In der Molkereiwirtschaft herrscht Alarmstimmung. Gerade hatte man sich als Milchmarkthelden des Jahres 2022 gefeiert und mit knapp 53 ct/kg Jahresdurchschnitt einen historischen Auszahlungspreis für die Milchbäuerinnen und Milchbauern markiert, schon hängen düstere Wolken über dem eben noch strahlenden Milchhimmel. Auch die Erzeuger sind in Aufruhr. Endlich einmal hatten sie in 2022 nicht nur die Vollkosten erwirtschaftet, sondern nach vielen Jahren mit durchgängigen Verlusten sogar noch etwas Geld aufs Konto legen können, da droht schon ein Gewitter. Noch im Dezember wurden im Schnitt fast 60 Cent ausgezahlt, und Anfang Januar hatte der rheinische Vorsitzende der Landesvereinigung der Milchwirtschaft NRW Hans Stöcker die optimistische Perspektive von 50 bis 55 ct/kg für 2023 ausgegeben. Nun stürzt bereits im Februar der Preis ab.
Handel verlangt neue Verhandlungen
Der Handel verlangt günstigere Einkaufspreise für Milchprodukte und versetzt damit die umsatzstärkste Branche der Lebensmittelindustrie in Panik. Insbesondere Aldi und Kaufland haben das Signal für Preissenkungen bei Butter und Trinkmilch gegeben. Und die Molkereien reagieren auf Knopfdruck. Besonders die norddeutschen Molkereien, die sich im letzten Jahr zum Preisführer aufgeschwungen hatten, knickten umgehend ein. Die größte Molkerei DMK reduzierte im Januar ihren Milchpreis um 2 Cent und im Februar um 7 ct/kg. Aus den „schönen“ knapp 60 Cent blieben noch 50 Cent übrig und für die nächste Zeit ist mit weiteren Rückschlägen zu rechnen. Spitzenzahler „Ammerland“ rutschte gleich um 20% von 63 Cent im November auf 52 ct/kg im Januar ab. Aber auch die süddeutschen Molkereien, die im Dezember noch stabil blieben, werden von der Talfahrt mitgerissen. Die Milchwerke Schwaben kündigten für Januar 15 (in Worten fünfzehn!) Cent Abschlag an. Diesem Trend, aber wohl in geringerem Umfang, werden sich andere anschließen und ein Ende ist nicht abzusehen. Was ist passiert?
Vertrag ist Vertrag und Macht ist Macht
Konditionen für Milchprodukte werden in Verhandlungen zwischen Molkereien und Einzelhandel geregelt – meistens halbjährlich. Nicht alle Produkte werden gleichzeitig vereinbart. Das ist in Zeiten „volatiler“ Märkte wie in den letzten Monaten nicht ohne Risiko oder - anders ausgedrückt - ein Stück Spekulation, weil sie von den Einschätzungen des Marktverlaufs der nächsten Monate abhängen. Im Herbst wurden mit den meisten LEH-Konzernen Verträge über Trinkmilch und einige andere Produkte der weißen Linie abgeschlossen. Dabei hatten die Einzelhändler der Milchindustrie höhere Preise zugestanden, weil das Milchangebot begrenzt war und explodierende Kosten (Energie, Rohstoffe, Verpackung usw.) die Hersteller unter Druck setzte. Das „Marktmomentum“ war auf der Seite der Molkereien, die es zu Erhöhungen nutzen konnten. Aber im Gefolge der gestiegenen Verbraucherpreise von 10% bis 30% ist der Absatz in 2022 eingebrochen – um 6% bei Konsummilch bis 10% bei Butter mit steigender Tendenz in den letzten Monaten.
Seit dem Herbst drehte sich der Markt in wenigen Wochen vom Nachfrage- zum Angebotsmarkt und die Läger füllten sich. Die Milchanlieferung der Erzeuger zog kräftig an, der Weltmarkt bot keine Entlastung und die Großhandelspreise brachen ein. Aber die Verträge waren abgeschlossen – mit Aldi, Rewe und Edeka, die fürchteten, die Preise würden steigen.
Die Verhandlungen mit Lidl dagegen, so berichtet die Lebensmittelzeitung (LZ), zogen sich bis unmittelbar vor Weihnachten hin. Zu diesem späten Zeitpunkt zeichnete sich der Verfall der Preise für Rohmilch, Käse und Milchpulver bereits ab. Die Verträge mit dem Discounter seien deshalb mit geringeren Preiserhöhungen und besonders kurzen Laufzeiten abgeschlossen worden, heißt es von Seiten der Milchindustrie. Butter stand erst für Januar auf der Agenda. Insider sehen daher Aldi im Geschäft mit Milchprodukten gegenüber Lidl im Nachteil. Aldi habe zunächst zu Jahresbeginn die Verbraucherpreise für Trinkmilch um 6 Cent erhöht. Konkurrent Lidl soll dagegen seinen Stücknutzen bei Milchbasisprodukten auf Rekordniveau vergrößert haben. Speziell für Markenartikel verweigert Edeka dem Vernehmen nach jede Preiserhöhung. Das konnte den Preisführer Aldi nicht kalt lassen.
Aldi, Edeka und Rewe fordern nun Nachverhandlungen ein und „eine nachträgliche Anpassung der Konditionen“, um den Preis zu drücken. Eigentlich ist ja ein Vertrag ein Vertrag, aber die Molkereien fürchten bei den nächsten Verhandlungen abgestraft zu werden und werden sich wohl der Marktmacht beugen. Ein Molkereichef, so die LZ, sieht alle Trümpfe auf Seiten des Handels und fürchtet um seine Bilanz in diesem Jahr. Auszulöffeln haben das die Milcherzeuger, das letzte Glied in der Wertschöpfungskette. Die Hoffnung, dass die noch für ein paar Monate geschlossenen Verträge den Rückgang abfedern und den Milchpreis im ersten Halbjahr stabilisieren werden, wie die Milchwirtschaft jüngst verkündete, dürfte ein Wunschtraum bleiben. Aber Vertrag ist das eine, die Marktmacht das andere.
Großhandelspreise unter Vorjahr
Bei den Konditionsabschlüssen um Butter und einige andere Produkte im Januar hat der Handel seine Marktstellung genutzt und deutliche Absenkungen durchgesetzt. Zum 1. Februar fielen auch die Butterpreise in den Geschäften um etwa 20% - um den Absatz anzukurbeln, wie der Handel argumentiert, und um die Inflation zu bremsen, was nach ersten Reaktionen auch beim Verbraucher gut ankommt.
Tatsächlich ist im Großhandel nun auch der Preis für Päckchenbutter mit einiger Verzögerung unter die Räder gekommen und letzte Woche um 30% gefallen. Damit liegt die Butter aktuell um 15-30%, Schnittkäse 10-20% und verschiedene Pulversorten um 40-50% unter Vorjahr. Einzig Hartkäse hält noch einen Preisvorsprung. Der ife-Rohstoffwert, ein Frühindikator für die nächsten Monate, ist auf 40 Cent gefallen. Im Mai 2022 hatte er einen Rekordwert von 67 ct/kg. Zu bedenken gibt zudem, dass im letzten Februar der Milcherzeugerpreis bei 43 ct/kg lag. Milchviehhalter fürchten einen Erdrutsch.
Damals war der Erzeugerpreis nur langsam gestiegen, weil die abgeschlossenen Verträge verbindlich waren und den Anstieg beim Handel bremsten. Jetzt stehen die Vorzeichen andersherum und der Handel will aus den Verträgen aussteigen – nachverhandeln, wie es heißt.
... und für die Bäuerinnen und Bauern: Verteidigung und Umbau
Die Karten am Milchmarkt werden zurzeit neu gemischt. Bei den Erzeugern macht sich allmählich eine Katerstimmung breit. Die Kosten sind kaum gesunken. Ökonomisch wird es schnell wieder eng. Ohne Kampf hatte man im letzten Jahr ein Rekordergebnis „geschenkt bekommen“ – durch rückläufige Mengenproduktion und günstige Weltmarktverhältnisse. Jetzt muss man den „guten“ Preis (die „fünf“ vorn muss bleiben, sagt die AbL) solange wie möglich verteidigen. Es kommt die Erfahrung zurück, dass der Bauer und die Bäuerin am Markt nur sehr, sehr selten etwas geschenkt bekommen.
Nach der „Party“ liegen die alten Themen wieder auf dem Tisch.
Der Marktbeobachter fürchtet, dass das Milchjahr 2022 nicht „das neue normal“ wird, wie es Milch-Board-Chef Frank Lenz fordert. 2023 scheint wieder ein „normales Kampfjahr“ zu werden - wenn auch aus einer besseren Startposition. Damit stehen auch wieder die Organisationsformen der Milcherzeuger/Erzeugergemeinschaften oben auf der Tagesordnung. Außerdem sollte man aus den Auseinandersetzungen um die Ergebnisse der „Borchert-Kommission“ lernen. Der Umbau der Tierhaltung wird früher oder später auch die Rinderhaltung betreffen – auch wenn sich die Weltmarktmolkereien und die Weltmarktbauern noch so sehr dagegen wehren. Auf eine Wette über die Art, das Ziel und den Zeitpunkt des Umbaus sollte man sich bei dieser Ampelregierung aber besser nicht einlassen.