EU-Agrarminister:innen lockern GLÖZ-Standards

Im Vorfeld des EU-Agrarministerrats hatten Verbände wie die Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft (AbL) oder der BUND vor einer „Aufweichung der GAP“ respektive einem “Rollback in der Agrarpolitik“ gewarnt und den Kanzler und den Landwirtschaftsminister aufgefordert, ein einseitiges und kurzfristiges Schleifen von dringend benötigten ökologischen Grundanforderungen in der GAP (GLÖZ-Standards) zu verhindern – ohne Erfolg. Im Eiltempo haben die EU-Agrarminister:innen unter Stichworten wie „Vereinfachung der GAP“ oder „Bürokratieabbau“ und mit Verweis und als Antwort auf die Bauernproteste beschlossen, GAP-Umweltauflagen deutlich zu lockern. Deutliche Kritik an der Entscheidung der Minister:innen kommt unter anderem von den Europaabgeordneten Maria Noichl (SPD) und dem grünen Martin Häusling.

Noichl: Umwelt nicht gegen Landwirtschaft ausspielen

Zu dem Beschluss der EU-Agrarminister:innen, sich hinter die sogenannten „Vereinfachungsvorschläge“ der Europäischen Kommission zur Gemeinsamen Agrarpolitik zu stellen, erklärt die SPD-Europaabgeordnete Maria Noichl: „Der Frust der Landwirt:innen ist nachvollziehbar - die Vorschläge der EU-Kommission sind es leider nicht. Hier werden berechtigte Maßnahmen für die Umwelt gegen die kurzfristigen Wünsche aus Teilen der Landwirtschaft ausgespielt. Die Vorschläge helfen weder den Landwirt:innen in ihrem Kampf für einen besseren Erzeugerpreis, noch hilft es gegen das Artensterben auf der Fläche. Mit den Vorschlägen der EU-Kommission könnten bis zu 9 Millionen Hektar pestizidfreies Land verloren gehen, einschließlich über 1,4 Millionen Hektar an brachliegender Fläche. Auf der Fläche wird sich damit das Artensterben weiter intensivieren. Die Folgen werden auch unsere Landwirt:innen zu spüren bekommen. Schon heute gibt es auf 50 % der Anbauflächen in der EU, auf denen Pflanzen angebaut werden, ein Bestäubungsdefizit.“

Die Folgen für die Gesellschaft, „für uns alle“, seien auch der Kommission wohl kaum klar, denn eine Folgeabschätzung zu dem Vorschlag gebe es nicht. „Das Europäische Parlament muss sich gegen dieses Schnellverfahren wehren. Denn diese Vorschläge schränken Anforderungen für die Auszahlung europäischer Steuergelder ein. Darüber muss debattiert und diskutiert werden. Wir können nicht im Hauruck-Verfahren einen jahrelang verhandelten Kompromiss zu europäischen Ökologisierungsauflagen auf europäischer Ebene zerstören. Denn wer europäische Steuergelder erhält muss auch ein Mindestmaß an Klima- und Umweltambitionen einhalten“, unterstreicht die agrarpolitische Sprecherin der SPD-Europaabgeordneten.

Häusling: Fatale Entwicklung - Entkernung der GAP von Umweltauflagen

„Als ersten Tagesordnungspunkt billigten die Mitgliedsstaaten kommentarlos die von der Europäischen Kommission vorgeschlagenen Änderungen der Gemeinsamen Agrarpolitik (GAP)“, teilt der grüne EU-Abgeordnete Martin Häusling kurz nach dem Beschluss der EU-Agrarminister:innen mit. "Was heute in Brüssel als Entbürokratisierung der GAP verkauft wird, ist in Wahrheit ein Ablenkungsmanöver und Zugeständnis konservativer Kräfte an Krawallmacher, um die Landwirtinnen und Landwirte vor den anstehenden Europawahlen von der Straße zu bekommen“, so Häusling. Die Aussetzung und Aufweichung von Umweltstandards ist für ihn „ein fatales Zeichen angesichts von Klimawandel und Artensterben, die immer schneller voranschreiten und insbesondere die Landwirtschaft bereits massiv bedrohen.“ Anstatt hier zukunftsweisend entgegenzuwirken, sollen beispielsweise Brachflächen geopfert und der Grünlandschutz geschwächt werden. Das passe nicht in die Zeit und gehe zudem an den wahren Problemen der Landwirte vorbei: Preisverfall und -volatilität am Weltmarkt sowie die schlechte Stellung der Landwirte in der Lieferkette, wo sie zwischen Verarbeitung und Einzelhandel aufgerieben werden. Lösungen für diese Probleme müssten diskutiert und entschlossen in die Tat umgesetzt werden.

„Ich warne aber ausdrücklich davor, die Schuld an zu geringen Preisen der Landwirtschaft in der Ukraine in die Schuhe zu schieben. Es ist Russland, das zurzeit weltweit mit gezieltem Preisdumping die Getreidepreise kaputt macht. Wir müssen es der Ukraine weiterhin ermöglichen, zollfrei in die EU zu exportieren. Diese Solidarität sind wir der Ukraine schuldig“, erklärt der grüne Europaabgeordnete.

Dass nun von vielen Wissenschaftlern seit Jahren dringend geforderte Umweltauflagen im Schnellverfahren noch kurz vor Ende der Legislatur wie Dominosteine fallen sollen, ist für Häusling „ein bitterer Rückschritt und genau das Gegenteil davon, was wir eigentlich auf EU-Ebene für eine zukunftsfähige Landwirtschaft bräuchten: ein mutiges Voranschreiten bei Artenschutz, Klimaschutz und Nachhaltigkeit. Die heute von den Agrarministern als vermeintliche Entbürokratisierung gebilligten Anpassungen der GAP setzen die Axt auch noch an die kleinsten grünen Fortschritte, die in dieser Reform verblieben waren.“

Zum Zeitplan

Die Agrar-Sprecher:innen der Fraktionen im Agrarausschuss des Europäischen Parlaments haben laut Noichl mehrheitlich die urgent procedure nach Artikel 163 der Geschäftsordnung des Europäischen Parlaments beantragt. Nun muss in der kommenden Plenarwoche das Plenum mit einer Mehrheit über die Zulassung dieses Schnellverfahrens abstimmen. Erst dann kann final über die Vorschläge abgestimmt werden.