Schweinehochhäuser in China: Ausbeutung für Mensch und Tier

Marktbeobachtungen von Hugo Gödde +++ China ist der größte Schweinemarkt der Welt. Jedes zweite Schwein weltweit lebt dort. Nach der gigantischen Vernichtung durch die Afrikanische Schweinepest (ASP) 2019/ 2020, während der bis zu 200 Mio. Schweine starben bzw. gekeult wurden, ist die chinesische Schweineproduktion wieder auf Wachstumskurs und zum Erstaunen vieler Experten innerhalb kurzer Zeit wieder auf dem Stand vor der ASP. Mit dem wachsenden Wohlstand ist auch der Fleischkonsum, vor allem von Schweinefleisch, massiv gestiegen. „Schwein haben“ gilt wirklich als Zeichen von Glück und Erfolg. 60 kg Fleisch verzehrt jeder Chinese und jede Chinesin im Jahr, mehr als in Deutschland (52 kg), mit noch leichtem Zuwachs.

Mit 440 Mio. Schweine war der Bestand Ende September etwa 22 mal höher als bei uns. Der Sauenbestand lag mit 42 Mio. – bei uns etwa 1,4 Mio. – leicht über der Zielmarke von 41 Mio., so dass offiziell ein angemessener Abbau „empfohlen“ wird. Jedenfalls hat die konjunkturelle Überproduktion – begründet auch in einer mäßigen Nachfrage wegen der schwächelnden Wirtschaft – dazu geführt, dass die Erzeugerpreise, die 2020 bis 4,50 €/kg emporschossen, inzwischen auf 1,80 €/kg einbrachen und den Schweineproduzenten im ersten Halbjahr nach Regierungsangaben einen Verlust von 16 € je Schwein einbrachten. Auch der aktuelle Preis von gut 2,00 €/kg ermöglicht keine kostendeckende Produktion, so dass viele, auch große Betriebe erhebliche Verluste schreiben. Die Ferkelpreise liegen aktuell sogar 60% unter Vorjahr. Das Landwirtschaftsministerium warnt bereits vor einer „doppelten Kollision“ nach dem konsumträchtigen Neujahrsfest 2024 von schwacher Nachfrage und hohem Angebot.

Schweinehochhäuser als Fortschrittsmagnet

Um nach der ASP schnell wieder die Konsumenten mit Schweinefleisch versorgen zu können und neben Corona keinen weiteren Unruheherd aufkommen zu lassen, wurde die Produktion staatlicherseits unglaublich gefördert (Kredite, Standorte, bevorzugte Baugenehmigungen). Da Land in China äußerst knapp ist, wurden mehrgeschossige Schweinehochhäuser zum Zielmodell erkoren mit 6 bis 7 Stockwerken (Spitze ist der 26-geschossige Wolkenkratzer in der Provinz Hubei), auch wenn die Hinterhofhaltung von Millionen Bauern zwar rasant rückläufig, aber bei weitem nicht ausgestorben ist. In diesen Hochhäusern werden mehrere Hunderttausend Schweine gehalten. Laut Medienberichten sollen bis 2021 etwa 17 Milliarden Dollar in solche XXL-Ställe investiert worden sein. Nach Auskunft eines Insiders einer deutschen Stallbaufirma, die Bestände von insgesamt über 10 Mio. projektiert hat, den top agrar interviewt hat, erfüllen die Ställe annähernd deutsche Standards. Teilweise gingen die Anforderungen – regional unterschiedlich - sogar deutlich darüber hinaus, um Hygiene und Tiergesundheit und andererseits die Kosten zu optimieren. Meistens gehöre ein räumlich getrenntes Kraftfutterwerk zur Anlage, von dem automatisiert das überwiegende Trockenfutter in die Ställe transportiert werde. Zwischen Stallbesitzern und Futtermittelproduzenten gebe es Kooperationen für Zukauf. Eigenes Futter werde nicht angebaut. Auf Biosicherheit werde besonderes Augenmerk gelegt, häufig mehr als in Europa. Die Seuchenzüge der letzten Jahrzehnte lassen grüßen. Ziel sei die hohe, möglichst rationelle Produktion von Fleisch, dem Tiergesundheit und Tierwohl untergeordnet ist, so der deutsche Stallprojektleiter. Noch sind die Zuwachsraten und die Ferkelzahlen relativ niedrig, die Schlachtgewichte bei 80 kg. Doch durch Einkreuzungen mit westlichen Rassen habe sich viel verbessert.

Aber das Schweine-Knowhow der Mitarbeiter für diese hochtechnisierten Anlagen ist (noch) niedrig und die Rentabilität unzulänglich. Auch in China sind die Anlagen nach Aussagen von chinesischen Ökonomen in der spanischen Zeitung „el pais“ umstritten, da sie sich weder ökonomisch noch ökologisch rechnen. Kostenführerschaft ist angestrebt, aber noch sollen die Kapazitäten nur zu 35% ausgelastet sein. Ziel sei eine möglichst hohe Automatisierung mit einem Betreuungsgrad von 2000 Schweinen pro Mitarbeiter. Viele Umweltfragen wie Ammoniakemissionen, Nitrat- und Bodenbelastung, Transporte und Biosicherheit durch die gigantischen Intensitäten seien völlig ungeklärt.

Aber Schweinefleischproduktion ist eine nationale Aufgabe und wird von oben gesteuert. So soll es Ziel von Peking sein, bis 2025 etwa 65% in solchen Megafarmen zu produzieren. Die Zerstörung mittelgroßer Betriebe wird in Kauf genommen zugunsten einiger tausender mehrgeschossiger Giganten. Außerdem soll die Importabhängigkeit verringert werden, denn noch liegt der Selbstversorgungsanteil „nur“ bei 95%.

Reporter-Einblicke in eine Hochhausanlage

Die ARD-Korrespondentin Tamara Anthony hat zwei Jahre nach ihrer Anfrage so ein Hochhaus besuchen dürfen. Am Anfang stand ein Desinfektionsmarathon mit insgesamt siebenmal Umziehen, berichtet sie, dreimal musste sie duschen, einmal ging es sogar in eine Sauna, bis sie einen Stall betreten durfte.

Massentierhaltung ist modern, berichtet ein Stall-Mitarbeiter stolz. Die Sauen leben die ganze Wartezeit bis zur Geburt fest gezwängt in Kastenständen. „Alle 4 Monate dürfen sie einmal für eine Stunde aus der Box,“ beschreibt er die Bewegungsmöglichkeiten – wohl der Weg zum Geburts-Kastenstand.  „Unsere Schweine sind viel glücklicher. Wenn die Schweine draußen wären, wären sie in der Sonne und im Regen und bei schlechtem Wetter würden sie nicht genug Essen finden wie Obdachlose. Bei uns haben sie essen, trinken, eine volle Mahlzeit und sie müssen nicht in der Kälte stehen,“ erklärt ihr die Mitarbeiterin. Die XXXL Ställe werden inzwischen von Konzernen aller Couleur betrieben. Das Hochhaus, das die Reporterin besuchte, wird von einem Zementkonzern geführt, andere von IT-Firmen.

Für die Mitarbeiter bedeutet diese Arbeit ein Leben in Quarantäne. Sie sei glücklich, weil sie Arbeit hat. Sie wohnt wie ihre Kollegen auf dem Gelände. Ihr Kind lebt bei den Großeltern, nur sechs Tage im Monat kann sie es sehen. „Das macht mir nichts aus. Einmal sind wir sogar ein halbes Jahr hiergeblieben.“ Essen, Trinken, ein bisschen Bewegung in den Fitnesshallen auf dem Gelände und ein Dach über dem Kopf, dafür ist gesorgt – bei den Schweinen und den Menschen, fällt das Urteil der Tagesschau-Korrespondentin aus.

Eigenversorgung rauf, Import runter

Gerade angesichts der diversen politischen Konflikte um die Vorherrschaft in der Welt versucht China seine Abhängigkeit vor allem von den USA zu senken, ohne seine globalen Ziele aufzugeben. Der Schweineimport soll reduziert, mindestens diversifiziert werden. Nach deutlichen Einschränkungen in den letzten Jahren sollen die Einfuhren in 2023 bisher leicht gestiegen sein, besonders bei den Nebenprodukten wie Ohren, Köpfe, Schwänze, die in China stark präferiert werden – auch zur Freude spanischer, dänischer und niederländischer Konzerne. Aber führender Lieferant ist zurzeit Brasilien, nicht nur aus Kostengründen, sondern auch um engere Beziehungen zu Südamerika zu knüpfen. Spanien als größter Lieferant aus der EU hat wieder einen Rückgang von 10% zu verzeichnen, was dem Wachstumstraum der Iberer zu schaffen macht. Ähnlich muss in Dänemark der Monopolist Danish Crown sein Geschäftsmodell ohne die satten Chinamargen neu aufstellen.

Die deutsche Fleischindustrie hofft immer noch auf ein Regionalisierungsabkommen mit China, um aus ASP-freien Regionen wenigstens gewinnträchtige Nebenprodukte exportieren zu können. Gegenwärtig klopft wieder eine hochrangige Delegation aus Ministerium und Industrie in Peking an. Aus Versorgungsgründen braucht China die deutschen Produkte nicht. Es sind eher politische Verhandlungen.

Der Marktbeobachter fürchtet die Megastrukturen, die mit Vorbild China in vielen Ländern entstehen. Die europäischen Konzerne für Technik, Stallbau, Genetik usw. sind im Reich von Xi Jinping mit knallharten Interessen unterwegs. Noch sind die ökonomischen Erfolge der Megaställe nicht bedrohlich, aber sie verschieben die strukturellen und kulturellen Vorstellungen. Trotz aller Massentierhaltungsdiskussionen ist die deutsche Schweinehaltung im Verhältnis zu großen Schweinenationen weitgehend in bäuerlicher Hand. Auch im Sinne der westlichen Kulturwerte ist diese Erzeugung bei allen Tierwohldefiziten verteidigenswert.

02.11.2023
Von: Hugo Gödde

Das bis dato höchste Schweinehochhaus in China. Bildquelle: tagesschau/ARD Mediathek