Marktbeobachtungen von Hugo Gödde +++ 2023 ist kein Jubeljahr für die Biobetriebe. Die allgemeine Kaufkraftschwäche trifft die Branche im Absatz empfindlich. Da nützt auch keine laut verkündete „Bio- Strategie 2030“ des Ministeriums (die Regierungskoalitionen konnten sich ja mal wieder nicht einigen!). Und zusätzliches Staatsgeld ist für den Sektor trotz aller wohlklingenden Pläne angesichts der Haushaltslage kaum zu erwarten. Also muss es der Markt richten. Und es spricht einiges dafür, dass „sich was tut“.
Laut Daten von Konsumforschern (Nielsen) konnten Lebensmitteleinzelhandel (LEH) und Drogeriemärkte in den ersten neun Monaten ihren Bio-Umsatz um 7,3% ausbauen, wobei der Absatz nur um 1,7% zunahm. Die Discounter ziehen noch mehr, weil sie vor allem das Geschäft mit Eigenmarken favorisieren, die insgesamt um 15% stiegen, während die Herstellermarken um 3,8% fielen. Selbst im Naturkosthandel stieg der Umsatz im dritten Quartal um 3,2% laut BioHandel-Umsatzbarometer. Hält der Trend an, dürften dort 2023 die Jahresumsätze des Vorjahres erreicht werden. Das ist sicherlich keine schlechte Nachricht.
Differenzierte Märkte
Der Biomarkt ist derzeit wieder durch sehr unterschiedliche Entwicklungen gekennzeichnet. Während die Preise für Schweinefleisch stabil und auskömmlich sind, leiden die Milchbäuerinnen und Milchbauern unter den Überschüssen und schlechten Preisen, die ihre Kosten nicht decken. Auch die Schlachtpreise für Rinder liegen weit unter dem Vorjahr. Die schwierigen Erntebedingungen haben den Getreidemarkt gespalten. Viel Bio-Getreide kann nur zu Futter verarbeitet werden, so dass Brotgetreide gut bewertet wird. Aber die großen abgewerteten Mengen überschwemmen den Futtergetreidemarkt und werten den größten Teil der Ernte um ein Drittel zum Vorjahr ab. Die gefallenen Mischfutterpreise erfreuen wiederum die Tierhalter. Die äußerst stressige Kartoffelernte hat zu einer positiven Preisbildung geführt und der Absatz passt, aber die qualitätssichernde Lagerung ist herausfordernd. Eine bewegte Zeit macht der Bio-Eiermarkt durch. Absatzprobleme führten zur Reduktion der Erzeugung. Der Discount kurbelte den Absatz an durch Preisdruck. Statt 50 Cent wie beim Bauern oder im Bioladen bot er im dritten Quartal das Ei für 34 Cent an. Angebot und Nachfrage scheinen wieder zu passen, aber einer Preisanhebung steht der Handel entgegen.
Deutsche Schweine/Ferkel knapp, Preise stabil
Bio-Schweine sind weiterhin eines der wenigen Bio-Produkte, die richtig knapp sind. Insbesondere Verbandsware wird gesucht – inzwischen auch für viele Wurstwaren, so bewertet die Agrarmarkt Informations-Gesellschaft (AMI) ihre monatliche Abfrage bei diversen Erzeugergemeinschaften. Damit erfasst sie gut die Hälfte des Marktes. Und die Perspektiven dürften sich sogar noch verbessern. Denn die Verbandsware, die gerade bei den Discountern, dem wichtigsten Absatzweg, immer stärker eingefordert wird, stammt richtliniengemäß aus Deutschland. Laut AMI lag die Importquote im „Corona- Boom“, als etwa 35% mehr Bio-Schweinefleisch abgesetzt wurde, bei etwa einem Drittel. Denn so schnell wie der Boom kam, konnten die heimischen Erzeuger nicht zusätzlich liefern. Also blieb der Import, vor allem aus Holland und Dänemark. In den Niederlanden werden ca. 100.000 Schweine im Jahr gemästet, ein Viertel der deutschen Produktion, so dass der Export notwendig ist. „Natürlich“ lag der ausländische Preis erheblich unter der deutschen Notierung, was die deutschen Schlachtbetriebe gern „berücksichtigten“. Da der LEH/Discount nur „möglichst“ , aber nicht verbindlich deutsche Ware anforderte, drehte sich das europäische Fleischkarussel.
Deutsche Ware gesucht
Nun ändern sich bei reduzierten Absätzen und zunehmendem LEH-Wunsch nach Verbands- bzw. heimischer Ware die Ansprüche und Verbands-Schweine sind gesucht. Da aber die AMI nur einen Teil des Marktes und der großen Schlachthöfe erfasst, muss von einer gewissen Dunkelziffer ausländischer Tiere ausgegangen werden. Am Markt werden Schweine der Handelsklasse E (Muskelfleischanteil 55 % und mehr, aber weniger als 60 %) seit mehr als zwei Jahren stabil mit 4,30 €/kg und mehr bezahlt. An der großen Spreizung von 4,07 bis 4,72 €/kg kann man aber eine gewisse Uneinheitlichkeit feststellen. Schweine aus Holland und Co. werden eher unter 4 € eingekauft.
Wenn nun tatsächlich die großen Vier des Handels ab Neujahr nur noch „Fleisch aus deutscher Landwirtschaft“ (auch Bio) einkaufen, wie sie gerade mit der Landwirtschaft vereinbart und verkündet haben, dürfte es am Markt noch enger werden. Schon werden längerfristige Verträge von Handelsketten und Verarbeitern aufgerufen. Bisher übliche Abnahmen bis fünf Jahre werden eher verlängert.
Das gilt besonders für die Ferkel, die ebenfalls aus heimischer Erzeugung kommen sollen. Bisher haben viele norddeutsche Mäster Verträge mit dänischen und holländischen Ferkelerzeugern, die dann nicht mehr in die LEH/Discount-Kanäle gehen „dürften“. Der Ferkelpreis könnte noch einmal steigen, obwohl er jetzt schon mit 170 € einen Rekordpreis erzielt.
Zusätzlich sind die Preise für Bio-Schweinefutter um 10 €/dt gegenüber dem Vorjahr gefallen, so dass sich auch hier eine bessere Kostensituation ergibt, auch wenn die heimische Leguminosenernte alles andere als befriedigend war. Aber es scheint genügend europäisches Eiweiß zur Verfügung zu stehen.
Milch deutlich unter Kostendeckung
Komplett anders sieht es bei den Rinderhaltern aus. Der Milchpreis fällt parallel zum konventionellen Markt seit Monaten. Zwar ist laut Bioland-Umfrage der Milchpreis im Oktober im Schnitt leicht auf 54,9 ct/kg gestiegen, wobei die Spanne von 47 bis 61 Cent (!) reicht. Im Vergleich zum Jahresanfang sank er aber um 8 Cent.
Der Bio-Milch Marker Index (MMI) zur Berechnung der Rentabilität der Erzeugung ist für das Wirtschaftsjahr 2022/23 trotz Rekordmilchpreisen zu dem Ergebnis gekommen, dass nur 88% der Produktionskosten abgedeckt wurden. Sie errechneten 68 ct/kg Erzeugungskosten, ähnlich wie die 67 Cent, die Bioland und Naturland im Sommer als verpflichtenden Orientierungspreis empfahl. Der MMI kommt auf 8,59 Cent Unterdeckung. Ein fairer Milchpreis sieht anders aus, konstatiert MEG Milk Board Chef Frank Lenz. Und in den letzten Monaten hat sich das Preis-Kosten-Verhältnis verschlechtert, obwohl das Milchleistungsfutter um 10% günstiger geworden ist und auch in den meisten Regionen genügend Grundfutter vorhanden ist.
Gleichzeitig hat die schwächelnde Nachfrage nach Bio-Rindfleisch auch die Preise für die Schlachtkühe in den Keller getrieben. Vom Rekordstand im April 2022 von 5,50 €/kg sind sie inzwischen auf ca. 4 € gefallen – parallel zum Preisverfall bei Bio-Bullen und Färsen.
Menge steigt, Preis fällt
Zurück zur Milch: Die gute Futterversorgung führt auch dazu, dass trotz Nachfragerückgang in diesem Jahr bisher etwa 6,5% mehr Biomilch produziert wird. Um 5% ist der Anstieg in Bayern, dem mit Abstand größten Biomilch-Erzeugerland, in Niedersachsen um 14%, in Schleswig-Holstein gar um 20%, in NRW um 0,7%. In der Vergangenheit konnten die zusätzlichen Mengen vom Markt aufgenommen werden. Eine gewisse Regulation fand über die freiwillige restriktive Aufnahmepolitik der Molkereien statt. Lenz konstatiert: „Dieses System der Marktregulation ist durch die hohe Inflation aus dem Gleichgewicht gebracht worden“, weil weniger Abverkauf auf eine höhere Produktion der bestehenden Betriebe traf.
In der Not wenden sich die Verbände an den Handel, „in gemeinsamer Verantwortung für die Zukunft“ den Absatz anzukurbeln. Und das machen tatsächlich vor allem Discounter wie Aldi, die Nr. 1 im Biomarkt, der den Preis der Bio-Milch von 1,69 €/kg auf 1,25 €/kg gesenkt hat, was die Überschüsse nicht beseitigt, aber reduziert, zugleich den Preis stark unter Druck gesetzt hat.
Neue Allianzen und neue Abhängigkeiten
Trotzdem sind sich Naturland (Aldi) und Bioland (Lidl) einig, dass die „Zeitenwende in der Bio-Branche“ (Tagungsthema der Öko-Marketingtage) neue Allianzen und neue Strategien erfordere, weil ohne den LEH 30% nicht erreichbar sei. Die Branche müsse negativen wirtschaftlichen Entwicklungen ins Auge schauen und weitere Marktteilnehmer aufnehmen, heißt es. Jan Plagge verteidigte die Kooperation von Bioland mit Lidl. „Wir müssen unsere Grundwerte und Prinzipien kommunizieren und dem LEH Orientierung geben.“ Deswegen sei von Anfang an die Ansage des Verbands an Lidl gewesen: „Ihr müsst faire, auskömmliche Erzeugerpreise bezahlen, ansonsten können wir euch nicht beliefern.“ Bisher sind aber erst ein Bruchteil der Bio-Produkte bei Lidl von Bioland, ansonsten EU-Bio oder Bio-Eigenmarke. Und von 67 ct/kg Milcherzeugerpreis ist Lidl meilenweit entfernt. Den Fachhandel sieht Plagge vor allem in der Rolle, „eine Bewegung zu sein, die integriert.“ Wird der Fachhandel zum Restposten einer Wohlfühlszene, während das Geld im Handel gemacht wird?
Naturland arbeite mit Aldi zusammen, so Geschäftsführer Steffen Reese, „um die Bedingungen für Bioprodukte im Discount mitsteuern zu können.“ Viele Biomilch-Bauern bleiben skeptisch und am Preis merken sie noch nicht viel davon. Und dass die landwirtschaftlichen Kosten die Preise „steuern“, muss auch noch bewiesen werden.
Der Marktbeobachter sieht im Jahr 2023 keinen bemerkbaren Fortschritt des biologischen Landbaus auf dem Ziel zum großen (illusionären) Ziel von 30% in 2030. Aber es ist auch kein Jahr zum Trübsal blasen. Inflation, Absatzprobleme, schwierige Ernte, Wetterprobleme wurden besser bewältigt als vorhersehbar. Einige Bereiche wie Schwein oder Kartoffeln laufen sogar gut. Aber die Folgen der neuen Strategien und Allianzen (und Abhängigkeiten) sind nicht entschieden, Wachstumskritiker nicht willkommen. Ein Blick auf die konventionellen Kollegen und ihre Erfahrungen mit Strukturen und Machtverhältnissen von Handel und Industrie kann nicht schaden. Die Umstellungsbereitschaft der Bäuerinnen und Bauern ist jedenfalls fast null.