Marktbeobachtungen von Hugo Gödde +++ „Ich wollte nicht mehr an die Molkerei mit den niedrigsten Auszahlungspreisen liefern,“ so begründete Antonius Tillmann auf der AbL-Milchtagung Anfang März den Austritt aus „seiner“ Molkereigenossenschaft DMK (Deutsches Milchkontor, Bremen). Das war ihm sicherlich nicht leichtgefallen. Schließlich ist er als Bezirksvorsitzender des Westfälisch-Lippischen Landwirtschaftsverbandes sozusagen der Bauernpräsident von Ostwestfalen-Lippe. Aber das genossenschaftliche Unternehmen, das sich „DMK-Group“ nennt, sei zu groß und unübersichtlich geworden, um noch Einfluss nehmen zu können.
Dramatischer Aderlass
Damit steht er aktuell wahrlich nicht allein da. Wie die DMK mitteilt, haben zum Jahreswechsel 2024/25 rund 500 Milchbauern, etwa ein Zehntel der Mitglieder, mit einer jährlichen Milchmenge von 700 Mio. kg gekündigt. Mit 1,4 Mio. kg Jahresanlieferung sind es vor allem die größeren Betriebe, die damit ihre Unzufriedenheit mit dem Milchpreis der letzten Monate ausdrücken, weiß auch DMK-Chef Ingo Müller. Zwar wolle man einen großen Teil der Genossen zurückgewinnen, damit sie von ihrer Kündigung nicht Gebrauch machen, aber der Schreck ist dem Unternehmen in die Glieder gefahren. Laut Kieler Institut für Ernährungswirtschaft verarbeitet die DMK etwa 5 Mrd. kg, davon sind etwa 1,5 Mrd. kg als Lohnverarbeitung für Arla und FrieslandCampina. Andere sprechen von 4,3 Mrd. kg als erfasster Milchmenge. Zu Spitzenzeiten wurden auch schon mal 7 Mrd. kg verarbeitet. Ursache des Bauern-Frusts ist der Absturz des Milchpreises in 2023. Nach (endlich) einem guten Jahr 2022 mit laut AMI 52 ct/kg (ohne Zuschlägen) stürzte die Auszahlung dramatischer ab als bei anderen Molkereien in der Region und erst recht bundesweit. DMK liegt mal wieder auf den hinteren Plätzen. Im Herbst, als die Kündigungen eingingen, zahlte man unterirdische 34,1 ct/kg. Erst im Dezember stieg der Preis auf 37,1 und im Februar auf 40,5 ct/kg, inzwischen aber unter den Androhungen des Bauernexodus‘ zu anderen Molkereien. Insgesamt kamen 2023 nur mit Zuschlägen 40 Cent zusammen.
Damit fehlen den Erzeugern im Vergleich zu Wettbewerbern wie Ammerland weiterhin 4 bis 5 Cent (erst recht zu südlichen Milchwerken wie Müller-Milch, die 47 Cent zahlten). Aufs Jahr gerechnet bedeutet es je nach Herdengröße einen Verlust von etwa 30.000 bis 40.000 €. Damit konnte der Branchenprimus wieder einmal sein „ewiges Versprechen“ von einem überdurchschnittlichen Preis nicht einlösen.
DMK als Leuchtturm-Molkerei gegen den Einzelhandel
Entstanden ist die DMK durch zahlreiche, z.T. strukturell sehr aufwendige Fusionen in den 1980/1990er Jahren mit dem Höhepunkt des Zusammenschlusses von Nordmilch und Molkerei Bielefeld/Herford (Humana) 2010. Damals wurden etwa 6,7 Mrd. kg Milch von 11.000 Milchbauern verarbeitet. Eine Fusion im Jahre 2004 war noch an den Genossenschaftsmitgliedern gescheitert, aber das Management arbeitete zusammen weiter an der Bündelung des Vertriebs, so dass letztlich die Fusion nicht aufzuhalten war. Hintergrund war die Idee des Genossenschaftsverbandes und des Bauernverbandes, der Macht des Einzelhandels mit „Leuchtturm-Molkereien“ entgegenzutreten. Immer wieder wurde den Milchbauern mit Strukturgutachten des Raiffeisenverbandes vorgerechnet, wieviel mehr man nach den jeweiligen Fusionen ausbezahlt bekomme. Tatsächlich blieb man immer im unteren Mittelfeld, da jeder neue Zusammenschluss erst einmal Umstrukturierungen, Teilverkäufe, Werksschließungen, Entschädigungen und neue Investitionen im In- und Ausland erforderte. Größe, Wachstum und ein weites Sortiment waren angesagt, national und international. Eigene Marken wurden eher vernachlässigt. Die Deutsches Milchkontor GmbH verfügt heute nach eigenen Angaben über mehr als 20 Standorte, hauptsächlich in Deutschland, aber auch in den Niederlanden, Italien und auch zwei Käseproduktionsstätten in Russland. Die GmbH gehört laut Handelsregister zu 90% der DMK-Genossenschaft (DMK eG) und zu 10 % der Drents Overijsseise Coöperatie Kaas U.A. in Hoogeven/Niederlande (kurz: DOC Kaas). Der Umsatz beträgt ca. 5 Mrd. € bei insgesamt 7.000 Mitarbeitern.
Standortanpassungen als erster Schritt
DMK reagiert auf den voraussichtlichen Milchaderlass schon mit strukturellen Produktionsanpassungen. Das Unternehmen teilt mit, dass der Standort Dargun in Mecklenburg-Vorpommern geschlossen wird, außerdem wird die Milchannahme in Everswinkel (NRW) eingestellt, die Käsekapazität in Edewecht (Niedersachsen) reduziert und ein Pulverturm in Hohenwestedt aufgegeben. „In Abhängigkeit von der zur Verfügung stehenden Milchmenge sind wir gefordert, unsere Werksstruktur und das Produktsortiment zu optimieren,“ teilt Ingo Müller mit.
Ob diese „Optimierungen“ greifen oder erst einmal Geld kosten, muss das Unternehmen noch beweisen. Bei vielen Erzeugern ist der Eindruck entstanden, dass die Unternehmensausrichtung auf den Weltmarkt, die mangelnde Markenführung (Milram) und unprofitable Bereiche (Beispiel Eisgeschäft) nicht (allenfalls kurzfristig) den Milchpreis gestützt haben.
Das Problem mit der Eissparte
Gerade die Eisproduktion bleibt ein Problem. Der geplante Verkauf der seit längerem unrentablen Eissparte scheint zu scheitern. Nach Auftragsrückgängen (Lidl hat ein eigenes Werk errichtet) wurde auch 2022 ein Konzernverlust von 2,3 Mio. € eingefahren, wenn auch weniger als im Vorjahr von 10,6 Mio.€. Der Jahresabschluss konstatiert eine kritische Lage und verlangt Restrukturierungen. Aber die Umsatzverluste – Branchenkenner sprechen von 50 Mio.€ - haben offensichtlich mehrere Interessenten vergrault. Eine Kooperation mit dem belgischen Hersteller Ysco, Tochter des Milchkonzern Milcobel, ist zerplatzt. Das hätte gepasst, denn es sind die einzigen Molkereien mit einem größeren Eigenmarken-Eisgeschäft. Andere haben sich bereits abgewendet, weil industriell hergestellte Eiscreme immer weniger Milch und Sahne enthält. Die neue strategische Partnerschaft mit Häagen-Dazs (gehört zum US-Konzern General Mills) bezieht sich nur auf den Vertrieb, die Produktion bleibt in Frankreich. Die DMK will ihr Eisgeschäft "wetterfest aufstellen", verkündet Müller, aber noch lieber loswerden. Die Konzentration auf den Standort in Everswinkel scheint nur ein Zwischenschritt zu sein.
Warnschuss oder mehr?
Kündigungen, die dann doch zurückgenommen werden, gab es im Milchsektor immer wieder, aber die Warnschüsse kommen näher, sagen Marktkenner. Letztes Jahr haben z.B. bei der Schwarzwaldmilch 24 Milcherzeuger mit etwa 10% der Gesamtanlieferung gekündigt mit dem Ziel Oberfranken. Auch aktuell machen sich viele Milcherzeuger ihre Gedanken, wie es weitergehen soll. Ein wichtiger Schritt ist die Ausweitung des Aufbaus von Erzeuger- bzw. Liefergemeinschaften, bspw. in Form des Bayern MeG (Milcherzeugergemeinschaft) oder der Nord MeG. Bei Privatmolkereien haben Liefergemeinschaften große Vorteile. Die „Private“ Gropper (ehemals Oetker) in Moers z.B. arbeitet nur mit MeG’s. Der Vorstand der MeG Moers (35 Mio. kg), so erklärt die erste Vorsitzende und AbL-Bäuerin Dorothee Lindenkamp, verhandelt alle drei Monate Preis und Menge. Moers zahlt überdurchschnittlich.
Aber die ausscheidenden Landwirte müssen erst einmal einen neuen Abnehmer finden. So viel „freier“ Rohstoff ist schon lange nicht mehr auf den Markt gekommen. Darin sehen auch die DMK-Genossen ihre Chance, denn „wir werden 2024 alles tun und zeigen, dass wir es besser können,“ versichert Müller. Zugleich wird an der Strategie gefeilt. Natürlich wird man weiterhin auf dem Weltmarkt aktiv bleiben. Aber China ist nicht mehr das Paradies des Milchexports, wie noch vor kurzem oder zu Zeiten der Abschaffung der Quote.
Der Marktbeobachter stellt fest, dass die Zeiten für die Milchbranche herausfordernd bleiben. Die einfachen Lösungen mit Tonnenorientierung und Weltmarktexport verflüchtigen sich. Der Rekordmarkt 2022 hat viele noch einmal geblendet, die ihr Heil außerhalb des Heimatmarktes suchen. Noch im letzten Sommer konnte der DMK-Chef den guten Preis und Erfolg des Vorjahres zur Aussage bemühen, dass man doch nicht alles falsch mache. Aber längst heißt es, dass die „strategischen Märkte nicht volumenabhängig sind“. Man will auf ausgewählten Märkten eine bedeutende und führende Stellung einnehmen. Dabei spielen auch Tierwohl, Klimaschutz, Gentechnikfreiheit usw. eine wachsende Rolle – weniger aus Einsicht als aus Zwang der Abnehmer LEH/Discounter. Dazu müssen aber die Strukturen neu aufgestellt werden, was eine Herkulesaufgabe ist. Und die Milchbäuerinnen und -bauern müssen mitspielen. Es sieht so aus, dass die sich nicht mehr mit der Rolle des Restgeldempfängers zufriedengeben. Die intensive Diskussion um den Art. 148 zeigt es. Wenn das DMK nicht endlich längerfristig „ordentliche“ Wertschöpfung und Milchpreise erzielt, könnte die Basis wegbrechen. Es spricht einiges dafür, dass der Wettbewerb um den Rohstoff Milch wieder Fahrt aufnimmt.