Brandmauern, Frust und Zuversicht auf dem Schweinemarkt

Marktbeobachtungen von Hugo Gödde +++ Wenn der Schweinehalter zwischen Frust und Zuversicht schwankt, wie es auf der Mitgliederversammlung der Interessengemeinschaft der Schweinehalter Deutschlands (ISN) kürzlich zum Ausdruck kam, dann kann es so schlecht nicht um den Schweinestandort bestellt sein. Verhalten positiv schaue er in die Zukunft, so Chefideologe Torsten Staack. 2024 scheint ein gutes Schweinejahr zu werden – die Sterne für stabile, gute Preise stehen nicht schlecht. Und besonders die sonst gern vernachlässigten Ferkelerzeuger verdienen (endlich) gutes Geld. Der Kostendruck sei nach wie vor vorhanden, obwohl die Futtermittel (der entscheidende Kostenfaktor) sich preislich deutlich reduzierten, hieß es bei den Schweineprofis. Zugleich ist mit den Treckerdemonstrationen die überbordende Bürokratie zum Bauernfeind Nr. 1 geworden. Das gilt vor allem für die EU-Auflagen auf Ackerbau und Grünland, aber auch bei Um- oder Neubauten sind die behördlichen Genehmigungen eine hohe Hürde und erfordern eine große Frustrationstoleranz. Bei derart guten Marktbedingungen wären früher schon Bauunternehmer oder der Handwerker bestellt worden. Jetzt behindern die Behörden, die hohen Bau- und Zinskosten und die Unsicherheit über die Marktentwicklung die Planungen und die Zukunftsperspektiven. Schuld ist jedenfalls die Politik, die Regierung bzw. die Ampel – darauf kann man sich schnell einigen. Dass vor allem „ihre“ FDP alles Mögliche ausbremst, wird bei den „Marktwirtschaftlern“ der ISN gern übersehen.

Schlachtzahlen drastisch rückläufig

Dabei ist der Schweinemarkt durchaus von spannenden Entwicklungen gekennzeichnet. Eine wesentliche Voraussetzung für das Marktgleichgewicht ist der Abbau der Überschüsse und die weitgehende Abkehr vom Weltmarkt. Die deutschen Schlachtungen sanken 2023 auf 43,8 Mio. Schweine, nachdem sie 2019 noch bei 55,2 Mio. lagen – ein Rückgang von 25% in vier Jahren. Auch EU-weit nahm die Zahl stark ab, 7% unter Vorjahr und auf das niedrigste Niveau seit der Jahrtausendwende. Dass die deutsche Branche durch die Schweinepest ihre starke globale Stellung verlor und nicht mehr vom weltweiten „Pig business“ die Preise bestimmt werden, war bis vor drei Jahren ein Grund zum Jammern. Heute ist man – abgesehen vom margenträchtigen Nebenproduktemarkt (Kopf, Öhrchen, Schwänzchen) – froh darüber, nicht mit den Billig-Exportländern konkurrieren zu müssen. Brasilien, USA oder Russland produzieren aktuell zu 1,60 bis 1,70 €/kg, 30% unter unserem Preis. Exportabhängige Länder wie Dänemark leiden unter der Absatzkrise. 20% weniger haben unsere nördlichen Nachbarn letztes Jahr produziert, auch weil dort der Erzeugerpreis 40 Cent niedriger als bei uns lag. Selbst dieser „miese“ Preis des Quasimonopolisten Danish Crown konnte den Export nicht retten. Natürlich wird aus deutschen Landen weiterhin exportiert, aber zu über 80% in EU-Länder (Italien, Holland, Polen) und dort ist der Preis etwa vergleichbar oder nicht wettbewerbswidrig.

Herkunftskennzeichnung des LEH rettet den Schweinepreis

Neben dem Marktgleichgewicht von Angebot und Nachfrage sichert zur großen Überraschung der Branche eine weitere Tatsache den aktuellen Schweinepreis von 2,20 €/kg. Als vor einigen Monaten der LEH und vornweg die Discounter verkündeten, in Zukunft zur „Verteidigung der deutschen Landwirtschaft“ nur noch Fleisch (und Milch) aus deutscher Herkunft anbieten zu wollen, wurden sie nicht selten mit Häme überschüttet. Es gehe ihnen nur um einen Marketing-Gag, hieß es in Lobbykreisen, während die AbL oder Neuland die Initiative des LEH für 5xD verteidigten (deutsche Herkunft von Geburt bis zur Ladentheke, d.h. Geburt, Aufzucht, Mast, Schlachtung, Zerlegung). Die Unterzeichnung dieser Vereinbarung durch die Zentrale Koordination Handel-Landwirtschaft (ZKHL), vermittelt zwischen Bauernverband und Handel und tatsächlich weitgehend eingehalten durch die Handelskonzerne, brachte eine Stabilisierung des Marktes. Tönnies und Westfleisch stellten Ende Februar unisono fest, dass die „Herkunftskennzeichnung aktuell eine Lebensversicherung für den deutschen Schweinehalter“ sei. Sie sei eine Brandmauer gegen Fleischimporte. Nur dadurch könne der „hohe“ Preis gehalten werden, der sonst auf dem schwächelnden Markt nicht zu erzielen sei.

Nebenbei: Etwa 20% der deutschen Schweine stammen aus ausländischer Ferkelherkunft, die jetzt nicht mehr als Fleisch an den LEH geliefert werden dürfen, sondern im allgemeinen Markt eingeordnet werden. Das ist umso bemerkenswerter, weil manche Schweinehalter zwar gern die Fleischimporte ächten wollen (mind. auf dem ach so hohen deutschen Niveau bestehen), aber bei den Ferkelimporten auffallend leisere Töne anschlagen. Auch die Partien auf den ISN-Schweineauktionen sind übersät von dänischen und holländischen Herkünften.

Längere Verträge und andere Preissysteme?

Überhaupt lässt die Umorientierung auf dem Schweinemarkt manche neue Ideen sprießen. Während konservative Schweinehalter den unaufhaltsamen Trend des sinkenden Fleischverzehrs, den Wegfall des Chinamarktes und die Verbraucherskepsis für Tierwohlfleisch beklagen und davon abraten, „funktionierende Ställe umzubauen“, drückt der Handel aufs Tempo und bringt auch die Schlachtindustrie in Bewegung. Tönnies und Westfleisch bspw. werden nicht müde zu beteuern, dass sie die Nachfrage bedienen wollen und teils mehrjährige (oft 5 Jahre) Verträge für höhere Stufen anbieten mit definierten Preisaufschlägen, die momentan bei 25 bis 30 Ct/kg liegen (incl. 5,28 ITW-Zuschlag). Westfleisch möchte in diesem Jahr den Fleischanteil aus den höheren Haltungsformen von 5% auf 10% verdoppeln – das wären ca. 12.000 Schweine pro Woche! Der Markt wird sich einfach noch weiter differenzieren, ist man sich einig. Das gelte bisher nur beim Fleisch in Bedienung, (noch) nicht bei abgepackter (SB-)Ware oder bei Wurstprodukten, aber auch dort ist es wohl die Zukunft.

Noch einen Schritt weiter zu gehen könnte sich Konzernchef Tönnies vorstellen und z.B. Preise nicht für eine Woche – wie zurzeit – sondern für ein halbes Jahr festschreiben. Die Verträge der Discounter im Milchbereich vereinbaren schon lange eine solche Laufzeit. Manche Branchenvertreter vermuten dahinter eine Abwehrmaßnahme gegen die derzeitige starke Marktstellung der Erzeugergemeinschaften, die mit ihrer wöchentlichen Notierungssetzung das Marktgeschehen aufmischen. Keine Überschüsse und fehlende Ferkel bei gleichzeitiger Herkunftskennzeichnung haben die Kräfteverhältnisse geändert.

Andere Marktkenner interpretieren den Vorschlag, dass längerfristige festere Preise nicht nur die Stabilität im Verhältnis Industrie und Handel erhöhen, sondern auch die Marktsprünge verringern und die Planungssicherheit der Schweinehalter verbessern.

Wieder andere fürchten durch eine einzelbetriebliche Vertragsbindung einen Einstieg in eine vertikale Integration wie in anderen Ländern (USA, Spanien), in der letztlich der Integrator/Abnehmer die Bedingungen setzt. Die Ankündigung von Kaufland, die Anzahl von Einzelverträgen für Stufe 3 sprunghaft zu erhöhen, lässt aufhorchen – zumal die Erzeugerseite für direkte Bindungen zum Handel noch schwach organisiert ist.

Der Marktbeobachter sieht im Schweinemarkt viel Bewegung. Der sinkende Fleischabsatz und die geringere Exportabhängigkeit verbunden mit einem speziellen deutschen Markt mit wachsendem Tierwohlanteil – gepuscht durch den Discount – erzwingen eine hohe Innovationsbereitschaft in einer bisher durch und durch konservativen Branche. Nimmt man die Umbrüche im Personalwesen (Abbau der Werksverträge), in der Abkehr vom Standardfleisch (Differenzierung), im Einstieg in den Fleischersatzmarkt und in der wachsenden Ausrichtung auf den Binnenmarkt hinzu, bleibt nur die Erkenntnis, dass der Umbau der Fleischindustrie und des Fleischmarktes bereits in vollem Gange ist. Wer in diesem Strukturwandel überleben will, sollte sich schnellstens auf neue Strategien einstellen. Das gilt für alle in der Lieferkette, auch für die Schweinehalter. Sich nur über die unzuverlässigen, Billigfleisch suchenden Verbraucher und die entscheidungsschwache und praxisferne Politik zu ärgern, ist wahrlich keine Lösung.