Marktbeobachtungen von Hugo Gödde +++ Seit einigen Jahren macht die vegan/vegetarische Branche den großen Jahresaufschlag. Im Januar wird der „Veganuary“ gefeiert, in dem im großen und zunehmend breiteren Stil zu veganer Ernährung und Vermarktung aufgerufen wird. Geschickt hat sich der noch kleine Sektor den eher konsumschwachen Nachweihnachtsmonat für eine marktübergreifende Kampagne herausgesucht. Und die Beteiligung ist beeindruckend. Überall ist man über das Veganuary-Logo gestolpert – aber schon weniger als vor einem Jahr, wie Konsumforscher von der GfK analysierten.
Vor allem Online wird getrommelt
Die Kampagne 2024 ist stark auf die sozialen Medien und auf private Labels ausgerichtet – mit einem neuen Fokus auf den Preis. Der Einzelhandel informiert intensiv auf seinen Homepages, schickt Influencer raus mit veganen Rezepten und Erklärungen zu den Vorteilen der pflanzlichen Ernährung. Die Drogeriemarktkette dm hat 20 neue Produkte angeboten, Edeka auf seinen Online-Kanälen, dem hauseigenen Foodmagazin, social Media bis zum Podcast beworben. Rewe schaltet Videos mit dem Motto „das neue Jahr wird vega“. Aber die Aussagen sind nicht nur auf den guten Geschmack oder die CO2-Einsparung ausgerichtet, sondern zunehmend auf den reduzierten Preis. Rewe, Lidl, Rossmann, Norma, Penny, selbst Bio-Company aus Berlin setzen vehement auf Rabattaktionen und Sonderpreise.
Dabei rangiert nach GfK-Umfragen bei pflanzlichen Alternativen der Preis eigentlich hinter dem Geschmack und der Gesundheit. So hieß es im letzten Jahr. Das scheint nun Vergangenheit zu sein.
Veggie- Markt steckt in einer Strukturkrise
Für die Veranstalter hinterlässt der Aktionsmonat „bleibenden Eindruck“. 1000 Unternehmen hätten sich in Deutschland beteiligt. Deshalb wolle man zu Ostern mit „VeganuaryChickenWeek“ nachlegen, um Alternativen zu Eiern und Geflügel aufzuzeigen.
Der hohe Aufwand darf aber nicht darüber täuschen, dass die Branche in einer veritablen Krise steckt. Die Abverkäufe stagnieren (minus 2,1% in 2023, so die AMI), die Umsätze schwinden bei großen Anbietern, mehr Veggie-Unternehmen müssen sich einen engeren Markt teilen. Der Hype, der auch viele klassische Wurstfirmen ergriffen hatte, verliert an Gewicht. Das wirkt sich auch auf die Aktionen des Handels aus, die laut Lebensmittelzeitung (LZ) unspektakulär wirken, „sie sind teils so fade wie ungewürzter Tofu“, als hätten sie die Lust verloren. Aldi Süd lässt z.B. laut LZ Rabattaktionen für „Vegane Vielfalt zum Probierpreis“ protegieren – „auf Erdnussflips, Brot, Hummus. Das ist wohl kaum eine kulinarische Abenteuerreise, sondern vielmehr ein Sinnbild dafür, wie bemüht aufgepumpt das Veggie-Sortiment ist.“
Discounter senken die Preise auf tierisches Niveau
Dabei sind die Discounter die Treiber des pflanzlichen Marktes. Aber sie haben erkannt, dass für die Stagnation des Marktes die hohen Preise in Kombination mit der Inflation und der schwachen Konjunktur verantwortlich sind. Konventionelle Fleischalternativen waren häufig teurer als ihre Bio-Varianten und nicht selten fast doppelt so teuer wie vergleichbare Fleischprodukte. Das spielte bei der kleinen Schar der überzeugten Veganer keine Rolle, aber diese Gruppe scheint sich momentan nicht deutlich über 2% zu erweitern.
Also griff der Discount zur harten Methode und verkündete, seine veganen Eigenmarken zu den gleichen Preisen wie die tierischen Produkte anzubieten, d.h. drastisch zu senken. Lidl startete die Offensive, Aldi zog nach und der LEH-Wettbewerb folgte. In der Folge wies Lidl ein Rekordwachstum von bis zu 50% auf. Auch Aldi wuchs, wenn auch in geringerem Maße. Die Umsätze stiegen, aber die Margen sanken kräftig. So schnell konnte man die Lieferanten nicht knebeln. Laut Hersteller-Aussagen in der LZ verkauft Lidl inzwischen viel Fleischersatz zum Einkaufspreis. Entsprechend eng sei die Kalkulation, da Lidl verkündet hatte, die Preissenkung von durchschnittlich 23% größtenteils aus der eigenen Spanne zu bezahlen. Notgedrungen wird bei den Produkten gekungelt. Manche Produkte werden ausgelistet, andere Sortimente gestrafft (auch bei der Konkurrenz), wieder andere an konventionelle Premiumartikel angelehnt, um Paritäten vorzutäuschen. So sind bei Lidl z.B. mit dem veganen Hack und den veganen Burger-Patties bereits zwei Kernartikel ausgelistet.
Von der Grundposition – der Preisgleichheit von Pflanze und Fleisch – will man aber (noch) nicht abweichen. Marktexperten befürchten, dass man sich in eine Sackgasse manövrieren könnte, wenn der Schweinepreis von seinem aktuellen Rekordniveau mal sinken würde.
Von „sehr zufrieden“ bis vertane Chance reichen die Kommentare
Dennoch sind die Manager der Discounter „sehr zufrieden“ mit dem Ergebnis. Die veganen Milchalternativen und Fleischersatzprodukte würden sich großer Beliebtheit erfreuen. Die Zahlen sprechen aber eine nüchterne Sprache. Der Marktanteil stagnierte 2023 bei 1,2% bzw. einem Umsatz von 2,4 Mrd. €. Aber der Verdrängungswettbewerb und der Konzentrationsprozess geht weiter. Nicht umsonst hat sich das mit Abstand größte Fleischersatzunternehmen „Rügenwalder Mühle“ von Pfeifer& Langen (P&L) schlucken lassen. Man brauche Geld und Markt-Knowhow für die nächste Zeit.
Nebenbei: Dafür hat sich der Zuckerkonzern vom insolventen britischen Vegan-Hersteller V-Bites verabschiedet. V-Bites gehört zu 65% Seckloe, einer Firma von Heather Mills, der Ex-Frau von Paul McCartney, die in einem Aufsehen erregenden Scheidungsprozess 23 Mio. Pfund vom Ex-Beatle erstritten hatte. P&L hat alle Anteile abgegeben. „Unsere gemeinsamen Erwartungen haben sich nicht erfüllt,“ so ein Sprecher gegenüber der LZ.
Der Wandel der Branche ist in vollem Gange. Eine vertane Chance sei der Veganuary gewesen, so kritische Marktexperten.
Bio-Fleischalternativen verlieren Anteile
Diese Kritik muss sich auch der Biomarkt von den gleichen Experten anhören. Auch hier sind die Mengen und Umsätze bei Ersatzprodukten rückläufig. Dabei lag der Anteil der Bio-Fleischalternativen vor 6 Jahren noch bei 40%. In 2023 ist er (bis September) nach Angaben der AMI auf 24% gesunken – bei einem Minus von 6% beim Absatz und 11,8% beim Umsatz trotz der vergleichsweise günstigen Bio-Preise. Dennoch ist im Bio-Markt der Anteil des pflanzlichen Fleischersatzes mit 17% am gesamten „Fleisch“-Markt ungewöhnlich hoch. Bio und vegan/vegetarisch scheint für einen Teil der Kundschaft zusammenzugehören. Aber diese Sonderstellung hätten, so die Kritiker, die „Bios“ nicht genutzt und nur ihr Klientel bedient statt den Markt als Alleinstellungsmerkmal mit klugem Marketing und Botschaften zu Gesundheit und Klimaschutz zu besetzen.
Zugleich erstaunen neuere Trendanalysen von GfK-Konsumbefragungen. Demnach führen die Initiativen für mehr Tierwohl im LEH und die hohen Ersatzpreise dazu, dass junge Haushalte und Flexitarier (Fleischreduzierer) sich wieder Fleisch, auch gern Biofleisch, zuwenden. Ob das mehr ist als ein Trend oder doch eher eine „Erfindung“ von Wichtigtuer-Experten, wird sich noch zeigen.
Für den Marktbeobachter ist interessanter, dass die Alternativen nach einer steilen Wachstumsphase (Hype) allmählich in der schwierigen Alltagsrealität angekommen sind. Die Produkte seien oft nicht geschmackvoll genug bzw. voller Zusatzstoffe, um keinen Unterschied zu Fleischprodukten aufkommen zu lassen, heißt es. Aber kein Markt kann sich auf Dauer als Ersatzmarkt konstituieren. Zudem lebt der Markt noch vom häufigen Käuferwechsel – und leidet daran. Die Kundenbindung an Produkte und Marken ist noch schwach. Mit Stammkundschaft allein im Milieu ist aber kein Markt zu machen. Inwieweit der klassische LEH-Weg über den Preis eine Tür für die Branche öffnet, ist für die Hersteller riskant. Der „Strukturwandel“ lässt grüßen.