Aldi, Lidl & Co sind Özdemirs beste Verbündete beim Tierwohlumbau

Marktbeobachtungen von Hugo Gödde +++ Der Umbau der Tierhaltung geht in die nächste politische Konfliktrunde zwischen Regierung und Opposition in Berlin, zwischen dem Bund und den Ländern. Auf dem Fleischmarkt üben die Ankündigungen der Discounter Druck auf die Schlachtindustrie aus. Und in der Fleischindustrie läuft die „Konsolidierung“ mit dem Rückzug des holländischen Konzerns Vion – in Deutschland Nr. 2 - auf Hochtouren.

Haltungskennzeichnung ohne Kontrolle

Ab August 2025 ist eine gesetzliche Kennzeichnung für frisches Schweinefleisch verpflichtend, um Verbraucherinnen und Verbraucher zu informieren, aus welcher Haltungsform das Fleisch stammt. Dafür müssen bis zum 1.8.2024 alle Ställe aller Schweinemäster bei der zuständigen Behörde des Bundeslandes gemeldet werden. Viele (meist unionsgeführte) Länder haben aus Protest oder sonstigen Gründen sich nur sehr zögerlich damit beschäftigt, wie die für die Landwirte zwingende Meldung aussehen soll. Süddeutsche Länder zögern noch, obwohl ihr Antrag, die Umsetzung des Gesetzes zu verschieben, im Bundesrat durchgefallen ist. In NRW und Niedersachsen sind die Landesämter ausgewählt. Die Schweinemäster warten dringend auf Klärung, was zu tun ist.

Schon jetzt wurde bekannt, dass die Landwirte die Einordnung ihrer Ställe der Behörde schriftlich oder elektronisch nur plausibel melden müssen. Eine Kontrolle ist nicht vorgesehen (nur anlassbezogen und nicht regelmäßig). Landwirtschaftskenner befürchten, dass damit der fehlerhaften Benennung (unabsichtlich oder bewusst) Tür und Tor geöffnet wird, zumal sich nach Informationen aus der Branche viele Betriebsinhaber bisher eher unvollständig mit der - tatsächlich nicht unkomplizierten - Haltungskennzeichnung beschäftigt haben. Es ist ein neuer Vorgang, der immer zunächst Widerwillen gegen eine weitere Bürokratiemaßnahme hervorbringt. Deshalb wäre es notwendig, den Betroffenen zu helfen und sie mitzunehmen. Schließlich muss jeder Stall eine Kennnummer erhalten, zumeist verknüpft mit der HIT-Nummer (HIT = Herkunftssicherungs- und Informationssystem für Tiere). In NRW würde sie nach bisherigem Entwurf für einen Stall z.B. lauten: SWSTADE05 05 1234567890 01 (für Schwein, Haltungskennung, Land, NRW, Behörde, Betriebsnummer, Stall). Ein Stall hätte also eine 23-ziffrige Nummer! Niedersachsen hat ein etwas anderes System veröffentlicht, das vom BMEL bereits als „einfaches“ Vorgehen gewürdigt wird und die Haltungskennzeichnung und die Nutztierhaltungsverordnung (Aufgabe der Kreisbehörden) miteinander verbindet.

Nicht nur unter den Schweinehaltern, auch in der Branche wächst die Unruhe. Schließlich müssen ab nächstem Sommer die Schlachthöfe wie auch die Fleischverkäufer das frische Fleisch exakt deklarieren. Sie sind letztlich für fehlerhafte Kennung verantwortlich und fürchten, dass sie sich auf die Informationen der Lieferanten bzw. die Schnittstellen mit den Behörden nicht verlassen können. Zudem sorgen sie sich, dass eine fehlende Transparenz das Verbrauchervertrauen unterläuft und damit dem Gesetz seine Wirkung nimmt. Deshalb werden bei der Schlachtindustrie (mit dem Handel) schon Stimmen laut, die Kennzeichnung privatrechtlich zu ergänzen (Kontrollen, einfachere Schnittstellen- Kennung).

Markt für höhere Haltungsstufen wächst unverdrossen

Währenddessen geht die Offensive des Lebensmittelhandels konsequent weiter. Trotz immerwährender Zweifel an den Haltungsversprechen des LEH und des Discounts seitens der Schlachtindustrie oder des Bauernverbandes wächst der Markt in höhere Haltungsstufen kontinuierlich. Nach Aldi-Süd hat auch Lidl seine Ziele bekräftigt, bis Ende 2030 alle Frischfleischartikel und Wurstwaren auf mindestens Haltungsform (HF) 3 und höher umzustellen. Außerdem sollen bereits bis Ende diesen Jahres 30% und bis Ende 2025 die Hälfte der Metzgerfrisch-Wurstwaren auf HF 3 und mehr qualitativ gehoben werden. Damit weitet Lidl sein Tierwohlversprechen aus und zielt auf eine Ganztiervermarktung. „Dadurch ermöglichen wir landwirtschaftlichen Betrieben eine maximale Wertschöpfung und sichere Absatzkanäle,“ erläutert Manager Christoph Graf.

Dennoch ist in der Schlachtbranche vielfach Skepsis zu hören. Noch kürzlich tönte Westfleisch-Chef Uffelmann, dass Tierwohlfleisch eine Nische sei und nur mit Abschlag verkauft würde. „Wunsch und Wirklichkeit driften gerade vollkommen auseinander,“ heißt es. Außerdem seien gar nicht so viele Landwirte zur Umstellung bereit.

Seit der beschleunigten Lidl-Ankündigung – Lidl ist ein sehr wichtiger Kunde für den westfälischen Genossenschaftskonzern – ändert sich der Tonfall. „Wir bei Westfleisch sehen bei den höheren Haltungsformen grundsätzlich eine gute Perspektive und stehen als Lieferant bereit,“ erklärt man gegenüber top agrar.

Westfleisch-Schweine-COO Michael Schulze Kalthoff: „Wir taxieren die Absatzchancen für HF 3 und 4 mittelfristig auf bis zu 15 % des deutschen Fleischabsatzes... Das ist eine ganz einfache Rechnung: Nach dem aktuellen Westfleisch-Marktanteil und den eben genannten Prognosen der Absatzmöglichkeiten brauchen wir rund 500.000 Mastplätze für HF3-Tiere. Aktuell sind wir davon noch ein gutes Stück entfernt. Da müssen wir jetzt mit Hochdruck ran.“ Marktkenner gehen von einem jährlichen Bedarf von 5 bis 7 Mio. Schweinen in Frischluft, Auslauf- und Bioställen in den drei bis vier Jahren aus. Diesem Marktumbau den kalten Rücken zu zeigen, kann sich kein Schlachtunternehmen erlauben.

„Konsolidierung“ der Fleischindustrie geht weiter

Der holländische Fleischkonzern Vion, die Nr. 1 am deutschen Rindermarkt und Nr.3 bei Schweinen, will sich tendenziell vom deutschen Markt zurückziehen. Nach einer Überprüfung seiner Aktivitäten durch die genossenschaftliche Vion Food Group wurden fortlaufende Defizite festgestellt – zuletzt in Millionenhöhe, die man nicht mehr tragen will, um die verbleibenden deutschen Vermögenswerte zu sichern. Nach mehreren Standortschließungen in den letzten Jahren stehen noch 11 Standorte vor allem im Süden mit Schwerpunkt der Rinderschlachtung zur Disposition. Alle strategischen Optionen würden geprüft, heißt es in der Zentrale. Am liebsten möchte man in Paketen mit jeweils 3 oder 4 Standorten verkaufen – wohl um auch die wenig lukrativen Teile in Wert zu setzen. Die beiden größten Schlachtkonzerne Tönnies und Westfleisch haben schon abgewunken, weil man kartellrechtlich keine Chancen sehe. Müller-Fleisch aus Ulm, der in den Regionen schon aktiv ist, hält sich mit Angeboten zurück. Besorgt ist man auch bei den Lieferanten, weil man eine ausländische Übernahme (Spanien oder Brasilien) bzw. durch Investmentunternehmen befürchtet. Deshalb haben auch bereits bayerische Erzeugergemeinschaften, die bisher schon Anteile an einzelnen Schlachthöfen besitzen, ihren Hut in den Ring geworfen. Aber einen Schlachthof mitzubesitzen ist in diesen Zeiten des Marktumbaus etwas völlig anderes als einen großen Schlachthof zu leiten.

Den ersten Geldfluss konnte Vion schon realisieren. Man steigt beim niederländischen Zuchtunternehmen Topigs Norsvin aus. Topigs hat für 13,7 Mio. Euro die Anteile übernommen und ist jetzt mit Norsvin alleiniger Eigentümer der genossenschaftlichen Zuchtorganisation.