualitäten erheblich gedrückt. Viel Getreide (Weizen, Roggen) wurde zu Futterqualität abgewertet und im Preis um ein Viertel gedrückt. Seitdem sind die Preise extrem polarisiert. Brotqualitäten sind überschaubar, aber preislich kaum gestiegen, weil zunächst noch viel Getreide aus der letzten Ernte auf Lager war. Futtergetreide ist reichlich vorhanden und deutlich unter Vorjahrespreis. Die Mischfutterpreise fallen kontinuierlich, was die Tierhalter freut. Mastfutter bei Schweinen, Alleinfutter für Legehennen liegen ca. 100 € je Tonne unter Vorjahr, Milchleistungsfutter um 70 EUR/t.

Der Marktbeobachter erwartet nicht, dass in diesen Multikrisenzeiten die Biobranche Heldentaten vollbringt. Der erstmalige zahlenmäßige Rückgang der Betriebe ist ein Beleg dafür. Aber man muss auch nicht alles schlecht reden und sich zum Opfer machen, wie es manche Treckeraktivisten zurzeit meinen. Bio kann auch Krise. In der Freude um erneutes Wachstum darf die Veränderung der Marktstrukturen nicht übersehen werden. Mehr LEH und mehr Discount heißt nicht nur mehr Absatz, sondern auch weniger Einfluss auf Augenhöhe, mehr Abhängigkeit von Handelskonzernen und tendenziell Preisdruck. Die Bio-Bewegung ist mal angetreten gegen die Wachstumsideologie, gegen das quantitative Wachsen um jeden Preis, für qualitativen Mehrwert für Mensch und Natur. Manchen Verbandsfunktionären von heute scheint diese Erkenntnis aus einer Bio-Vorzeit zu stammen.

 

06.03.2024
Von: Hugo Gödde

Wenn es bei Aldi "Bio, aber günstig" heißt, wirbt Lidl mit "So günstig geht Bio". Bildquelle: Lidl