Schleifen des Artenschutzes löst strukturelle Probleme der Agrarpolitik nicht

Am 31. Januar 2024 hat die EU-Kommission vor dem Hintergrund und in Reaktion auf die Bauernproteste vorgeschlagen, dass Landwirtinnen und Landwirte in diesem Jahr von dem verpflichtenden Mindestanteil an Brachflächen zum Schutz der Artenvielfalt und Böden (GLÖZ 8) abweichen können (die Bauernstimme berichtete), indem sie auf 7 Prozent ihrer Ackerflächen stickstoffbindende Pflanzen (wie Linsen oder Erbsen) und/oder Zwischenfrüchte anbauen anstatt 4 Prozent ihres Ackerlandes brachliegend oder unproduktiv zu halten). Schon diesen Vorschlag hatte nicht nur die Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft (AbL) deutlich kritisiert, während Bundeslandwirtschaftsminister Cem Özdemir für eine Umsetzung werben wollte. Wenige Tage später legte die Kommission einen überarbeiteten Vorschlag vor, der unter anderem eine Reduzierung beim Flächenumfang der anzubauenden Zwischenfrüchte oder Leguminosen von 7 Prozent auf nun 4 Prozent vorsieht. Ein Vorschlag, der am 12. Februar auch in der entsprechenden Durchführungsverordnung im Amtsblatt der Europäischen Union veröffentlicht wurde. Von einer nochmals massiven Verschärfung spricht die AbL, von einer doppelten Rolle rückwärts der Deutsche Naturschutzring (DNR) und jetzt kann auch der Minister dem Vorschlag nicht mehr zustimmen und hat sich in Brüssel bei der Abstimmung darüber, bei der keine qualifizierte Mehrheit bei den zuständigen Ministerinnen und Ministern erreicht wurde, enthalten. Derr Bauernverband fordert eine uneingeschränkte Umsetzung des Kommissions-Vorschlages. Die Mitgliedstaaten müssen ihren Umgang mit der Durchführungsverordnung bis Ende Februar der Kommission melden.

Özdemir: Quittung für Zick-Zack-Kurs

„Das Abstimmungsergebnis ist die Quittung für den aktuellen Zick-zack-Kurs der Kommission“, erklärt Minister Özdemir. Panik sei noch nie ein guter Ratgeber gewesen, erst recht nicht dort, wo Betriebe auf längerfristige Planungssicherheit angewiesen sind. Im Bundestag habe er noch dafür geworben, dass Deutschland den ursprünglichen Vorschlag der Kommission zur Umsetzung von GLÖZ 8 über Brachen, Strukturelemente, Eiweißpflanzen und Zwischenfruchtanbau unterstützt. „Das hätte ein Kompromiss sein können im Sinne der europäischen Solidarität und im Sinne eines vermittelnden Angebots zwischen den Wirtschaftsinteressen der Landwirtschaft und den Notwendigkeiten eines verstärkten Schutzes der Artenvielfalt“, so der Minister. Dann habe die Kommission jedoch überraschend einen im Vergleich zum ersten Entwurf deutlich schlechteren Vorschlag zur Abstimmung vorgelegt. „Schon bei den Plänen zur SUR ist sie über das Ziel hinausgeschossen – mit bekanntem Ergebnis. Bei den aktuellen Vorschlägen zu GLÖZ überdreht sie in die andere Richtung und verpasst einen ausgewogenen Weg der Mitte, der die Wettbewerbsfähigkeit unserer Landwirtschaft mit einem effizienten Schutz der Artenvielfalt zusammenbringt. Dieses Hin und Her der Kommission geht zulasten der Planungssicherheit – die ist es aber, die die Landwirtinnen und Landwirte dringend benötigen. Wir konnten dem Vorschlag der Kommission daher nicht zustimmen“, erklärt Özdemir.

Er habe immer gesagt, „wir dürfen die eine Krise nicht auf Kosten der anderen lösen. Mit dem nun vorgelegten Entwurf verrät die Kommission unser gemeinsames Ziel, der massiven Bedrohung unserer Ökosysteme endlich etwas entgegenzusetzen. Wir dürfen nicht vergessen: Funktionsfähige Ökosysteme sind die Grundlage für gute Ernten nicht nur heute, sondern auch in 10, 30 und 50 Jahren.“

Noch am 23. Januar habe die Kommission im Agrarrat unterstrichen, dass es keine Änderungen bei GLÖZ 8 geben wird. „Am 31. Januar legte sie dann doch einen Vorschlag vor, der am 7. Februar ein weiteres Mal deutlich verändert wurde. Sie selber verweist dabei auf die bereits erfolgte Anbauplanung der Betriebe. Das ist kein gutes Politikhandwerk. Im Gegenteil führt es auf den Betrieben und in den Verwaltungen zu Verunsicherung und zusätzlicher Bürokratie. Ich erwarte von der Kommission, dass sie für den Rest der laufenden Förderperiode jetzt Planungssicherheit schafft und dazu endlich in einen konstruktiven Dialog mit den Mitgliedstaaten eintritt“, mahnt Özdemir.

AbL: Grundsätzliche Schwächen der GAP lösen

„Gut, dass Minister Özdemir seine eilige Zustimmung zur Ausnahmeregelung bei GLÖZ 8 überdacht hat“, kommentiert Martin Schulz, Vorsitzender der AbL und Landwirt und Niedersachen. „Die über Jahrzehnte durch die Agrarpolitik herbeigeführten strukturellen Probleme in der Landwirtschaft wie schlechte Einkommenssituationen oder zu viel Bürokratie können und dürfen nicht kurzfristig auf Kosten des Artenschutzes gelöst werden. Die Europäische Kommission muss uns Bäuerinnen und Bauern jetzt schnell Planungssicherheit geben und darf den Artenschutz dabei nicht außer Acht zu lassen. Alle politisch Verantwortlichen in der EU und Deutschland müssen die aktuelle Situation zudem zum Anlass nehmen, endlich die grundsätzlichen Schwächen der GAP zu lösen, indem Sie für gerechte Marktregeln sorgen, die es Bäuerinnen und Bauern ermöglicht, auf Augenhöhe mit den Molkereien, Schlachthöfen und Mühlen zu verhandeln. Nur bei fairen Preisen und einer einkommenswirksamen Honorierung der öffentlichen Leistungen im Umwelt-, Klima- und Tierschutz durch entsprechende Öko-Regelungen können alle Bäuerinnen und Bauern den sozial-ökologischen Wandel des Ernährungssystems mitgehen", so Schulz.

Bereits vor der Abstimmung in Brüssel hatte Ottmar Ilchmann, Landwirt und Mitglied der Fachgruppe GAP der AbL erklärt: „Artenschutz ist kein Selbstzweck, sondern ein dringend notwendiges Ziel zum Erhalt unserer Ökosysteme. Der aktuelle Vorschlag der europäischen Kommission entbehrt diesbezüglich jeder Vernunft und wäre ein gewaltiger Rückschritt im Vergleich zum Status Quo. Wer den Artenschutz in der Landwirtschaft derart schleifen will ohne ihn an anderer Stelle sicher zu stellen, handelt verantwortungslos. Minister Özdemir muss dem Vorschlag der Kommission bei der morgigen Abstimmung eine klare Absage erteilen. Die permanenten Auseinandersetzungen um kurzfristige Anpassungen in den Grundanforderungen machen zudem erneut die hohe Bedeutung einer zügigen Weiterentwicklung der Öko-Regelungen deutlich. Auch um den Betrieben einen besseren Planungshorizont zu geben.“.

DNR: Agrarminister Özdemir darf Rückschritte nicht mitgehen

Anlässlich der Entscheidung der EU-Kommission, den Mitgliedstaaten Ausnahmen bei den wichtigen Umweltstandards (GLÖZ 8) in der Agrarförderung zu ermöglichen, kommentiert DNR-Geschäftsführer Florian Schöne: „Im Alleingang vollzieht die EU-Kommission eine doppelte Rolle rückwärts auf Kosten der Natur. Ohne sachliche Legitimation und ohne die Zustimmung der Mitgliedstaaten untergräbt der Kommissionsvorschlag selbst die minimalsten Anforderungen zum Schutz der Biodiversität in der EU-Agrarförderung. Die Aufweichung der Vorgaben zur Bereitstellung von Brachen als ökologische Rückzugsräume ist ein Rückschritt in alte Zeiten und vermittelt den Eindruck, als gäbe es den dramatischen Artenverlust in unseren Agrarlandschaften nicht.“

Bundeslandwirtschaftsminister Özdemir habe letzte Woche klargestellt, dass der Kommissionsvorschlag keine Antworten auf die Herausforderungen in der Landwirtschaft liefert und dem Schutz der Agrarökosysteme widerspricht. Statt dem populistischen Schlingerkurs der Kommission zum Abbau von Umweltstandards zu folgen, muss Minister Özdemir in Deutschland an den bisherigen Regelungen festhalten. Echte Lösungen zur Eindämmung der Biodiversitätskrise bei gleichzeitiger Stärkung der Landwirtschaftsbetriebe können nur in der konsequenten Weiterentwicklung und besseren Ausstattung bestehender Förderinstrumente wie der Öko-Regelungen liegen."

DBV fordert zügige Entscheidung bei GLÖZ 8 und Klarheit bis spätestens Ende Februar

Der Generalsekretär des Bauernverbandes, Bernhard Krüsken, erwartet jetzt eine zügige Entscheidung der Bundesregierung zu der im europäischen Amtsblatt veröffentlichten Durchführungsverordnung (EU) 2024/587. Diese tritt am 14. Februar 2024 in Kraft und die Mitgliedstaaten, so auch Deutschland, können bis spätestens 29. Februar 2024 der EU-Kommission mitteilen, ob und inwiefern man von der Option im EU-Recht Gebrauch machen wird. „Bei den Änderungen an der Konditionalitätsverpflichtung GLÖZ 8 im laufenden GAP-Antragsjahr 2024 sind für die Landwirte zügige Entscheidungen sowie eine klare und verlässliche Kommunikation der neuen Regelungen sehr wichtig. Hier kommt es auf jeden früheren Tag der Bekanntgabe an, der helfen kann, dass sich die Landwirte noch mit ihren Anbauentscheidungen kurzfristig auch im Sinne einer verbesserten Beantragung von Ökoregelungen darauf einstellen können“, so Generalsekretär Krüsken. „Wir appellieren an die Entscheidungsträger von Bund und Ländern, zügig eine vollständige sowie uneingeschränkte Umsetzung des EU-Rahmens auf den Weg zu bringen und bis spätestens Ende Februar über sämtliche Regelungen zur geänderten Erfüllung von GLÖZ 8 in Verbindung mit den Ökoregelungen (ÖR) und ggf. auch den Agrarumweltmaßnahmen (AUKM) zu entscheiden. Dazu gehört auch, praktische Umsetzungsfragen zu klären und an die Landwirte zu kommunizieren.“

15.02.2024
Von: FebL/PM

Acker, Brachfläche, Hecke, Leguminose etc: Eine Frage der (Aus-)Gestaltung. Foto: FebL