Anfang dieses Jahres wurde das Töten männlicher Küken in der Hühnerhaltung in Deutschland gesetzlich verboten – als erstem Land weltweit. Das Schreddern o.ä. von 45 Mio. Hühnerküken pro Jahr kurz nach dem Schlüpfen sollte beendet werden. Damit wurde dem Urteil des Bundesverwaltungsgerichts von 2019 gefolgt, das das Töten nur noch übergangsweise erlaubt hat. Zudem ist das Töten von Hühnerembryonen im Ei nach dem 6. Bebrütungstag ab 2024 untersagt.
Fehlende Praxisreife
Während Tierschützer das Gesetz als Meilenstein begrüßt hatten, kritisierten Hennenhalter trotz grundsätzlicher Zustimmung die unzureichende Praxisreife des Gesetzes. Obwohl eine breitenwirksame Technik noch fehlte, hat sich die damalige Bundesregierung frühzeitig auf die Zuchtunternehmen verlassen, dass man „das schon hinkriege.“ Die erste Halbjahresbilanz fällt nun ernüchternd aus. „Seit Anfang 2022 werden Legehennenküken größtenteils nicht mehr in Deutschland ausgebrütet,“ erklärt Henner Schönecke vom Bundesverband Ei bei topagrar online. In Deutschland seien im ersten Quartal im Verhältnis zum Vorjahr ein Drittel weniger Bruteier eingelegt worden und 55% weniger als 2020. Acht von zwanzig Brütereien hätten ihre Tätigkeit bei Legehennen eingestellt. Stattdessen seien in den Niederlanden, Polen und Österreich Brutbetriebe ausgedehnt worden, wo das Verbot nicht gilt. Die Eier werden zum Schlüpfen exportiert und danach die weiblichen Eintagsküken hier zur Eiererzeugung aufgezogen. Je nach Boden- oder Freilandhaltung hat sich das Ei um ein bis drei Cent verteuert, was im LEH oder auf Wochenmärkten trotz aktuell schwachem Absatz erreichbar ist, nicht jedoch bei dem großen Teil der verarbeiteten Eier. „Insgesamt gesehen haben wir somit das Kükentöten erfolgreich exportiert,“ so Schönecke. Im Ergebnis wollen die Schlachtereien die schlachtreifen „Lege“-Hähne nicht haben und der hiesige Marktanteil liegt bei wenigen Prozent.
Das Schicksal der hier aufgezogenen männlichen Tiere scheint unklar. Marktkenner sprechen davon, dass viele der „Bruderhähne“ zur Mast und/oder zum Schlachten nach Polen gebracht werden, wo sich ihre Spur verliert. Ludger Breloh, der Geschäftsführer von Seleggt (Rewe-Tochter), die ein Spezialverfahren zur Geschlechtsbestimmung im Ei entwickelt haben, erklärt: „Wir erleben ja heute schon, dass der Großteil des Bruderhahn-Fleischs, was heute produziert wird, über ausländische Schlachtunternehmen heute schon nach Afrika exportiert wird.“
Geschlechtsbestimmung im Ei als Alternative der Wahl – wenn’s funktioniert
Von Anfang an hat die Regierung auf drei Alternativen zum Töten gesetzt,
- die Geschlechtsbestimmung im Ei
- die Aufzucht der männlichen Tiere als „Bruderhähne“
- den Einsatz von Zweinutzungshuhn-Rassen.
Die Geflügelbranche (und die Regierung) sieht für die Zukunft in der Geschlechtsbestimmung im Ei („in ovo“) die Lösung. Erste Technologiehersteller bilden sich auf dem Markt gerade heraus, die eine erfolgreiche Bestimmung per Durchleuchtung oder durch eine hormonbasierte Analyse im Ei versprechen. Entscheidend bei allen Methoden ist die frühestmögliche Erkennung des Geschlechtes, um ein Schmerzempfinden beim Embryo auszuschließen. Einig ist sich die Wissenschaft, so F. Kaufmann und R. Andersson von der Uni Osnabrück, dass bis zum siebten Tag kein Empfinden vorliegt, nach dem 15. Tag Bebrütungstag aber mit Sicherheit. Für den Zeitraum dazwischen gehen die Meinungen auseinander, so die Wissenschaftler. Ab 2024 ist auch das Töten von Hühnerembryonen untersagt, d.h. eine zuverlässige Bestimmung des männlichen Geschlechts muss vor dem siebten Tag geschehen, um „aussortiert“ zu werden. Das schaffen die heutigen Verfahren aber nicht. Zwar wird durchaus intensiv von einigen Brutunternehmen daran gearbeitet, aber die Verfahren sind aufwendig und kostspielig. Immerhin will die Lohmann Gruppe, einer der wenigen weltweiten Zuchtkonzerne, im Sommer eine Anlage in Ankum, Niedersachsen installieren. Inwieweit damit Millionen von Embryos zeit- und kostengünstig bestimmt werden können, bleibt abzuwarten. Aber auch dieses Verfahren benötigt bisher mehr als sieben Tage. Trotzdem gilt es aktuell als der künftige „Königsweg“.
Bruderhahn keine Lösung
Als Alternative gilt gerade auch in alternativen und ökologischen Kreisen die Aufzucht des sogenannten Bruderhahns, der „männlichen Legehennen“. Da der Bruderhahn aber „Opfer“ der auf Eierleistung spezialisierten Hybrid-Legelinien ist, bleibt sein Mastwachstum zu gering, zu ineffizient und zu teuer. Die Aufzuchtdauer bis 1,5 kg Lebendgewicht ist etwa doppelt so lang wie bei den klassischen „Turbohähnchen“. Die Futterverwertung ist entsprechend doppelt so schlecht, d.h. die Mast verbraucht hohe Futter- und Energiekosten, was bei den aktuellen teuren Getreidepreisen besonders ineffizient ist. Da die Tiere aber relativ robust sind, können sie z.B. in älteren, nicht so aufwendig hygienisch-klinischen Ställen ohne gesundheitliche Probleme gehalten werden. Erschwerend für die Vermarktung kommt hinzu, dass neben den hohen Kosten auch der Schlachtkörper „nicht marktkonform“ ist. Denn die Ausprägung des wertvollsten Teilstückes Brustfilet ist zu gering und die Konsistenz des Fleisches zu fest, so dass es zum Kurzbraten nicht zu verwerten ist. Daher geht das Bruderhahnfleisch in die Verarbeitung z.B. für Frikassee oder Brüh- oder Bratwurst, was aber die Marktmöglichkeiten und die Wertschöpfung sehr begrenzt. „Auf Grund der kostenträchtigen Aufzucht müsste es hochwertig vermarktet werden, auf Grund der Fleischqualitäten wird es geringer bezahlt,“ sehen auch einige Vermarkter im Bio- oder Neulandbereich die Chancen kritisch. „Der Bruderhahn ist keine Lösung,“ ist sich Neulandsprecher Jochen Dettmer sicher, der sich seit Jahren mit Alternativprojekten beschäftigt. Zwar subventionieren manche Freiland- oder Öko-Vermarkter das teure Bruderhahnfleisch über höhere Preise für Eier, z.B. 3 bis 5 Cent. „Aber das reicht nur für eine begrenzte und überschaubare Kundschaft. Es fehlt einfach das wertvolle und attraktive Frischfleisch.“
Geringe Weiterentwicklung des Zweinutzungshuhns
Besonders enttäuschend empfindet es Professor Bernhard Hörning, Eberswalde, dass an der Entwicklung des Zweinutzungshuhns, der dritten Alternative zum Kükentöten, wenig geforscht wird – anders als z.B. in Frankreich. Dabei gilt es, auf der Basis alter Rassen neue Fortschritte gleichzeitig bei Lege- und Mastleistung zu erarbeiten, aber das gelingt eben erst langsam und wenig gewinnträchtig. Bisher liegen die Mastergebnisse von Rassen wie Lohmann brown oder Bresse mit 20 bis maximal 30 g täglicher Zunahmen weit unter der Hälfte der klassischen „Turbomast“. Auch die Legeleistung liege laut Hörning, der seit Jahren wissenschaftlich die Entwicklung begleitet, bei etwa 60 bis 75% der Standardmengen mit sehr großen Unterschieden. Viele Untersuchungen der vielfältigen Rassen zu Fütterung, Haltung, Gesundheit, Parasitenbefall, Legebeginn usw. stehen erst am Anfang.
Die Initiativen der ÖTZ („Ökologische Tierzucht gGmbH“ von Bioland und Demeter) und die Entwicklung der Rasse „Lohmann Dual“ sind nur ein kleiner Hoffnungsschimmer. „Dennoch ist das Zweinutzungshuhn auf Dauer die bessere Alternative als der Bruderhahn,“ fasst Dettmer seine Erfahrungen zusammen. „Aber insgesamt haben wir noch einen weiten Weg vor uns.“
Kükentötenverbot auf ganz dünnem Eis
Eine überzeugende Lösung der Umsetzung der gesetzlichen Anforderungen des Verbots auf breiter Basis ist nicht in Sicht. Die Geflügelbranche fordert vom Gesetzgeber mindestens eine Kennzeichnungspflicht für importierte Eier „mit Kükentöten“. Zurzeit wird die Problemlösung exportiert, sind sich Hörning und Dettmer einig. Dennoch ist Bernhard Hörning nicht völlig unzufrieden. „Ohne das Gesetz wäre nichts in Bewegung gekommen, jetzt kümmert sich selbst ein Zuchtunternehmen wie Lohmann. Durch die Initiative in Deutschland wird es auch in Frankreich und anderen EU-Ländern diskutiert.“ Wer aber glaubt, durch das Gesetz sei das Leben und die Aufzucht der männlichen Küken tierschutzgemäß gesichert, sollte schnellstens aus seinem Traum erwachen.