Milchmarkt am Boden – kommt die Rettung durch Aldi?

Marktbeobachtungen von Hugo Gödde +++ Aldi gibt beim Haltungswechsel weiterhin Gas. Wie das Unternehmen jetzt ankündigte, wird der Discounter bereits ab Frühjahr 2024 ausschließlich Frischmilch aus den höheren Haltungsformen 3 und 4 verkaufen und damit das bisherige Ziel deutlich früher als geplant anvisieren. Während regelmäßig Marktkenner die mangelnde Bereitschaft zum Kauf höherwertiger Produkte beklagen, nennen Aldi Nord und Aldi Süd die hohe Nachfrage und eine funktionierende Verfügbarkeit und Beschaffung durch ihre Lieferanten als Begründung für die eigentlich erst für 2030 vorgesehene Zielsetzung. Bereits heute liegt der Umsatzanteil von Trinkmilch aus höheren Haltungsformen bei über 60 %. "Dass wir bereits im kommenden Jahr 100 % unserer Milch aus den höheren Haltungsformen anbieten können, unterstreicht unsere Vorreiterrolle beim Tierwohl. Jetzt ist es wichtig, dass weitere Händler nachziehen, denn die Transformation der Landwirtschaft gelingt nur gemeinsam", erklärt Julia Adou, Nachhaltigkeitsdirektorin bei ALDI SÜD.

Kontrapunkt gegen niedriges Tierwohlniveau und Absatzfrust?

Haltungsform 3 wird damit zum neuen Mindeststandard unserer Trinkmilch, so die Tierwohlverantwortliche, aber (noch) nicht für andere Milchprodukte. Haltungsform 3 erfordert u.a. eine „Laufstallhaltung mit ganzjährig nutzbarem Laufhof oder Laufstallhaltung mit Weidegang, keine Anbindung“. In Haltungsform 4 stehen die Kühe (neben mehr Platz) „in Laufstallhaltung mit ganzjährig nutzbarem Laufhof und Weidegang während der gesamten Vegetationsperiode“.

Außerdem, so Adou, werde schon jetzt die gesamte Frischmilch und ab 2024 auch die H-Milch aus deutscher Herkunft bezogen. Das gilt für die Eigenmarken, aber nicht für Artikel von Molkereimarken und internationalen Spezialitäten.

Damit setzt Aldi aktuell einen deutlichen Kontrapunkt zum allgemeinen Frust auf dem Milchmarkt. „Weltmarktpreise für Milchprodukte auf neuem Tiefpunkt“ und „Zeit kostendeckender Erzeugerpreise vorbei“ meldet z.B. Agra-Europe zuletzt. Und diese Woche: „ Weltmarktpreis für Vollmilchpulver stürzt ab“ oder der weltgrößte Molkereikonzern „Fonterra (Neuseeland) senkt Milchpreisprognose deutlich“ oder „Gewinn bei FrieslandCampina bricht ein“.

Milchpreise im Abwärtstrend

Überall überwiegen die schlechten Nachrichten nach dem Rekordjahr 2022 für die Milcherzeuger. Noch im Januar hatte Milchindustrieverband-Hauptgeschäftsführer Heuser beteuert, dass im ersten Halbjahr 2023 die „Fünf“ vorne bleibe. Nun bleibt festzuhalten, dass das nur wenigen Molkereien im Süden gelungen ist. Im Bundesschnitt ist der Preis im Juni auf 41,5 ct/kg abgerutscht. Im Norden, wo im letzten Jahr durch den Boom am Weltmarkt und Export Spitzenergebnisse erzielt wurden, zahlten die meisten Molkereien in der Regel zwischen 35 und 38 Cent Grundpreis ohne Zuschläge. Von kostendeckenden Preisen, die vom European Milk Board (EMB) bei etwa 46 Cent berechnet werden, ist die Milchauszahlung bereits wieder meilenweit entfernt.

Nur noch ganz wenige Milchverarbeiter wie die Molkerei Ammerland bieten mehr als 40 Cent Milchgeld. Die größte deutsche Molkerei DMK in Bremen, die vor wenigen Wochen noch ihre Superleistung des Vorjahres feierte, ist auf 35 Cent gefallen – und wieder auf einem Abstiegsplatz.
Die süddeutschen Milchpreise liegen im Juni bei 41 bis 47 Cent je kg und damit in etlichen Fällen 10 Cent höher als im Norden.

Ziele branchenweit verfehlt

Nimmt man die Versprechungen – oder waren es nur Wunschprognosen – der Milchindustrie für das erste Halbjahr beim Wort, dann lagen im Norden DMK bei 43,8 Cent im Schnitt, Ammerland bei 45,2, Nordseemilch bei 44,3 erheblich unter den anvisierten 50 Cent. Auch die Großen im Westen wie Arla mit 44,0, der langjährige Marktführer FrieslandCampina mit 46,0, Molkerei Hochwald mit immerhin 49,5 Cent verfehlten weit das Ziel. Im Süden schafften Molkereien wie Berchtesgadener Land, Hochland, MüllerMilch, Omira (zum französischen Konzern Lactalis gehörend), Ehrmann, Bauer, Oberfranken West (sogar 53 ct) so gerade die Zielmarke, während Schwarzwaldmilch oder Meggle sie schon rissen. Milchwerke Schwaben und die Molkerei Bayerische Milchindustrie eG (BMI) bewegten sich eher im Nordniveau. Einige Molkereien leiden bereits wieder unter der schlechten Verwertung. Der Preisdruck des LEHs, dem man nicht mehr auf den Export ausweichen konnte, hohe Lagerbestände – teuer eingekauft, nun preisreduziert auf dem Markt geworfen – und der Preiscrash, den man nicht schnell genug an die Bauern weitergegeben habe, werden als Gründe genannt. FrieslandCampina hat für die erste Jahreshälfte einen Gewinneinbruch von etwa 90% mitgeteilt und ist fast in die roten Zahlen gerutscht. 8 Mio. Nettogewinn bei 6,9 Mrd.€ Umsatz (= 1 Promille). Man habe die Milcherzeuger zu lange zu gut bezahlt, mahnte der neue Vorstandschef van Karnebeek. „Für mich hat die Verbesserung unserer Rentabilität in 2023 und danach oberste Priorität.“ Gewinn geht künftig vor Milchgeld, interpretieren Branchenkenner die Ansage, die Auszahlung müsse sinken. Für die zweite Jahreshälfte kündigte der FrieslandCampina-Manager an, den Milchpreis an die Erlöse der Basispreise anzupassen, d.h. der Juli-Garantiepreis von 43 ct/kg wird noch unterschritten.

An der wichtigen deutschen Milchbörse Kempten lag Butter 35%, Milchpulver um 60% unter Vorjahr. Der ife-Rohstoffwert für Eiweiß und Fett lag im Juli bei 35,3 €.

Weltmarkt mehr Last als Hilfe

Erneut spricht der Milchindustrieverband davon, dass es nach dem Sommer wieder aufwärts gehen könne. Die Daten stützen dies Hoffnung eher weniger. Auch wenn sich das Mengenwachstum verlangsamen sollte, bieten die globalen Signale kaum Zuversicht. Der Weltmarktpreis, der den letztjährigen Rekord getragen hat, liegt am Boden. Mehr Rohstoff trifft auf zurückhaltende Nachfrage, heißt es. Der Preisindex sinkt auf das tiefste Niveau seit November 2020. Zuletzt gaben alle Wertstoffe (Eiweiß und Fett) international nach. Als Grund gaben Analysten die Nachfrageschwäche an, vor allem durch Chinas schlechte Konjunktur. Zudem wurden im Reich der Mitte in 2023 bisher 7,5% mehr Milch erzeugt. Peking werde dieses Jahr weniger Milch und Butter importieren, analysiert die EU-Kommission. Besonders Neuseelands Molkerei-Riese Fonterra, der fast allein den wichtigen Vollmilchpulvermarkt Chinas trägt, ist massiv unter Druck und senkt die Milchpreisprognose kräftig nach unten. Der dortige Branchenverband schätzt die Produktionskosten je Kilo Milchfeststoff auf 4,84 € ein – bei einem Auszahlungspreis von etwa 4,00 Euro. Der Druck aus Neuseeland wird steigen und das Freihandelsabkommen mit der EU wird den Wettbewerb verstärken. „Die Kollegen in Australien und Neuseeland werden die neue Benchmark sein“, verlangt Heuser mehr Wettbewerbsfähigkeit der Betriebsleiter.

Transformation ohne neue Strategie – wie geht das?

 Über die Strategie zur Milchpolitik gehen die Meinungen weit auseinander. Die Molkereiwirtschaft hält stur an ihrer traditionellen Ausrichtung fest mit einer Ausrichtung auf den internationalen Markt, Preis- und Marktführerschaft und Förderung über die erste Säule (Flächensubvention). „Nur die erste Säule ist ihnen sicher“, so Heuser auf einer Milchtagung. Zudem fordert er eine Stärkung der Branchenkommunikation „Initiative Milch 2.0“. Damit soll in „Erinnerung“ an die CMA-Absatzförderung das Marketing für Milch verbessert werden. Nach langem Ringen drücken die Molkereien dafür 3 Mio. € freiwillig ab, viel weniger als die 30 Mio. € der früheren CMA mit ihrer Werbung für „Die Milch macht’s“ usw. Neuerdings solle mit „Milch - das weiße Wunder“ wieder Milch „zelebriert werden und ein neues Narrativ kreiert werden“. Man sei „auf einem guten Weg“, so Heuser. Marktkenner sprechen schon von einem satten Flop.

Tierwohl und eine gesellschaftlich akzeptierte Haltungsform halten die Initiativgenossen für eine „Lizenz zum Produzieren“, aber nicht für eine Möglichkeit der Erhöhung der Wertschöpfung oder des Ausgleichs plus Mehrwert der höheren Produktionskosten. Minister Özdemir brauche man für die Transformation der Nutztierhaltung, sonst „haben wir als Agrarbranche verloren“. Aber welche Transformation und wohin, fragen sich Branchenkenner. Um besser international aufgestellt zu sein und Neuseeland u.a. mit Standardprodukten global besser Paroli bieten zu können, könne es doch nicht sein.

Wo bleibt die Tierwohl-Initiative Milch der Kritiker der bisherigen (Milch-)Agrarpolitik?

Verschiedene NGO’s, wie der BUND oder die AbL fordern eine Agrarwende bei der Förderung in Richtung von Zahlungen für Gemeinwohlleistungen und einer Orientierung auf den Binnenmarkt. Der BDM verlangt zudem eine staatliche Unterstützung bei einer freiwilligen Mengenreduzierung. Einig ist man sich in der Stärkung der Weidemilch, die aber von der Regierung im Rahmen der Förderung der Öko-Regelungen bisher zu kurz kommt. Gestritten wird um die Bedeutung der Rinder für den Klimawandel und um den Abbau der Rinderzahlen. Aber bei einer Tierwohl-Initiative Milch hält man sich auffällig zurück.

Da könnte nun Aldi ins Spiel kommen und wieder einmal die Politik treiben, hofft der Marktbeobachter. Im Unterschied zum Berliner Ampelgezänk gibt der Discounter konkrete Zahlen und Zeitpunkte vor und verfrüht noch seine Ziele. Das ist aber nur eine Chance für die Milcherzeuger, wenn man für die Aldi-Ambitionen, denen sicher bald andere folgen werden, nicht nur die Mengen zusammenbringt, sondern auch auf mindestens vollen Ausgleich des Mehraufwandes drängt. Über den Preis hat der Handelsriese nichts verlauten lassen. Und die Anstrengungen der Molkereien beim Tierwohl sind auf „Lizenz zum Produzieren“ ausgerichtet, nicht auf einen echten Kostenausgleich oder gar Mehrwert für die Landwirte. Deshalb speisen sie auch die Weidemilcherzeuger mit 1 bis 2 ct/kg ab und streiten nicht für die realen Mehrkosten von 4 bis 6 Cent. Tierwohl muss auch Bauernwohl bedeuten. Dafür müssen sich die Bäuerinnen und Bauern selbst einsetzen. Wer sonst?

09.08.2023
Von: Hugo Gödde

So illustriert Aldi seinen "Haltungswechsel".