Marktbeobachtungen von Hugo Gödde +++ Rollback gibt es nicht nur in der EU-Agrarpolitik, bei den Regelungen für Natur- und Pflanzenschutz oder bei den Auflagen auf den Äckern und Wiesen. „Zurück zu früheren Angeboten“ wird immer mehr zum Mainstream in vielen Bereichen des Agrarbusiness‘, auch auf den Fleischmärkten und im Milchsektor. Die Hoffnung vieler NGO’s auf die Ampel, den Umbau der Tierhaltung voranzutreiben, ist nachhaltig ins Stocken geraten. Das Tierschutzgesetz steckt im Entwurf fest, versprochene Erweiterung der Tierhaltungskennzeichnung (THK) auf die Lebenszeit der Schweine bleibt völlig konzept- und planlos. Mehr Tierwohl bei Rindern, Kühen oder Geflügel liegt im Nirwana.
Geradezu täglich verbreitert sich die Meinung, dass mit dieser Regierung nichts mehr passiert – wenn sie überhaupt hält. Die CDU-geführten Länder treten zunehmend in den Modus des Wahlkampfes 2025. Ihre Weigerung, das Gesetz zur Tierhaltungskennzeichnung (THKG) in diesen Wochen ordentlich umzusetzen, spricht Bände. Zwar sind sie bei der AMK mit ihrem Antrag, das Gesetz um ein Jahr zu verschieben bzw. völlig zu überarbeiten, zunächst gescheitert. Aber das Kopfschütteln über die Politik wächst nicht nur bei den Schweinehaltern weiter.
Fleischindustrie: altes Denken im Vormarsch
Die Verunsicherung durch das politische Hin und Her ist (wieder) in den Chefetagen der Fleischindustrie angekommen. Noch vor wenigen Monaten herrschte selbst beim tiefkonservativen Fleischindustrieverband die Einsicht in die Notwendigkeit vor, den gesellschaftlichen und politischen Umbau der Tierhaltung nicht zu behindern. Außerdem treibt ja die Not die Branche zur Veränderung – angesichts des ASP-bedingten Rückgangs des Exports und des Einbruchs beim Fleischkonsum. Die Unterstützung gesellschaftlicher, „branchenfremder“ Maßnahmen bricht gerade massiv ein. Was auf den Treffen der Marktverbände oder den Tagungen der Branche ein offenes Geheimnis ist, wird nun offensiver vertreten.
Mit einem langen Interview in der Lebensmittelzeitung legt nun Wilhelm Uffelmann, Vorstandsvorsitzender des Genossenschaftskonzerns Westfleisch, die Sicht der deutschen Nr. 2 bei Rind- und Schweinefleisch dar. Die Stagnation der Wirtschaft einschließlich Inflation und Kaufkraftverlust werde noch 3 bis 5 Jahre dauern. In der Folge werde zwar weiterhin Fleisch gegessen, aber eben nur begrenzt Tierwohlfleisch, weil es „entlang der gesamten Kette höhere Kosten verursachen“ wird. Das müsse der Konsument bezahlen, wozu er aber aktuell nicht bereit sei. Tierwohl laufe nur, solange der Preisaufschlag niedrig sei. Sonst werde der Handel auch wieder anders ordern. „Was zählt, sind die Verkaufsdaten,“ und deshalb traut der Genossenschaftsmanager auch den Haltungsversprechen des Handels nicht. Alle „wollen große Storys erzählen, aber am Ende entscheiden die Daten“.
Bürger- Verbraucher- Lücke bleibt bestimmend
Das Misstrauen gegenüber Konsumänderungen und Umstellungen im Lebensmittelhandel bleibt bei der „alten Metzgergarde“ groß. Natürlich liefert man, wenn der Kunde will, aber eine Umstellung auf differenzierte Marktstufen geschieht nur sehr zögerlich. Das Preisbewusstsein der Verbraucher habe zugenommen, das Interesse der Bürger an Tierwohl sei erlahmt. Vielleicht sei „die Story“ ja vorübergehend und ein Feigenblatt. „Das Risiko ist zu groß“, fehlt es dem Westfleischchef an Glauben in den schnellen Haltungswechsel bis 2030. Die Verlustgefahr sollen andere absichern, entweder der Staat oder die Abnehmer, die die großen Ankündigungen machen. Die Schlachthöfe wie die Landwirte bräuchten „Verträge, die dauerhaft die Honorierung der Mehrleistung absichern“, und zwar für das ganze Schwein, nicht nur für gängige Teilstücke wie Filet oder Schinken. „Wie sollen wir ihnen (den Landwirten,H.G.) Planungssicherheit geben, wenn wir diese selber nur bedingt bekommen?“
Risiko verteilen und auf Sicht fahren
Von Aufbruchsstimmung im laufenden Transformationsprozess ist wenig zu spüren. „Wir werden den Umbau vorantreiben, aber dabei auf Sicht fahren“, lautet die Strategie. Entscheidend hängt der Prozess von den Abnehmern ab. Ohne die Haltungsversprechen von Aldi, Lidl, Edeka und Co. würde der Schlachtkonzern sich komplett in alten Bahnen bewegen, auch wenn sich der CEO einen bewussteren Fleischkonsum wünsche, aber „ich bin auch per se kein Weltverbesserer“, outet sich Uffelmann. Tierwohl hört sich eher wie eine Sonntagsrede an - wenn es sich rechnet.
Fleischersatz: „Ideologie“ ohne Westfleisch
Die Zukunft ist pflanzlich, behaupten Manager von Vion, Wiesenhof oder die Wurstproduzenten von Rügenwalder und Kemper/Reinert (Nr.2 auf dem Wurstmarkt). Nicht so Westfleisch. Im Geschäft mit Fleischersatz verweigert man sich westfälisch-stur dem Trend. „Meiner Meinung nach ist aus dem Hype niemals ein wirklicher Trend entstanden.“ Aus vielen Projekten wisse der Ex-Unternehmensberater von Roland Berger (bis er vor zwei Jahren zu Westfleisch wechselte), dass sich das Plant-based-Geschäft nicht rechne, wenn man in die Bilanzen schaue. „Jedenfalls glaube ich nicht, dass sich der Markt für Fleischersatz in dem Maße entwickeln wird, in dem es viele hoffen. Die Kategorie ist viel von Ideologie und Opportunität getrieben. Die Zahlen zeigen aber etwas anderes.“ Auch das strategische Bekenntnis von Discountern wie Lidl zu Veggie kann ihn nicht überzeugen.
Exkurs: „Boom“ und die Realität
Trotz aller Wachstumszahlen für 2023, die von 3% (Marktforscher) bis 16% (Destatis) reichen und die interessierte Kreise gern als Begründung für ihr Engagement hochhalten, spricht einiges für die Sichtweise von Uffelmann. Der Marktanteil der Fleischersatzprodukte liegt weiterhin bei ca. 1,5%, obwohl millionenfach Kapital akquiriert wird. Rügenwalder, mit 35% Anteil Marktführer, wurde gerade zu 85% an Pfeiffer& Langen verkauft und hatte in 2022 einen Gewinneinbruch um 92% auf praktisch Null. Ohne den Deal mit dem Zuckerkonzern sähe es wohl schlecht aus. Auch der Berliner vegan-Pionier Veganz schreibt weiterhin rote Zahlen. In 2023 „erwirtschaftete“ er bei einem Umsatz von 16,4 Mio.€ (minus 30%) einen Verlust von 6,3 Mio.€. Der Börsenwert ist um 85% auf 15 € je Aktie gesunken. Mit großem Tamtam hat Rewe seinen ersten veganen Markt in Berlin eröffnet – richtiger: aus der Verlustmasse von Veganz übernommen.
„Aktiver Konsolidierer“
Aber Uffelmann erklärt nicht nur, welche Markttrends Westfleisch nicht oder nur zögerlich unterstützen will. Die Branche sei im Umbruch. Die Differenzierungsversuche seien kostspielig. Die Konsolidierung werde noch schneller vorangehen. „Bei einem rückläufigen Fleischkonsum ist nicht mehr für alle Unternehmen Platz in der Kette,“ ist er sicher. Westfleisch sehe sich nach einem mehrjährigen Umstrukturierungsprozess wieder als „aktiver Konsolidierer“ und kündigt schon mal Übernahmen von Schlachthöfen bis Convenience- und Wurstfirmen an. Dass der holländische Konzern Vion sich aus Norddeutschland zurückzieht, spielt ihm dabei in die Karten. Aber „den ganz großen Deal“ (Übernahme von Vion?), der vielleicht möglich wäre, könne man sich nicht leisten. Zugleich träumt er davon, mit weiteren Übernahmen bei Schlachthöfen und Verarbeitern dem Vorbild Geflügelbranche mit der Integration vom Schlachtkonzern bis zum Erzeuger (Lohnmast) näher zu kommen.
Der Marktbeobachter muss dem Westfleischmanager lassen, dass er seine Sicht und Strategie beim Namen nennt. Nicht Differenzierung oder Umbau der Fleischindustrie für neue Konsumpräferenzen stehen auf der Tagesordnung, sondern Konsolidierung, Übernahmen, Konzentration, Verdrängung, vertikale Integration durch Verträge. Nicht neue Marktchancen (mit Risiken!), sondern alte Rezepte der Marktstärke, des „Wachsen oder weichen“ regieren die Branche. Landwirte, auch genossenschaftlich organisierte, müssen höllisch aufpassen, dass sie dabei nicht unter die Räder kommen. Sein Bekenntnis ist eindeutig. Höhere Preise sind nicht zu erwarten. „Die finanziellen Mittel müssen im Unternehmen bleiben, um in die Zukunft zu investieren.“ Also doch nichts Neues aus der Fleischindustrie.