Das Ende einer Erfolgsstory? – Biomilchmarkt zwischen Absatzrückgang, Mengenboom und LEH-Erfolgen

Marktbeobachtungen von Hugo Gödde

„Wir haben zu viel Biomilch. Schon jetzt passt der Preis nicht zu den Kosten und er geht noch runter,“ klagt ein Biomilchbauer. „Wohin soll das noch gehen?“

In den letzten Monaten drücken gleichzeitig mehrere Probleme auf den Biomilchmarkt. Inflationsbedingte Absatzrückgänge wie bei Bio überall, Mengenboom und als Folge Preisdruck. Jetzt drängt auch noch verstärkt Ware aus dem Ausland herein. Die Zeiten werden unruhiger. Dabei war man noch so euphorisch nach den Rekorden der Corona-Jahre und der Regierungsankündigung von 30% bis 2030 aufgetreten. Aber die Krise hat auch den so lange verwöhnten Biomarkt eingeholt. Das ist die Bio-Branche nicht gewöhnt. Jetzt sind neue Lösungen gefragt.

Biomilch – quo vadis?

Jahrelang galt der Markt für Biomilch als eine Erfolgsstory. Der Absatz wuchs, der Preis stieg kontinuierlich und vor allem konnten Überschüsse durch strenge Abnahmedisziplin vermieden werden. Die Molkereien nahmen nur so viele Lieferanten auf, wie sie auch vermarkten konnten. Der Kreislauf passte, und der Erfolg gab allen Beteiligten recht. Der Abstand zur „normalen Milch“ wuchs und immer mehr Höfe konnten Schritt für Schritt umgestellt werden. Besonders im Süden nahm man die Chance wahr. Etwa die Hälfte der bundesweiten Biomilch wird von klein- und mittleren Betrieben in Bayern erzeugt.

Auch in 2022 stieg die Milchmenge bis in den Herbst nur langsam und der Preis in ungeahnte Höhen von 60 ct/kg, mit einem Schnitt von 58 Cent für das Gesamtjahr (nach 50 Cent in 2021). Aber da auch die Kosten für Futter (Grund- wie Kraftfutter), Energie usw. explodierten – die Vollkosten wurden von Beratern mit 68 Cent angegeben -, blieb unter dem Strich nicht so viel übrig. Selbst wenn findige Erzeuger mit weniger Kraftfutter usw. die Kosten begrenzen, bleibt die Biomilch „eine enge Kiste“, wie Josef Jacobi, Milchbauer aus Ostwestfalen und Gründer der Upländer Bauernmolkerei bewertet.

Mengen- und Absatzprobleme

Überrascht hat die „Bios“ auch, dass ihre konventionellen Nachbarn in einer wahren Preisrallye Ende 2022 fast genauso viel erzielten wie sie. Doch deren Rekordhoch ist bereits abgestürzt; ihr Preis sank im März auf 48 ct/kg = 20% unter dem Jahreswechsel. Der Bio-Preis ist laut Bioland bisher nur leicht auf 60,3 ct/kg gefallen. Der Preisabstand steigt auf über 12 ct/kg nach zuletzt 3 Cent im Dezember.

Aber der Biomilchmarkt produziert derzeit eigene Probleme. Die Milchmenge ist um 8% gegenüber Vorjahr angestiegen, im Norden noch deutlich mehr. Und das bei sinkenden Absatzzahlen. Dieses Mehrangebot kann der Markt nicht verkraften. Die Molkereien nehmen die „neuen“ Mengen irgendwie auf, können sie aber nicht vermarkten. Der Kampf um den Markt ist voll entbrannt. Der Naturkostbereich leidet besonders unter der Kaufkrise. Die Übermengen müssen/sollen vor allem über den Discount abfließen, dem Umsatz- und Absatzgewinner der Inflationszeit auch im Biobereich. Der Umsatzanteil des LEH bei allen Bioprodukten ist im letzten Jahr auf 66% angezogen. Damit nähert sich auch der ehemalige Nischenmarkt der Normalität des deutschen Lebensmittelmarkts. Konventionell läuft etwa 80% über Supermärkte und Discounter.

Der Handel wirbt wie immer mit Preisaktionen und günstigen Eigenmarken. „Wir sind und bleiben ein Discounter,“ verkünden Aldi und Lidl-Manager übereinstimmend. Auch im Biobereich weitet sich der Preiseinstieg und Billig-Bio aus. „Bio UND günstig“ wirbt netto. Und Edeka senkt über 20 Bio-Produkte. Der Preisdruck nimmt zu. Bei Überschüssen können sich Aldi und Co. sogar als Bauernfreunde darstellen, weil sie mit ihren Aktionen den Absatz treiben, der dringend gebraucht wird.

Der Discount – vom Saulus zum Paulus?

Der Einzelhandel ist der Schlüssel der weiteren Entwicklung, heißt es z.B. bei Naturland. Der Konkurrenzkampf um Verträge – am liebsten Exklusivverträge – mit Handelskonzernen trägt manchmal merkwürdige Züge. Wer heute einen Absatzvertrag mit Aldi oder Lidl „ergattert“, fühlt sich als Gewinner. Das gilt nicht nur für Molkereien wie Bechtel (Lidl) oder Gropper (Aldi), sondern auch für die Bioverbände. Das Buhlen von Bioland um Lidl (oder Edeka-Regionen) oder aktuell von Naturland um Aldi (neben der längerfristigen Beziehung zu Rewe) zeigt, dass die Verbände Partner im politischen Bereich, aber Konkurrenten im wirtschaftlichen Bereich sind.

Dass der Discount nicht mehr der Gegner wie vor 20 Jahren ist, hat zum Erstaunen vieler Bio-Pioniere selbst Bioland mit seinem Einstieg bei Lidl dokumentiert. Noch vor 10 oder 15 Jahren war dieser Vermarktungsweg ein Tabu für „echte“ Bios. Der damals zweitgrößten Naturkostkette Basic hätte 2009 eine Kooperation mit Lidl fast die Existenz gekostet. Nach einem Proteststurm von Kunden und Lieferanten rettete erst eine Trennung das Überleben. „Unsere Kundinnen und Kunden und viele unserer Lieferanten haben uns den Weg gezeigt,“ zeigte man sich stolz und reumütig. Der Naturhandel war ja gerade als Widerpart gegen das „ausbeuterische Dumpingsystem“ gegründet und lange Jahre gestärkt worden. Die Bioverbände standen für die Bioläden und Bio-Supermärkte, die sich ihrerseits mit Verbandsware profilierten. Diese innige Beziehung ist längst zerbrochen. Marktkenner zeigen sich überrascht, wie wenig widerständig der Niedergang des Naturkosthandels hingenommen wird. Und sie fürchten, dass der bundesdeutsche Sonderweg eines starken alternativen 100% Biohandels, der europaweit ohne Beispiel ist, leichtfertig aufs Spiel gesetzt wird. Frisst der Erfolg seine Kinder?

Bedenken gegen die einseitige Ausrichtung auf den LEH scheinen eher die Altvorderen zu haben. Für die jungen Biofunktionäre sind die Vorbehalte offensichtlich aus der Zeit gefallen. Der LEH sei im Biobereich anders als im konventionellen Markt und auch anders und viel nachhaltiger als früher, ist ihr Verständnis. Aber hat sich die DNA des Handels wirklich gewandelt?

Noch mehr Biomilch aus dem Ausland?

Erstaunen hat zuletzt Naturland hervorgerufen. Nicht dass man mit Aldi anbändelte – das war nach dem Lidl-Deal von Bioland erwartet worden. Jetzt wurde bekannt, dass Naturland mit der SalzburgMilch, einer der größten österreichischen Molkereien kooperiert. „Unsere Milchpreise sinken, weil der Absatz schwierig ist. Und dann holt man noch mehr Milch aus Österreich. Wie passt das zusammen?“ klagt ein bayerischer Milchbauer. „Im langjährigen Schnitt werden 30% Biomilch importiert. Diese Milch kommt vor allem aus Österreich und Dänemark,“ beschreibt man beim Verband der Milcherzeuger Bayern (VMB) die Situation. Da unser südliches Nachbarland einen Biomilch-Anteil von 20% hat (Deutschland 4,6%) und viel mehr als der Eigenverbrauch erzeugt, wird schon lange exportiert über grenznahe Molkereien. Besonders die Bio-Heumilch kommt zum großen Teil dorther.

Die SalzburgMilch erfasst 300 Mio. kg Milch mit einer Exportquote von 45%, wovon 80% nach Deutschland fließt. Mit 150 Mio. kg Biomilch gehört sie zu den Großen der Biozunft. Der Exportanteil soll weiter steigen, hieß es auf der Biofach. „Nach jahrelangen Verhandlungen haben wir es 2021 geschafft, dass der Bioverband Naturland auch unsere Bauern aufnimmt,“ erklärt Molkereichef Andreas Gasteiger stolz. Der deutsche Handel favorisiert Verbandsware und da kommt ihm die Naturland-Zertifizierung gerade recht. Eine Vermarktung als Handelsmarke mit Naturland-Label, aber auch eine eigene Premiummarke ist sein Ziel.

400 von 1200 seiner Bio-Lieferanten sind von Naturland bereits anerkannt, schreibt top agrar, die restlichen sollen bald folgen. Wenn man bedenkt, dass der Bioverband in Deutschland 1400 Biomilchbauern als Mitglieder zählen soll, bleiben schon Fragen. Man werbe nicht aktiv, sondern reagiere auf Anforderungen von Molkereien, die den deutschen Biomarkt beliefern wollen, wehrt sich Naturland, das bereits seit Jahren Mitglieder in Österreich betreut.

Rewe betont die Priorität von deutscher Biomilch. Aldi erklärt, dass 100% der Frischmilch aus deutschen Landen komme – ausgenommen Spezialitäten. Beim VMB heißt es knapp: „Fakt ist, dass wir zu wenig Biomilch haben.“ Aktuell könne er das kaum nachvollziehen, erklärt dagegen Josef Jacobi. Im vergangenen Jahr seien schon bedeutende Biomilchmengen konventionell vermarktet worden. Auch aus Dänemark und vor allem Frankreich drängt zurzeit verstärkt billige Biomilch herein.

Der Marktbeobachter bedauert, dass die Erfolgsgeschichte des Biomilchmarktes so unter Druck geraten ist. Es spricht vieles dafür, dass die derzeitige Absatzdelle überwunden wird. Doch zunächst zerren Mengenboom, Absatzflaute, nicht kostendeckende und noch fallende Preise an den Nerven der Landwirte und Vermarkter. Zu befürchten ist, dass in dieser Krisenzeit mühsam gewonnene, stabile Systeme verloren gehen. Dazu gehört der Naturkostbereich. Auch der ausgeglichene, freiwillig gesteuerte und nachhaltige Biomilchmarkt droht zu zerfleddern. Sinnvoll wäre es, gemeinsam Gegenmaßnahmen für die Biomolkereien (und den Naturkosthandel) zu initiieren, neue Absatzwege (wie Außer-Haus-Verzehr) und neue Produktionsstränge zu eruieren. Natürlich ist das leichter gesagt als getan. Den Discount/LEH zum wichtigsten Rettungsweg zu erklären könnte aber mittelfristig eine Sackgasse sein. Man kann ja mal die konventionellen Bäuerinnen und Bauern nach ihren Erfahrungen fragen.