Abgekühlter Hype um Fleischersatz – schwächelndes Wachstum - Markt stellt sich um

Marktbeobachtungen von Hugo Gödde

Der Markt für Fleischersatz verliert deutlich an Wachstumstempo. Laut Daten von Marktforschern nahm der Absatz in den letzten 12 Monaten bis April nur noch um weniger als 1% zu. Bedingt durch Preiserhöhungen stieg der Umsatz um 5%. Das berichtet die Lebensmittelzeitung. Nach Jahren des Hypes um Fleischalternativen stagniert die Nachfrage und auch beim Kern der bisherigen Verbrauchergruppe, den jungen Konsument:innen, werden die Erwartungen korrigiert. Im Jahr 2022 war der deutsche Markt der Spitzenreiter für „Plant based“-Proukte in Europa. Fleischersatzprodukte erzielten ein Plus von (nur) 6,5% auf 537 Mio. € Umsatz, gegenüber 2019 verdoppelte sich der Markt fast. Die Produktionsmenge legte gegenüber Vor-Corona ebenfalls kräftig zu. 2022 produzierten deutsche Unternehmen etwa 105.000 Tonnen pflanzenbasiertes Fleisch, was einem Anstieg von 82% gegenüber 2019 entspricht.

In der Fleisch- und Nicht-Fleisch-Branche entstand ein Trend, den niemand verpassen wollte. Nach zunächst sehr zurückhaltenden „Testphasen“ in das neue Geschäftsmodell, bei dem man die Markterkundung einigen Start-ups überließ, überschlugen sich die Markteinstiege selbst der konservativen Fleischverfechter. Auch die großen Fleischkonzerne von Tönnies bis Vion und Westfleisch finden sich plötzlich am Markt ein. Man könne gut die Fleischmaschinen für die neuen Produkte nutzen, hieß es. Und Geschäfte dürfte man sich nicht entgehen lassen, erklärten selbst die Genossenschaften ihren verdutzten Fleischerzeugern.

Manche Großinvestoren träumen schon (oder noch) von einer neuen Industrie wie der Autobranche. Die Euphorie ist in Teilen immer noch groß. Was sich heute utopisch anhöre, könne morgen schon Realität werden, begründet der ehemalige Metro-Chef und heute Mitglied einer Investorengruppe Olaf Koch sein Interesse an alternativen Proteinen. „In dem Moment, in dem die industrielle Skalierung gelingt, könnten die Kosten pro Kilo Protein erheblich unter jene aus der Tierhaltung fallen.“ Deshalb müsse man auch den nächsten Schritt, das Laborfleisch, mitdenken.

 

Ernüchterung in diesem Jahr

Zurzeit macht sich überall Ernüchterung breit. Ein Marktexperte nennt als Grund, dass der adressierte Markt kleiner sein könnte als bisher angenommen. „Fleischalternativen müssen schmecken, sonst werden sie nicht wieder gekauft“, klagen Insider. Die Wiederkaufsrate von Fleischalternativen liegt ihren Angaben zufolge durchschnittlich nur bei 50 Prozent. „Das bedeutet, dass jeder zweite Verbraucher abspringt.“

Mit immer neuen Produkten kämpft die Branche um neue und alte Kunden. Doch die neuen Artikel verkaufen sich häufig nicht so gut. Rezepturen werden folglich oft geändert, um den Geschmack und die Textur zu verbessern. Einige Unternehmen wollen die Produktbreite eher zu reduzieren und die Qualität zu erhöhen. Dafür müssen neue, aufwendige und teure Verfahrenstechniken eingesetzt werden, z.B. auch die Präzisionsfermentation, die aber wegen der Genveränderungen äußerst umstritten ist.

Das ist für kleine innovative, aber unterkapitalisierte Unternehmen riskant. Laut einem Branchenreport des „Think Tank GFI“ sind in Deutschland rund 90 Unternehmen in diesem Bereich tätig, darunter viele Start-ups. Trotz der Wachstumserfolge ist die Investitionstätigkeit im Bereich der alternativen Proteine in Deutschland in 2022 um die Hälfte auf 53 Mio. Euro gesunken. Dabei sei der deutsche Sektor für alternative Proteine 2022 weniger über Wagniskapital gewachsen als über Investitionen und Partnerschaften von etablierten Handels- und Industrieunternehmen.

Rügenwalder vor Wiesenhof, Nestle, FrieslandCampina und Tönnies – das „who is who“ der Branche

In der „Bundesliga“ der Fleischersatzumsätze tummeln sich altbekannte Namen, während die kleinen Start-ups im Verborgenen bleiben. Obwohl Fleischersatz weiterhin als Wachstumsmarkt gewertet wird, trifft die Eintrübung auch die Marktführer. Die Rügenwalder Mühle, die mit 38% Marktanteil und einem Umsatz von ca. 200 Mio. € einen Riesenvorsprung an der Spitze hat, verlor 3% Umsatz und 9% Mengenabsatz. Noch sieht man die Wachstumsbremse sportlich. „Wie auch in anderen Kategorien greifen die Konsumenten verstärkt auf Handelsmarken zurück“, erklärt das Unternehmen. „Eine Entwicklung, die zeigt, dass die marktüblichen Mechanismen auch inzwischen in dieser noch recht jungen Kategorie angekommen sind – Veggie ist erwachsen geworden.“

Einen Abwärtstrend spürt auch Nestlé, die Nr. 3 im Ranking mit etwa 40 Mio.€ Umsatz. Laut den Analysten verliert die Marke 13% beim Umsatz und 16% bei der Menge. Dabei hatte Nestlé den an eine Agentur ausgelagerten Vertrieb seiner Veggie-Marke „Garden Gourmet“ im vergangenen Jahr wieder in ihren eigenen Maggi-Vertrieb integriert, um im LEH zu punkten. Aber vergebens. Inflation und Preisanstieg hätten das Wachstum gebremst, so ein Unternehmenssprecher. In England und Irland werde die Marke auslaufen. Ob das auch für Deutschland gelte, ließ man offen.

Auch Marktführer schwächeln

Nr. 2 im Markt ist das Unternehmen „Like Meat“, das auch aktuell noch Wachstum generiert. Das vom Holländer Timo Recker gegründete Start-up ist inzwischen von Foods United mehrheitlich übernommen, bei dem der Wiesenhofkonzern PHW Minderheitsgesellschafter ist und einen „zweistelligen Millionenbeitrag investiert hat“, so Markus Keitzer, Vorstand alternative Proteine bei PHW und Aufsichtsrat bei Foods United. Auf Neuheiten verzichte man zurzeit, stattdessen setze man auf Qualitätsverbesserung, um die Wiederverkaufsrate zu steigern. Es gibt momentan reichlich Regalplatz im LEH. Aber verkauft sich ein Produkt nicht, werde man auch schnell ausgelistet. „Zurzeit ist im Markt für Fleischersatz richtig viel Bewegung“, heißt es. Die Zeiten, in denen die Ware ein Selbstläufer war, sind vorbei. Um seinen Marktanteil auszubauen, werde Like Meat – der seit 2020 Teil des auf pflanzliche Lebensmittel spezialisierten US-Unternehmens Livekindly ist – sich laut Unternehmensangaben auf zwei bis drei neue Produkte begrenzen. 14 Produkte habe man im Sortiment, davon seien schon die Hälfte überarbeitet. Als Basis nimmt man Soja. Ein spezielles Nassextrusionsverfahren soll für eine fleischähnliche Textur sorgen.

Nr. 4 in der Veggie-Liga ist übrigens die Marke Valess des holländischen Molkereikonzerns FrieslandCampina vor Gutfried der zur Mühlen Gruppe. Die Tönnies-Tochter hat zwar im letzten Jahr ein deutliches Wachstum hingelegt. Aber mit 20-25 Mio.€ Umsatz im Jahr bewegt man sich im Promillebereich des Fleischgiganten.

Dass der Fleischersatzmarkt 2023 stagnieren könnte, erwarten die meisten Experten nicht. Aber die hohen Wachstumsraten seien vorbei. Der Markt bremse sich auf ein normales Maß ein. Dafür würden sich die Strukturen ändern. Manche gehen davon aus, dass sich die Branche in Zukunft auf zwei bis drei Marken und verschiedene Handelsmarken beschränken wird. Der Kampf um die „Pole Positions“ in der Liga sei voll entbrannt.

Veganz bleibt in der Verlustzone

Auch der bekannte Berliner Lebensmittelproduzent Veganz, der mit einer breiten Palette veganer Milch- und Fleischersatzprodukte im LEH vertreten ist, hat das Geschäftsjahr 2022 mit einem hohen Verlust abgeschlossen. Der Umsatz reduzierte sich um 22% zum Vorjahr. Der Nettoverlust betrug 13,3 Mio.€ - wohlgemerkt bei einem Umsatz von 23,6 Mio. €! Zum Jahresende kündigte nach 18 Monaten die Finanzchefin. Das eingetrübte Konsumklima vor allem bei der jungen Kernzielgruppe („Generation Z und die Millennials“) wird verantwortlich gemacht, dass die Aktie seit dem Börsengang November 2021 von 100 Euro auf 12 € sank, einem Wertverlust von 86%.

Riesenverluste beim Pionier Beyond Meat

Diese Entwicklung ist keine deutsche oder europäische Besonderheit. Auch der US- merikanische Markt, sozusagen der Erfinder des Fleischersatzbooms, steht weiterhin unter Druck. Der kalifornische Produzent „Beyond Meat“, von manchen als DER Pionier beschrieben, spricht vom „Ende des Booms für solche Lebensmittel in den USA.“ Beyond Meat verzeichnet seit vielen Jahren unglaubliche Verluste. Laut eigenen Angaben hat das Unternehmen noch nie schwarze Zahlen vorgelegt. Der Umsatz wuchs von 16 Mio. US-Dollar (2016) auf über 418 Mio.$ in 2022 (Stat. Bundesamt). Der Nettoverlust stieg in der gleichen Zeit von 25 Mio.$ auf über 100 Mio.$ in 2021. Statt des Anfang des Jahres angekündigten Wachstums von 33% fiel der Umsatz um mehr als 10% in 2022. In manchen Monaten war der Verlust höher als der Umsatz.
Im ersten Quartal 2023 ging der Umsatz erneut um 15% zum Vorjahr zurück.

Dabei war der Börsengang des kalifornischen Unternehmens im Mai 2019 euphorisch gefeiert worden. In kürzester Zeit verneunfachte sich der Aktienkurs. Noch im Oktober 2020 lag der Wert bei 162 €, seitdem geht es ununterbrochen bergab. Der Aktienkurs sinkt Mitte Mai 2023 auf 10 US$. 2022 war die Aktie um 82% eingebrochen.

Ein Barclay-Aktienanalyst hat noch prophezeit: „Das Schlimmste kommt erst noch.“ Trotz steigender Fleischpreise würden die Kunden nicht auf pflanzlichen Fleischersatz umsteigen. „Obwohl wir bis 2025 deutlich höhere Rindfleischpreise fordern, werden die Hersteller von Fleischersatzprodukten nicht unbedingt davon profitieren,“ schreibt er. Beyond Meat läge im Durchschnittspreis um 72% höher als Rinderhackfleisch. Der Konzernchef Brown bestätigt es: „Angesichts des aktuellen Marktumfelds ist zu erwarten, dass
der Markt für Fleischersatzprodukte rückläufig sein wird, da die Verbraucher auf billigere Proteine ausweichen.“
„Die starken Kurseinbrüche bei Beyond Meat sind kein Signal für ein Ende des veganen Trends“, betonen Konsumforscher. „Höchstens für eine Verlangsamung.“

Der Marktbeobachter will nicht darüber werten, wie jemand sich ernährt, ob mit Fleisch, vegetarisch oder vegan. Auch nicht, ob er/sie damit die Welt retten oder den Klimawandel oder das Tierleid reduzieren will. Das ist natürlich eine persönliche Entscheidung. Bei der Beobachtung geht es vordringlich um die jetzige und zukünftige Marktentwicklung und eine realistische Perspektive. Alle Experten sind sich einig, dass der Markt langsam wachsen wird, aber der Boom erst einmal vorbei ist. Es bleibt, dass der Markt – anders als manchmal meinungsstark dargestellt – äußerst klein und verletzlich ist (1,2% des Fleischmarktes). Und vor allem - dass an dem Markt für alternative Ersatzprodukte nichts (mehr) alternativ ist – weder die Herstellung noch der Handel noch die Investoren.

24.05.2023
Von: Hugo Gödde

Vegane Produkte sind fester Bestandteil der Produktpalette des LEH, wie hier beispielsweise in den aktuellen Angebotsprospekten von Marktkauf, Rewe und Lidl.