Alle Jahre wieder gibt es inzwischen und mit wachsender Bekanntheit den Veganuary. Die Kunstwortschöpfung aus dem englischen Begriff für den Monat Januar und dem Wort „vegan“ bezeichnet eine ursprünglich britische Initiative und Organisation, die sich die Promotion eines Ausprobierens der veganen Lebensweise für eben mindestens den ersten Monat des neuen Jahres auf die Fahnen geschrieben hat. Besonders gerne wurde das – wie schon in den vergangenen Jahren – auch in diesem Jahr in Deutschland von den großen Konzernen des Lebensmitteleinzelhandels (LEH) aufgegriffen. Sie bewerben oder führen auch nur für diese Zeit neue Produkte ihres veganen Sortimentes ein. Häufig geht es dabei vor allem um hochverarbeitete Produkte, die Fleisch und Wurst imitieren. Schließlich, so die Argumentation, wolle man Neulinge und Neugierige zum ersten Ausprobieren locken. Das ist allerdings wohl nicht der einzige Antrieb. Der Markt für Fleischersatzprodukte ist ein wachsender und attraktiver und – und das spielt sicherlich eine nicht unerhebliche Rolle für den LEH – er wird inzwischen auch aufgrund der Komplexität der Produktherstellung vor allem von großen Unternehmen der Lebensmittelindustrie bedient. Die bekannten Marktpartner, die in der Lage sind, große Chargen zu liefern, können es auch hier und bleiben damit.
Künstlich echt
Wohl gibt es auch Unternehmen wie beispielsweise das schweizerische Food-Tech-Start-up „Planted“, das vor allem Erbsen, Sonnenblumen und Hafer extrudiert. Sie werben gerade im Veganuary 2023 damit, dass, wer vegane Schnitzel kaufe, doch bitte auf die Zutatenlisten gucken solle, denn bei vielen Konkurrenten von Planted finde sich erheblich mehr als nur die pflanzlichen Rohstoffe. Offenbar betont Planted diesen Aspekt nicht ohne Grund. Gerade der vegane Neuling oder Gelegenheitskäufer scheint, so das Kalkül der großen Branchenunternehmen, mehr Interesse am möglichst authentischen Fleischgefühl – Geschmack und Textur – zu haben als an der Frage, wie das denn zustande kommt. Während für viele andere Lebensmittel in den letzten Jahren von Seiten der Verbraucher und Verbraucherinnen eher ein „Zurück zur Natur“ galt, soll der vegane Burgerpattie aus dem Supermarkt offenbar möglichst künstlich echt sein. Da ist nur konsequent, dass gerade auch, wenn es um die Bedienung der großen Strukturen geht, die Lieferanten häufig genug Fleischfabrikanten und Großmetzgereien sind. Westfleisch, Tönnies, Wiesenhof … niemand will nicht dabei sein. Die Maschinen sind weitestgehend die gleichen, ob nun das Hack aus Schweinen oder Erbsen durch den Cutter wälzt. Zum Teil werden durch den Rückgang des Fleischverzehrs Produktionsstandorte oder Linien frei und nun der tierlosen Produktion umgewidmet. Und auch in den Fragen der Konservierung und der Hygienestandards bieten sich die jahrelangen Erfahrungen der echten Fleischexperten an. Das führe dann aber, so berichtete unlängst ein Tönnies-Mitarbeiter, zu der verrückten Situation, dass man im originären Fleisch- und Wurstbusiness dem Gesundheitstrend folgend inzwischen sämtliche Zusatz- und Konservierungsstoffe – mit E-Nummern und ohne – aus den Produkten verbannt habe, während bei den veganen Fleischimitaten zur sensorischen Flottmachung der Produkte wieder in alle chemischen Trickkisten gegriffen werde.
Chemiebaukasten
Ein Beispiel auch für die Ambivalenz der Verbraucherschaft ist der „Wonder Burger“ von Aldi. Produziert wird er schon seit einigen Jahren von der Großmetzgerei Ponnath in Bayern. Im Netz und auch auf Aldis Homepage wurde der Wonder Burger zunächst häufig für seinen guten geschmacklichen Imitationsjob gelobt. 2020 testete dann Ökotest vegane Fleischprodukte und fand im Wonder Burger gesundheitsschädliche Mineralöle, Gentechsoja und zu viel Salz und bewertete ihn mit „mangelhaft“. Der Hersteller änderte daraufhin die Rezeptur, nun gibt es inzwischen eher negative Kommentare bezüglich des Burger-Geschmacks auf der Aldi-Homepage – was für ein Dilemma.
Die Stern-Wywiol-Gruppe, ein Food-und-Feed-Chemieunternehmen, bietet mit seinem Firmenableger Planteneers einen umfangreichen Baukasten, mit dem – und besonders angesprochen werden auch hier wieder Unternehmen der Fleischbranche – sich für alle sensorischen wie auch optischen Fragestellungen, die bei der technischen Umsetzung pflanzlicher Fleischersatzprodukte auftauchen, maßgeschneiderte Lösungen finden lassen. Im Interview mit der Zeitung vegconomist berichtet die Leiterin des Produktmanagements von der größten Herausforderung 2022 – der Sicherstellung der weltweiten Rohstoffketten – und den Highlights: Carpaccio und Rindertatar zu imitieren. Auf Zusatzstoffe für die effektive Leistungsfütterung von Nutztieren ist übrigens das Schwesterunternehmen von Planteneers Berg und Schmidt, ein weiteres Tochterunternehmen der Stern-Wywiol-Gruppe, spezialisiert. Gemacht wird, womit sich Geld verdienen lässt. Die Motivation, weniger oder kein Fleisch mehr zu erzeugen, weil es dem Klima- oder Tierschutz dient, spielt in dieser Kategorie Unternehmenswelt höchstens eine marketingtechnische Rolle. Allerdings lässt sich die Frage des Geldverdienens auch nicht immer eindeutig beantworten. Im Vorfeld des diesjährigen Veganuary gab es wohl eine gewisse Auseinandersetzung zwischen Aldi Nord und Aldi Süd in der Frage der Werbung. Am Ende fuhr man – ungewöhnlich für den Konzern – zweigleisig: Während im Süden nur mit veganem Lifestyle geworben wird, wird im Norden auch mit den günstigen Preisen der Produkte geworben. Dabei sind die Margen bei den Produzenten und dem Handel eher größer als bei echtem Fleisch.
Debatte im BUND
„Fleisch- und Milchersatzprodukte oder Nahrungsergänzungsmittel aus der chemischen Fabrik oder dem Labor sind kein Beitrag zur Rettung der Umwelt, sondern dienen dem Absatzinteresse der agro-chemischen Ernährungsindustrie“, schreibt denn auch der ehemalige Vorsitzende des BUND, Hubert Weiger. Er wendet sich gegen einen Antrag der BUND-Jugend, auf Vereinsveranstaltungen nur noch vegane Lebensmittel anzubieten. Dabei kritisiert er weder die individuelle Entscheidung des Einzelnen, vegan zu leben, noch die Tatsache, dass der weltweite Konsum tierischer Produkte im Hinblick auf Klima- und Tierschutz vor allem in den Industrieländern – also auch bei uns – deutlich zu reduzieren ist. Aber er kritisiert Veganismus als Leitbild für die gesamte Landwirtschaft. Sie sei ein „zentraler Angriff auf bäuerliche Strukturen“. Zur Versorgung der Lebensmittelindustrie mit pflanzlichen Rohstoffen für die Fleischersatzprodukte seien lediglich noch zehn Prozent der aktuelle Betriebe Deutschlands notwendig, die dafür aber in agrarindustriellen Strukturen wirtschaften müssten. Bauern und Bäuerinnen braucht es dann nicht mehr.