Marktbeobachtungen von Hugo Gödde +++ Nun will das Landwirtschaftsministerium doch noch die Tierhaltungskennzeichnung für Rindfleisch in Angriff nehmen. So könnte man den diese Woche vorgelegten Entwurf interpretieren, während viele Beobachter schon davon ausgingen, dass in dieser Legislaturperiode „nichts mehr läuft“. Ob das jetzt vorgelegte Papier aber ernsthafte Aussichten hat, die Vielfalt der privaten, freiwilligen Programme zu sichten und zusammenzuführen, werden die kommenden Beratungen mit den Verbänden und Fraktionen zu zeigen haben. Die ersten Reaktionen weisen eher ein Kopfschütteln als eine Zustimmung aus.
Orientierung an der Schweinekennzeichnung
Auffällig ist gleich zu Beginn, dass das Gerüst der Kennzeichnung voll von der Tierhaltungskennzeichnung für Schweinefleisch entnommen ist. Es gibt ebenso wie beim Schwein eine 5-stufige Einteilung der Haltungsformen (HF) von Stall (HF 1), über Stall+Platz (HF 2), Frischluftsstall (HF 3), Auslauf/Weide (HF 4) bis Bio (HF 5). Auch sonst ist die Parallelität zur Schweinehaltung unübersehbar. Es geht nur um Fleisch, zwischen Milchvieh und Fleischtieren wird nicht unterschieden. Die Rinder werden ab dem Alter von zwölf Monaten erfasst. Der „maßgebliche Haltungsabschnitt“ umfasst die letzten zwölf Monate vor der Schlachtung – also Geburt, Kälber- und Jungviehaufzucht spielen keine Rolle. Tiere mit einem Schlachtalter unter 24 Monaten (Jungbullen werden oft deutlich darunter geschlachtet) werden nicht gesondert erwähnt, auch nicht Fresser oder Absetzer.
Haltungsform Stall (HF 1)
Hier werden Tiere einsortiert, die die gesetzlichen Anforderungen nach §3 NutzterhaltungsVO erfüllen
Haltungsform Stall + Platz (HF 2)
Es werden zwei Stallformen unterschieden. Stallform 1 entspricht einem Stall mit zwei Wahlelementen wie Liegebox, Tränken, ein Fressplatz pro Tier, Viehbürste usw. Basis ist der erhöhte Platzbedarf von 3,5 qm pro 150 bis 400 kg Tier, 4,5 qm pro 400 bis 600 kg Tier und 5,5 qm für über 600 kg schwere Tiere.
Stallform 2 erreicht man, wenn man die Tiere in der Vegetationszeit sechs Stunden täglich an mindestens 120 Tagen weiden lässt (also auch Anbindung plus Weide).
Haltungsform Frischluftstall (HF 3)
Darunter fallen drei Stallformen:
- Dauerhafter Außenklimareiz als „wesentlicher Einfluss auf das Stallklima“ oder
- den Tieren steht jederzeit ein Auslauf zur Verfügung (kein Platzvorgaben!) oder
- Weide wie unter HF 2, keine Anbindehaltung.
Haltungsform Auslauf/Weide (HF 4)
Darunter versteht man drei Stallformen:
-Freie Bewegung im Stall und Auslauf mit Mindestbodenfläche von 16 qm und uneingeschränkt nutzbarer Bodenfläche von 2 qm je Durchschnittsgewicht unter 400 kg/Tier bzw. 3 qm für schwerere Tiere oder
- freie Bewegung im Stall und Weidehaltung (s. oben) oder
- Dauerweidetiere ohne festen Stall.
Haltungsform Bio (HF 5)
Zertifizierung gemäß EU- Verordnung (EU) 2018/848.
Kritik von überall
Kaum war der Entwurf unterwegs, hagelte es Kritik aus allen Richtungen. Man übernehme Kriterien aus der Schweinehaltung, obwohl damit kein Mehrwert an Tierwohl für Rinder festzustellen sei. Die Frage der Anbindehaltung, die im Entwurf des Tierschutzgesetzes noch eine wichtige Rolle spielt, wird umgangen. Die Frage der Weidehaltung (6 Std./120 Tage) werde nicht ihrer Bedeutung für das Tierwohl gerecht. Die Platzgröße der Weide für die Tiere ist nicht definiert (500 oder 1000 qm/Tier?). Was Außenklima bzw. äußere Witterungseinflüsse beinhaltet, bleibt unklar. Die Übergänge zwischen den einzelnen Stufen sind undeutlich und für das Marketing intransparent und unglaubwürdig. Es begrenzt sich wieder auf reine Haltungsfragen, das Tierwohl (Gesundheit, Verhalten, Stroh usw.) wird allenfalls gestreift.
Zudem beklagen Marktexperten, dass die etablierten bzw. sich gerade im Markt durchsetzenden Kriterien von QS oder des LEH/Discounts über ITW weitgehend unberücksichtigt bleiben. Auch die Diskussionen der „AG Rind“ der Borchert-Kommission, auch wenn sie noch weit von einem Abschluss entfernt waren, fanden kaum Widerhall. Das Ministerium habe aus dem Wirrwarr und den politischen Konflikten der bisherigen THKG-Diskussion wohl nicht gelernt, lautet eine häufig vorgetragene Kritik.
Der Marktbeobachter sieht, dass die prinzipiell sinnvolle Vereinheitlichung und Ausweisung von Tierhaltungskriterien auch für Rinder dringend notwendig ist. Dass der Handel die Definitionshoheit in diesem Erzeugungs- und Marktbereich nach eigenen Interessen gewonnen hat, kann keine Lösung sein. Er schaut nach Marktpotenzialen, Mengen und Preisen (Tierwohl, aber günstig). Dass aber das Ministerium mit diesem unausgewogenen und „tierwohl-dünnen“ Entwurf die Meinungsführerschaft übernimmt und die Diskussion vorgibt, ist höchst unwahrscheinlich. Im Gegenteil wird die Verwirrung unter den Marktbeteiligten eher höher. Und von umstellungswilligen Landwirten wird die Frage, was denn jetzt und in Zukunft zählt, noch schwerer zu beantworten sein.