Marktbeobachtungen von Hugo Gödde +++ Seit Monaten bewegt sich der Schweinepreis seitwärts. Das Marktgleichgewicht kennzeichnet den Schweinemarkt. Tatsächlich hält sich der Erzeugerpreis seit März 2022 um oder über 2,00 Euro/kg, nachdem er zuvor etwa 18 Monate lang um die 1,40 €/kg gekreist hatte. So lange Zeiten ohne größere Preisbewegungen sind die Schweinehalter selten gewohnt. Eigentlich herrscht seit über 100 Jahren die Berg- und Talfahrt des Schweinezyklus‘, der es wegen seiner Regelmäßigkeit sogar bis in alle Lehrbücher der Ökonomie geschafft hat.
Zurzeit scheint er ausgesetzt, denn normalerweise wachsen in Hochpreisphasen die Schweineställe bis die Überproduktion den Preis abstürzen lässt. Nicht so in der aktuellen Situation. Trotz „auskömmlicher“ Preise werden kaum neue Ställe gebaut, so dass Marktexperten wie die holländische Rabobank auch für 2025 gute Zeiten für Schweinehalter vorhersagen. Offensichtlich sind die Aussichten zu unsicher, die Rahmenbedingungen von Bau- und Arbeitskosten, Zinsen und Futtermitteln sowie die gesetzlichen, behördlichen und Marktanforderungen zu diffus oder „investitionsfeindlich“, wie Marktideologen beklagen. Für Landwirte sind das keine schlechten Nachrichten, außer dass man seinen Schweinegewinn woanders anlegen muss.
Notierung: Erzeugerseite gibt den Preis vor
Da steckt die Fleischindustrie schon eher in Turbulenzen. Der Abbau der Schweinezahlen, der Rückgang des Fleischabsatzes um ca. 25% seit drei Jahren und der Bruch des Drittlandexports (China) hat die Überkapazitäten deutlich gemacht. Eine Umstrukturierung ist nicht aufzuhalten. Normalerweise versucht der nachgelagerte Bereich diese Strukturkosten auf die Erzeugung abzuwälzen. Das kann die „grüne“ Seite bisher erfolgreich abwehren. Sie muss sich nicht der strukturellen Macht der Industrie beugen. Das Marktgleichgewicht stärkt die Erzeugerseite.
Zugleich ist der Mechanismus der Preisbildung ein Pfund in Bauernhand und hat sich seit Jahren bewährt. Seit 1998 empfiehlt die Vereinigung der Erzeugergemeinschaften für Vieh und Fleisch (VEZG) wöchentlich Preise für Schlachttiere und gibt den aktuellen „Notierungspreis“ für die kommende Wochen vor – und nicht nachträglich. Damit können sich die Schweinehalter bereits frühzeitig darauf einstellen, ob sie verkaufen oder vielleicht noch abwarten wollen. Bemerkenswert ist, dass allein die „grüne Seite“ den Orientierungspreis für die gesamte Branche bzw. den Markt vorgibt. Das Vorgehen basiert auf dem Marktstrukturgesetz, nach dem es ohne Einwände des Kartellamtes erlaubt ist, dass Erzeugergemeinschaften preisliche Absprachen treffen. Damit soll sich ein Gegengewicht zur Marktmacht der Abnehmer bilden können. In den ersten Jahren waren die Empfehlungen durch die VEZG nicht unumstritten. Manch regionale Fürsten mussten erst überzeugt werden, dass man gemeinsam stärker ist als allein. Zuvor waren Preise „auf kurzem Wege“ mit den Marktpartnern ausgehandelt worden. Erst allmählich konnte die VEZG sich als entscheidende Preissetzer durchsetzen, vor allem als auch mächtige norddeutsche EZG’s eingebunden wurden.
Wie scharf ist das Schwert der Notierung?
Immerhin ist es gelungen, jährlich ca. 10 Mio. Schweine über ca. 40 Erzeugergemeinschaften zu bündeln. Der Vorsitzende Frieß sieht den Marktanteil bei 25% der Schlachtschweine und bei 10 bis 15% der Ferkel. Der Anteil im Rinderbereich liege deutlich unter 10%, wird in der Branche geschätzt. Deshalb ist der Rückhalt dort auch weniger gegeben. Unstrittig ist, dass die Preisfindung auch ein Leitpreis für den gesamten EU-Markt geworden ist. Einzigartig ist die eigenständige Festsetzung durch die Erzeugerseite. In Frankreich, Spanien oder Niederlande verhandelt eine Kommission aus Erzeugern und Abnehmern den Wochenpreis.
Aber, weiß auch Frieß, den Preis muss man am Markt auch durchsetzen können. Unrealistische (Wunsch-)Beschlüsse nützen allenfalls kurzfristig. Die Treffsicherheit des Marktpreises entscheidet über die Marktbedeutung. Sonst verweigern die Abnehmer die Anerkennung, gehen mit eigenen „Hauspreisen“ an den Markt und spalten die Landwirte. Aber „wir müssen immer versuchen, bis an die Schmerzgrenze zu gehen,“ sagte er mal in einem Interview, „wie häufig es dann zu Hauspreisen kommt, hängt immer auch von der Marktlage ab.“
Festzuhalten ist, dass es im Unterschied zu den 2010er Jahren heute kaum noch zu Hauspreisen der großen Schlachtkonzerne kommt. Damals versuchten die großen Schlachtkonzerne (Tönnies, Westfleisch, Vion) fünf- bis achtmal im Jahr die Notierung zu unterlaufen. Meistens ging einer voran und die anderen folgten umgehend.
Die Notierung hat sich zu einer Preiswaffe entwickelt, wenn sie klug genutzt wird. Frieß hält die Bündelung und die Geschlossenheit der Schweinehalter für den eigentlichen Trumpf. Die fehlende Solidarität unter Berufskollegen sei der Nasenring, an dem man immer wieder vorgeführt werde, ist seine Erfahrung. Aber dieser Zusammenhalt muss immer neu erkämpft werden. Auch aktuell glauben einige EZG‘s, dass angesichts der knappen Marktversorgung „mehr drin sei“ und die VEZG-Führung zu defensiv empfehle. Die Lage sei günstig und man müsse sie nützen. Andere verweisen auf den schleppenden Absatz und den schon hohen Fleischpreis, der auch bezahlt werden müsse, ohne noch mehr Konsum zu verlieren. Jedenfalls ist die Notierung am Mittwochnachmittag die Marke, an die sich die gesamte Branche für die folgende Woche orientiert.
Neuer Sprung in der Marktkonzentration?
In der Fleischindustrie herrscht dagegen angespannte Unruhe. Der Rückgang der regionalen, mittelständischen Schlachthöfe wie der handwerklichen Fleischereien hat dramatische Züge angenommen. Absatzkrisen, der Preiskampf mit Discount/LEH, Kostensteigerungen und Fachkräftemangel lassen die Perspektiven des (alten) Mittelstands schrumpfen. Der Rückgang des Fleischkonsums und der drastische Zusammenbruch der Exporte in Drittländer (China) haben aber auch größere Unternehmen in Existenznöte gebracht. Jüngste Beispiele sind die Rückzüge der großen dänischen (danish crown) und holländischen Schlachtkonzerne (Vion) aus Deutschland. Vion war noch im letzten Jahr die Nr. 1 am deutschen Rindfleischmarkt und mit Westfleisch die Nr. 2 (hinter Tönnies) am Schweinemarkt. Einst war Deutschland ein gelobtes Fleischabsatzland für sie. Heute sehen beide Konzerne, die in ihren Ländern eine quasi-Monopolstellung innehaben, nicht mehr ihr Wachstums- und Profitheil in Deutschland, sondern in anderen Regionen bzw. müssen erst einmal ihre Heimatmärkte stabilisieren und ihre Exporte neu aufstellen.
Neuestes Zeichen für den Wandel ist der rasante Rückzug von Vion aus Deutschland. Nachdem man sich in den letzten Jahren sukzessive aus Norddeutschland verabschiedet hat, werden nun acht hauptsächlich süddeutsche Standorte geradezu fluchtartig verlassen. Zunächst gingen zwei Schlachthöfe an die EZG Südbayern, die vorher schon einen hohen Minderheitsanteil besaß. In kurzer Folge sollen nun 6 Standorte an den größten deutschen Fleischkonzern Tönnies verkauft werden. Damit wird Tönnies nicht nur Deutschlands größter Schweineschlachter, sondern auch noch größter Rinderschlachter. Ob das Kartellamt dieser Oligopolisierung des Fleischmarktes zustimmt, wäre schwer verständlich. Dagegen halten die Befürworter dieses Großdeals, dass kein anderer deutscher Konzern bei dieser Größenordnung einsteigen könnte. Die Alternative wären amerikanische, brasilianische oder chinesische Fleischmultis bzw. undurchschaubare Investmentfonds oder private equities (Heuschrecken). Nun rächt sich, wenn Unternehmen too big to fail (zu groß zum Sterben) werden.
Der Marktbeobachter zieht aus der Beschreibung u.a. drei Erkenntnisse