Vion hat den Transformationsblues – holländisch-deutscher Fleischkonzern auf der Suche nach sich selbst

Marktbeobachtungen von Hugo Gödde +++ Die Fleischbranche ist im Umbruch. Das lässt sich besonders beim holländisch- deutschen Fleischkonzern Vion erkennen. Erneut musste der Fleischriese ein negatives Jahresergebnis vorlegen. Auch 2022 wurden mit 90 Mio.€ rote Zahlen geschrieben (Vorjahr minus 108 Mio. €). Trotzdem ist man in der Konzernspitze (natürlich) zuversichtlich und sieht sich bei der Restrukturierung „auf einem guten Weg“. Kern des Transformationsprogramms „Change that matters“ (Wechsel, der zählt) ist der Rückzug vom defizitären deutschen Markt, der möglichst Ende des Jahres abgeschlossen werden soll. Dieser radikale Schnitt hat selbst Marktexperten überrascht. Schließlich machte Vion etwa 60% des Umsatzes von 5 Mrd. € in Deutschland. In den letzten Jahren haben allein die Wertminderungs- und Restrukturierungsaufwendungen zig Millionen gekostet.

Rückzug vom größten Markt

Der Rückzug vom deutschen Markt kommt umso irritierender, weil sich Vion in den letzten 20 Jahren hier stark engagiert hat und zum zweitgrößten Fleischkonzern aufgestiegen ist. Auf dem Schweinemarkt ist Vion zuletzt durch Stilllegungen bereits von Westfleisch vom zweiten Platz (hinter Tönnies) verdrängt worden. Damit hat man etwa 25% Schlachtungen in 2022 und 2023 zusammen eingebüßt. Der eigentliche Aderlass wird in diesem Jahr greifen, weil zwei große Schlachthöfe in Emstek und Perleberg geschlossen bzw. veräußert wurden und nun der „Restverkauf“ vor allem in Süddeutschland läuft. In Emstek (Emsland) war mal einer der modernsten Schlachthöfe Europas zu besichtigen mit einer Kapazität bis 3 Mio. Schlachtungen im Jahr – seit Februar steht er leer.

Nr. 1 bei Rinderschlachtungen

Auf dem Rindfleischmarkt ist Vion (noch) die Nr. 1. Bei bundesweit 3 Mio. Schlachtungen führt Vion mit 628.000 in 2022 weit vor Westfleisch und Tönnies das Ranking an. Der Vion-Rinder-Schlachthof im oberbayerischen Waldkraiburg ist mit einer Kapazität von 7.000 Tieren pro Woche der größte in Europa. In Bayern und Baden-Württemberg hat man quasi eine Monopolstellung. Damit wird es bald vorbei sein. Denn alle hiesigen Rindfleischaktivitäten sollen an die Tönnies-Gruppe verkauft werden, wenn das Kartellamt mitspielt. Tönnies wäre dann nicht nur beim Schwein, sondern auch bei Rindfleisch der Marktführer in Deutschland.

Verluste abstoßen

Zuvor waren die Schlachthöfe in Vilshofen und Landshut an die EZG Südbayern, die bereits einen 49%-Anteil hatten, verkauft worden. Nicht alle Marktkenner sind überzeugt, dass eine Erzeugergemeinschaft auch Schlachthöfe managen kann. „Im Laufe des Jahres 2023 und bis 2024 hat sich Vion von verlustbringenden Einheiten getrennt und andere Einheiten in Deutschland erfolgreich verkauft“, teilt das Unternehmen optimistisch mit. Allein das Ergebnis aus aufgegebenen Geschäftsbereichen schlug in 2023 mit etwa minus 50 Mio. € zu Buche. Ob die aktuellen Veräußerungen die Umstrukturierungen ausgleichen, wird sich noch zeigen müssen. Angesichts des Drucks, viele Standorte abgeben zu müssen, werden die potenziellen Käufer nicht Höchstpreise zahlen. Für manche Standorte habe sich gar die bayerische Landesregierung stark machen müssen. Wie das Management sich in eine solche prekäre Situation manövrieren konnte, wird nicht thematisiert. Es wird nur ein radikaler Cut organisiert.

Neue Strategien

Man wolle die strategische Produktion auf die Benelux-Länder fokussieren, aber daneben den europäischen Binnenmarkt bedienen. Ziel sei es, die Abhängigkeit vom volatilen globalen Rohstoffexportmarkt zu verringern, so der CEO der Vion Food Group, Ronald Lotgerink. Für ein Unternehmen (und ein Land), das existenziell vom Export profitiert hat und lebt, ist diese Kurskorrektur mit erheblichen Risiken verbunden.

Der Strategiewechsel verblüfft die gesamte Branche. Wenn dann noch Lotgerink verkündet, dass man „seinen strategischen Schwerpunkt auf die Förderung von Tierschutz- und Nachhaltigkeitsstandards in Zusammenarbeit mit Landwirten, Kunden und Partnern“ konzentrieren und die „Investitionen in datengesteuerte Ketten, Nachhaltigkeit und Tierschutz lenken“ will, horcht die ganze Fleischwirtschaft auf. Dabei seien die Herausforderungen wie geringere Herdengrößen, ökologische Produktionsauflagen, Preis- und Klimaschwankungen sowie Tierkrankheiten berücksichtigt, wie der Chef betont. Ziel sei es, der nachhaltigste Proteinkonzern für tierische und pflanzliche Produkte in der EU zu werden.

Wie meistens in solchen Umbruchzeiten wird mal wieder die Führungsmannschaft ersetzt und Ende des Jahres mit Tjard Klimp erstmals eine Frau als CEO inthronisiert, die das Transformationsprogramm umsetzen soll.

Abkehr von der eigenen Geschichte

Für einen Konzern mit seiner Historie verblüfft die Rosskur. Die Geschichte des Unternehmens, in die Fleischindustrie einzusteigen, begann 2002. Zuvor hatte die Firmenfusion zweier Bauernverbände mit Schlachtnebenprodukten, vor allem Gelatine, gute Geschäfte gemacht. Der Einstieg erfolgte durch vogelwilde Firmenübernahmen in Halbeuropa, besonders in Holland und in Nord- und Süddeutschland. 2003 wurde der schwächelnde Großschlachter Moksel in Bayern, 2004 die marode Nordfleisch/NFZ, 2005 die wackelnde Südfleisch in den Konzern eingruppiert. Alles wurde aufgekauft, auch in England, Schottland, selbst in Australien, so dass sich der Umsatz bis 2007 verzehnfachte. Nicht wenige sprachen von Größenwahn. Nach 2010 wurde einiges wieder zurückgedreht, um den Fokus auf Deutschland (16 Standorte) und die Niederlande (8) zu richten. Aber Verkaufsbüros wurden weltweit errichtet, um den internationalen Export zu begleiten. Unter den deutschen Zukäufen waren auch diverse wenig lukrative Produktionsstätten, so dass es immer wieder zu Umgruppierungen kam. Neben hochmodernen Stätten wurden „alte Klitschen“ gehalten. Die Fleischbranche wunderte sich lange Jahre über die Verzettelung mit vielen unproduktiven Schlachthöfen. Der holländische Mutterkonzern glich immer wieder aus. Fleischwerke wie Lutz (Großlieferant von McDonald’s) u. a. wurden übernommen und später wieder abgestoßen. Zwischen 2006 und 2023 wurden neun Standorte (mit Verlust) geschlossen. Von einer konsistenten Strategie war wenig zu sehen. Auch die Führungsebenen wechselten häufig. Zuletzt schrumpfte der Konzern.

Der Marktbeobachter fragt sich, was der aktuelle drastische Strategiewechsel des größten niederländischen Fleischkonzerns und Deutschlands Nr. 2 zum Ausdruck bringt. Steht die Attraktivität des deutschen Marktes, die Verschiebung vom globalen Markt auf den Binnenmarkt und zu einer Neujustierung des Angebotssortiments vom Massenprodukt zu differenzierten Portfolios auf dem Prüfstand. Soll mit dieser Radikalkur nun besser werden, was jahrelang versäumt wurde? Oder ist das Transformationsprogramm „Change that matters“ tatsächlich eine vorwärtsweisende Reaktion auf verlustreiche Exporte in Drittländer, auf schrumpfende Märkte in Europa, auf umweltbedingte Tierzahlreduktionen im holländischen Heimatmarkt und auf geänderte Konsumgewohnheiten in den westlichen Industrieregionen. Noch tut sich Vion schwer mit Nachhaltigkeits- und Tierwohlprogrammen (außer better leven im Nachbarland), mit differenzierten Angeboten, mit Bio- oder pflanzlichen Proteinmärkten. Für diese neuen Qualitätsmärkte gilt Deutschland in Europa als Vorreiter. Ob sich daraus zurückzuziehen eine kluge Strategie ist, muss sich noch erweisen.