Scharfes Schwert oder kleiner Feigling

Wie bildet sich der Schweinepreis und was kann man von der Notierung des Schweinepreises lernen? Marktbeobachtungen von Hugo Gödde

Immer mittwochs entscheidet sich der Schweinepreis für die kommenden 7 Tage. Dann tritt die Notierungskommission der Schweine- Erzeugergemeinschaften zusammen und legt den Preis fest. Anschließend wissen die Schweinemäster, ob sie schnell verkaufen müssen oder besser noch ein paar Tage warten. Aktuell ist es wohl klüger, wenn möglich noch etwas zu warten, denn der Preis steigt diese Woche – voraussichtlich. Aber wieviel und wie lange ist immer ein Risiko, gerade in ungewissen Zeiten wie heute angesichts von kriegsbedingten Getreidespekulationen, hohen Inflationsraten und sinkendem Fleischverzehr.

Steigt der Preis?

Für die nächsten Wochen bis Weihnachten sprechen die Marktexperten von guten Bedingungen für einen Preisschub. Das Angebot nimmt ab, weil seit Monaten Betriebe ihre Schweinehaltung aufgeben oder mindestens abstocken. Die Schlachtzahlen liegen 9% unter Vorjahr und auch die Sauenzahl sinkt seit Monaten. Im Spätsommer/Herbst wurden weniger Ferkel aufgestallt. Die fehlen jetzt und demnächst oder – besser gesagt – die Überschüsse sind weitgehend abgebaut. So heißt es wenigstens aus Süddeutschland, wo traditionell auch für den Export nach Österreich und Italien produziert wird. Im Norden sieht es (noch) anders aus. Auch aus Preisgründen wurden zuletzt etliche Schweine Richtung Süddeutschland gefahren.

Das klingt erst einmal gut in den Ohren der in den letzten zweieinhalb Jahren gebeutelten Schweinehalter. Aber noch immer liegen die Preise im roten Bereich im Verhältnis zu den Kosten. Denn das geringere Angebot trifft auf eine „verhaltene“ Nachfrage, wie es im Marktjargon heißt. Der Schweinefleischverzehr nimmt in 2022 nach Aussagen von Konsumforschern um 7% ab.

Auch Fleischbranche vor Umbau

Damit hat die Schlacht- und Fleischindustrie ein doppeltes Problem. Ihre noch aus alten Exportzeiten stammenden Kapazitäten sind überdimensioniert. Die Großen der Branche reduzieren ihre Schlachtungen um 20% und mehr, an manchen Standorten wird vom 2-Schichtbetrieb auf eine Schicht heruntergefahren. Zudem sind die Kosten für Energie (Kühlkette) und für Personal (Mindestlohnerhöhung, Fachkräftemangel u.a.) kräftig gestiegen. Noch herrscht in der Branche das Prinzip Hoffnung. „Morgen wird alles wieder besser“ wird nicht funktionieren, berichtet der renommierte Unternehmensberater Fischer auf dem Deutschen Fleisch Kongress. Eine solche Strategie könnten sich nur Unternehmen mit viel Liquidität und großen Reserven leisten. Noch will keiner der Schlachtgrößen als erster aus der Deckung, dass ihm die Kosten weglaufen. Dabei werden hinter den Kulissen schon (auch große) Schlachthöfe ins Fenster gehängt. In den nächsten zwei Jahren wird sich viel sortieren, heißt es mehr oder weniger hinter vorgehaltener Hand.

Da auch der Absatz im LEH klemmt – manche Einzelhandelsgeschäfte schließen ihre Frischfleischtheken oder senken die Öffnungszeiten - , ist für die landwirtschaftliche Seite aus der Industrie (jetzt erst recht) kein Einlenken zu erwarten.

Notierung als Waffe?

Im Gegenteil: der Druck der Industrie steigt auch aus Überlebenswillen. Dennoch konnte die „grüne“ Seite bisher gut gegenhalten. Sie musste sich nicht wie in früheren Zeiten jedem Druck der Abnehmer beugen. Dafür hat sich ein Mechanismus der Preisgestaltung bewährt, der sich in den letzten Jahren etabliert hat. Seit 1998 empfiehlt die Vereinigung der Erzeugergemeinschaft für Vieh und Fleisch (VEZG) wöchentlich Preise für Schlachttiere. Grundlage ist das Marktstrukturgesetz, das ohne Einwände des Kartellamtes erlaubt, dass sich landwirtschaftliche Gemeinschaften preislich absprechen, um ein Gegengewicht zur Marktmacht der Abnehmer bilden zu können. Damit gibt die Erzeugerseite den aktuellen „Notierungspreis“ vor, der zur festen Orientierung für den gesamten Markt geworden ist. Er wird ausschließlich von den 38 Erzeugergemeinschaften (Stand Anfang 2022) festgesetzt, beruht aber auf einer breiten Markteinschätzung einschließlich der Exportaktivitäten. Die mittleren Schlachthöfe übernehmen in der Regel die Notierung. Die großen Schlachtkonzerne reagieren, wenn sie die Marktbeurteilung nicht teilen, mit sogenannten „Hauspreisen“, d.h. mit niedrigen Preisen, die nur für ihren Schlachthof gelten. Meistens geht einer der Fleischriesen Tönnies, Vion, Westfleisch, Danish Crown voran und die anderen folgen tags darauf. Das geschieht in den letzten Jahren etwa 4 bis 6x pro Jahr und ist immer mit großer Aufregung in der landwirtschaftlichen Öffentlichkeit und auch Imageverlust der Abweichler verbunden. Die Hauspreismacher werden als Buhmann dargestellt. Die mittelgroßen Schlachthöfe können sich Hauspreise kaum erlauben. Schließlich können die Viehhändler auch zum nächsten Schlachter fahren. So ist es in den letzten drei Wochen auch dem niederländisch-deutschen Konzern Vion passiert, der als einziger einen Hauspreis mit 5 Cent unter Notierung zahlte. Er musste zusehen, wie die Schweine an ihrer Schlachtstätte vorbeigefahren wurden, und hat letzte Woche wieder die Notierung übernommen.

Leitpreis über Deutschland hinaus

Insgesamt hat sich, so der VEZG-Vorsitzende Fries, die Preisfindung bewährt und ist nicht selten zum Leitpreis für Europa geworden. Er weiß auch, dass die Treffsicherheit des Marktpreises die größte Herausforderung ist, woran man im Markt gemessen wird. Aber „wir müssen immer versuchen, bis an die Schmerzgrenze zu gehen. Wie häufig es dann zu Hauspreisen kommt, hängt immer auch von der Marktlage ab.“

Die hohe Akzeptanz ist sicherlich eine Waffe in den Händen der Erzeuger, wenn man sie klug einsetzt. Europaweit ist einzigartig, dass die Erzeugerseite eigenständig den Preis festlegt. In Frankreich, Spanien oder Niederlande beschließt z.B. eine Kommission aus Erzeugern und Abnehmern den Wochenpreis. Entscheidend ist deshalb für Fries die Bündelung und Geschlossenheit der Schweinehalter. „Die fehlende Solidarität unter den Berufskollegen ist der Nasenring, an dem man uns immer wieder vorführt.“

Natürlich gibt es auch unter den EZG’s unterschiedliche Einschätzungen über die Marktlage. Manche halten die Notierungsempfehlungen für zu defensiv und zu feige. Für sie sind schon immer die Industrie und der Handel die „großen Abzocker“ – besonders in Krisenzeiten wie heute.

Immerhin ist es gelungen, dass die VEZG- Mitgliedergemeinschaften ca. 13 Mio. Schweine und 7,5 Mio. Ferkel in 2021 vermarktet haben. Fries: „Bei Schweinen liegt unser Marktanteil zwischen 25 und 27 Prozent. Bei frei gehandelten Ferkeln kommen wir auf etwa zehn bis 15%. Im Rinderbereich sind unsere Anteile geringer.“ Er dürfte deutlich unter 10% liegen, heißt es in der Branche.

Notierung auch für Tierwohlprogramme?

Offen ist die Frage, inwieweit das Notierungssystem sich an künftige Tierwohlprogramme anpasst. Bisher unterscheidet sich die Preisbildung von Programm zu Programm. Die Biostufe hat schon immer ihre eigene selbstständige Preisbildung. Schlachthofunabhängige Tierwohlprogramme wie Neuland oder Tierschutzlabel arbeiten seit Jahren erfolgreich mit (möglichst) festen Preisen. Neuere Programme von Schlachthöfen und/oder dem LEH (Rewe, Edeka, Kaufland, Aldi) orientieren sich stärker am Aufschlag auf die Notierung, der aber häufig schwankt je nach Marktlage. Wenn hier nicht feste (mehrjährige) Verträge die Basis bilden, werden die Erzeuger leicht Beute von Marktvorgaben der abnehmenden Seite, die steigende Erzeugungskosten nicht ausgleichen, weil „es der Markt nicht hergebe“. Davon können aktuell mehrere Programme berichten.

Die VEZG kann sich bisher kein anderes System als Aufschläge auf die Notierung vorstellen, die dann Tierwohlleistungen abbilden sollen. Viele Tierwohl-Schweinehalter sind es so gewohnt und orientieren sich daran. Pioniere der Haltungsstufen 3 und 4 sehen nicht ein, dass sie so mit den Problemen des Standardmarktes belastet werden, deren Preisbasis stark von den Verwerfungen des Weltmarkts bzw. des EU-Exports nach Südostasien belastet wird.

Der Marktbeobachter fragt sich, warum man nicht eine eigene Notierung für die Tierwohlstufen anstrebt, die nicht abhängig vom Gesamtmarkt ist. Voraussetzung ist die Solidarität der Erzeuger in Gemeinschaften, Lernen von der VEZG und die Vermeidung von Überschüssen. Bio macht es schließlich seit Jahren erfolgreich vor.

29.11.2022
Von: Hugo Gödde

Kann eine Preisgestaltung wie durch die Vereinigung der Erzeugergemeinschaft für Vieh und Fleisch (VEZG) auch bei Tierwohlprogrammen den Erzeugern helfen?