Discount heute: Billigheimer und Tierwohl/Bio-Treiber

Marktbeobachtungen von Hugo Gödde +++ Eins muss man den Discountern lassen. Mit ihren Aktivitäten bestimmen sie mal wieder die Diskussionen um Lebensmittel in der Medien-Öffentlichkeit. Aldi verkündigt nahe Ziele mit höherem Niveau bei Tierwohl, besonders Frischmilch. Prompt reagiert Lidl und setzt auf die Milch noch besseres Rindfleisch im kommenden Jahr drauf. Für eine Woche macht Penny große Furore, weil sie neun Produkte zum „wahren Preis“ verkaufen und den Mehr-Umsatz verschenken.

Zugleich lassen die selbsternannten Preisführer in dieser Inflationszeit verlauten, dass sie mit Eigenmarken und vermehrten Preiseinstiegsprodukten die Interessen der Verbraucher vor der Inflation verteidigen. Und Lidl erklärt aktuell, dass sie wieder mehr zu den Billigpreis-Urtugenden des Discounts zurückkehren wollen. Dabei sind sie schon jetzt die Gewinner der Preisturbulenzen.

Treiber für Tierwohl und Bio

Aufmerksamkeit verschaffte sich Aldi vor wenigen Wochen mit der Ankündigung, ab Frühjahr 2024 und nicht wie geplant erst 2030 nur noch Frischmilch aus Haltungsstufe 3 (Laufstall mit Laufhof) und höher (Weidemilch, Bio) anzubieten. Der Verkaufsanteil sei heute bereits 60% und man habe die Verfügbarkeit mit den Lieferanten geregelt. Das gilt zwar nur für Frischmilch und nur für Eigenmarken, nicht für Molkereimarken und Milchprodukte, und steht nur für einen kleinen Anteil am gesamten Milchmarkt, sorgte aber in der Branche für erhebliche Unruhe. Wie nicht anders zu erwarten, reagierte Lidl in der folgenden Woche. Der Discounter der Schwarz-Gruppe will im nächsten Jahr das gesamte Frischmilch- und laktosefreie Milchprogramm (auch H-Milch) auf Stufe 3 oder das gesamte festgelistete Rindfleisch-Frische-Sortiment mindestens auf Haltungsform (HF) 3 umstellen.

Aldi konterte umgehend. Laut „Lebensmittelzeitung“ (LZ) plant Aldi die Umstellung bis Ende 2025, habe aktuell aber bei frischem Rindfleisch Stufe 3 und 4 (vor allem Hackfleisch) schon 50% Umsatzanteil. Das ist um so bemerkenswerter, da es für Rinderhaltung keine Entsprechung im Tierhaltungskennzeichnung-Gesetz gibt. Der Handel setzt also nicht nur die Standards bei Milch und Rindfleisch, sondern gibt auch schon die Zeiten, Mengen und Sortiments-Schwerpunkte vor. Marktkenner sprechen von einer Blamage der staatlichen Kennzeichnung. Es sei aber eine Folge davon, dass man sich ausschließlich an Schweinefleisch abarbeite und zudem die Borchert-Kommission behindere, ihre Empfehlungen auf andere Tierbereiche konsequent auszuweiten.

Greenpeace: Umstieg kommt kaum voran

Diese Aussagen und Ambitionen sind umso bemerkenswerter, als Greenpeace in ihrem Supermarkt-Check ermittelt hat, dass der Umstieg auf Fleisch aus besserer Haltung kaum vorankommt. Nach der aus Juni 2023 stammenden Abfrage zur freiwilligen Kennzeichnung des Frischfleischangebots bei den Handelsriesen liegt der Anteil der HF 3 und 4 bei 12 Prozent. Dabei trägt das Bio-Rinderhackfleisch deutlich zur Erhöhung des Anteils bei. Schweinefleisch bewegt sich immer noch unter 5%. Der riesengroße Anteil bewege sich mit 86% in den schlechtesten Haltungsformen 1 und 2 mit „häufig gesetzwidrigen Bedingungen“. „Hinter den vollmundigen Versprechen der Supermärkte von mehr Tierwohl und klimaschonenden Lebensmitteln versteckt sich im Kühlregal noch immer fast nur Billigfleisch“, so kommentiert die Greenpeace- Expertin Huxdorff die Ergebnisse. Überhaupt würden nur etwa 40% aller unverarbeiteten Frischfleischprodukte gekennzeichnet. Viele Supermärkte würden sich nicht an ihre eigene (freiwillige!) LEH-Kennzeichnung halten. Im Selbstbedienungsbereich werde wenigstens die Stufe ausgewiesen. „An den Bedientheken klafft auch Jahre nach Einführung der Haltungsform eine riesige Kennzeichnungslücke. Das grenzt schon an Verbrauchertäuschung,“ so Huxdorff.

Der Discount prescht vor

Gerade in der aktuellen inflationären Krisensituation gehen die großen Discounter zur Überraschung vieler in die Offensive und setzen Maßstäbe. „Wir haben einen klaren Plan“, sagt Julia Adou, Nachhaltigkeitsdirektorin von Aldi Süd in einem Interview mit der LZ . Die heutige Stufe 3 (mehr Platz, Außenklima) entwickle sich sehr gut. Aldi Süd werde sich weiter nach oben orientieren und liegt dabei mengenmäßig auch deutlich vor Aldi Nord. Allerdings schränkt sie ein, dass die staatlichen Anforderungen an die Stufe 3 hohe Hürden für die Landwirte setzen würden. Bisher verlange die LEH-Form nur 40% mehr Platz bei Schweinen, die zukünftige staatliche Kennzeichnung verlange 70% mehr Platz. Das sei ein Riesensprung für die Landwirte. Unausgesprochen liegt dahinter die Sorge, dass dieses Fleisch zu teuer werden könne und der Verbraucher sich zurückhalte. Deshalb fordert sie Unterstützung durch die Politik ein „durch klare Vorgaben, aber auch durch Finanzierung.“ Damit trifft sie sich mit der Grundempfehlung der Borchert-Kommission, dass der Markt den Umbau der Tierhaltung nicht stemmen werde, sondern der Staat einen großen Teil finanzieren müsse.

Festzuhalten bleibt aber, dass die Discounter zurzeit in der Tierhaltungsfrage treiben, während die Politik äußerst zähflüssig agiert und sich in Einzelproblemen und Fraktionskämpfen verausgabt.

Discount bleibt Discount, aber mit hohen Margen

Aldi ist momentan der Tempomacher in vielen Bereichen (Preiseinstieg, Eigenmarken usw.). Das liegt nach Einschätzung von Marktexperten aber auch an den guten Zahlen des Marktführers. Insbesondere Aldi-Süd verblüffe die Branche derzeit mit Wachstumszahlen jenseits der 20 Prozent, was nicht nur auf Preiserhöhungen zurückzuführen sei. Lidl bewegt sich im ersten Halbjahr bei knapp plus 13%, viel besser als der Gesamtmarkt und auch besser als die Supermärkte, deren Umsatzplus lediglich preisbedingt ist.

In den Corona-Jahren lag der klassische Einzelhandel wie Edeka und Rewe klar vorn, seit einem Jahr spielt die Musik beim Discount. Das lässt die Wettbewerber aber nicht ruhen. Nach Meinung von Brancheninsidern hat Lidl jetzt nicht mehr Edeka, sondern Aldi zum Lieblingsgegner erkoren. Und das bedeutet mehr Kampf um die Preisführerschaft, um den Verbraucher gegen allzu hohe Nahrungsmittelteuerung zu verteidigen, wie Handelsketten immer wieder betonen. Sie gerieren sich gern als Verteidiger gegen die „Gierflation“ der multinationalen Nahrungsmittelindustrie von Pepsi Cola bis Nestlé, Unilever oder Mondelez. Offensichtlich nicht ohne Erfolg, wie die Konsumforscher berichten. Inzwischen ist der Durchschnittsbon des Kunden bei Aldi/Lidl höher als bei Edeka/Rewe, obwohl die ein Vielfaches an Produktauswahl anbieten.

Mit einer Handelsspanne auf Rekordniveau ist z.B. Aldi Nord in die Inflationsjahre ab 2022 gestartet. Die Margen stiegen mit 25% deutlich über die Vorjahre. Aber man brauche heute auch höhere Margen, so ein Unternehmenskenner, weil die aufgewerteten Strukturen in Filialausstattung und Logistiknetz die Kostenschraube angezogen hätten. Die Investitionen in eine neue Ladenstruktur hätte zuletzt laut LZ im dreistelligen Millionenbereich gelegen. Deshalb war auch in den letzten Jahren wiederholt Kritik von der alten Aldi-Garde lauter geworden, Aldi verlasse sein eigentliches Discount-Image („Konsequent einfach“) und werde zum „kleinen“ Supermarkt.

Bei Lidl kommen nun wieder stärker Discount-Ziele zum Vorschein. Effizienz statt Eleganz: Lidl frischt das Ladendesign auf. Der Discounter sucht sein Heil im Weg zurück zu seinen Wurzeln. So urteilt ein Handelskenner in der LZ. Angesichts der Erfolge im Niedrigpreissegment will man das Filialkonzept verschlanken und Personalkosten senken. Der Kampf der „Billigheimer“ dürfte auf Kosten der Lieferanten gehen und letztlich wird auch der klassische LEH ins gleiche Horn stoßen, sind doch die Zahlen bei Edeka, Rewe und Co. momentan nicht so prall wie zu Corona-Zeiten.

Beispiel Biofleisch

Diese Ambivalenz des Preis-Leistungsverhältnisses und der Ziele lässt sich beispielsweise im Biofleisch-Sektor erkennen. Laut AMI-Analyse der GfK-Konsumzahlen sank die Einkaufsmenge im ersten Halbjahr 2023 um 9%. Seit Jahren liegt der Anteil des Einzelhandels bei Haushaltseinkäufen von Biofleisch laut AMI über 60%, im letzten Jahr bei zwei Drittel. Im ersten Halbjahr 2023 stieg er über 70%, wobei fast die Hälfte der Einkaufsmengen im Discount abgesetzt wurden. Die Supermärkte verloren ca. 10%, Metzger 16%, Direktvermarkter 30% und Naturkostläden 25%, so die Analysten.

Der Discount ist also verantwortlich, dass der Mengenabsatz an Biofleisch nicht noch stärker abgesackt ist. Und beim Discount trägt vor allem Aldi den Löwenanteil des Marktes. Über die Hälfte geht über die Kassen des Discount-„Preisbullen“, gefolgt von Lidl mit 25% und Netto mit etwa 14%.

Aber damit ist Aldi auch die erste Adresse für Veränderungen, Erfolge und Turbulenzen. Wenn die Discount-Riesen neue Produkte aufschalten, wird Fleisch knapp. Wenn wichtige Sortimente abschwirren, kränkelt die gesamte Branche.

Unterschiede zwischen Bio-Schwein und Bio-Rind

So geschieht es aktuell bei Bio-Schweine- bzw. -Rindfleisch. Während das Angebot an Schweinefleisch eher knapp ist und vor allem von Lieferanten an den Discount gesucht wird – auch zu (noch) angemessenen Preisen -, sorgt die Abhängigkeit von Discount wie LEH für erhebliche Irritationen. Die Mengen für ein Starprodukt wie das gemischte Hackfleisch sind in 2023 bisher um 28% zurückgegangen, an den Bedientheken sank die unverpackte Ware insgesamt um 20%. Wegen der höheren Preissensibilität der Kunden legen Discounter umfangreiche Sonderangebote auf, so dass die Preise laut AMI beim Discount auf 8 bis 9 Euro für Hackfleisch fallen, während der LEH zwischen 12 und 17 € nimmt. Diese immensen Preisunterschiede bei den Marktführern finden sich natürlich bei den Erzeugerpreisen wieder. Die Bio-Rinderpreise sind auf breiter Front gesunken. Die Bio-Kuhpreise liegen beim Absatz an die Handelskonzerne kaum über konventionell, während der Absatz bei Färsen und Bullen immer wieder verschoben und zuletzt auch schlecht bezahlt wird. Ein Bioland-Rinderexperte drückte es so aus, dass sich Bio-Rindfleisch eigentlich nur noch in Direktvermarktung lohne.
Eine schwache Nachfrage, ein reichliches Angebot und eine hohe Abhängigkeit von einzelnen Abnehmern – eine schwierige Mischung für die Biowirtschaft.

Der Marktbeobachter sieht sehr wohl die Anstrengungen bei Discountern u. a., schwachen Absätzen im Premiumbereich entgegenzuwirken. Schließlich lohnt es sich in der Marge. Und er ist erfreut über die Bemühungen, ein höheres Tierwohl in die Breite zu bringen und den Zeithorizont zu verkürzen. Aber wenn alle Maßnahmen unter der Prämisse des „möglichst Billigen“ stehen, ist wenig gewonnen für die Erzeuger und den Umbau der Tierhaltung. Die Ambitionen für Stufe 3 und höher können ehrenwert oder ein Marketing-Coup oder eine neue Gewinnidee sein. Aber ohne eine Attraktivität für die Bäuerinnen und Bauern werden sie nicht gelingen.

23.08.2023
Von: Hugo Gödde

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