Löst der LEH die Bio-Absatzdelle?

Die Bio-Märkte bleiben unter Druck. Gab es jahrelang nur Wachstum zu vermelden, müssen seit dem Ende von Corona ständig Absatzrückgänge erklärt werden. Das lässt die erfolgsverwöhnte Branche nicht kalt. Absatzdelle oder Einbruch, Marktverlagerung, Strukturkrise oder Umstellungsstau. Und dennoch steht man unerschütterlich zu den verkündeten Zielen von 30 Prozent Bio bis 2030? Momentan überwiegen die Unsicherheiten. Dabei reichen die Marktberichte von erheblichen Überschüssen bis zu fehlenden Impulsen, von stabilen, ausgeglichenen Teilmärkten bis zu Marktverlagerungen und Pleiten.

Milchauszahlung sinkt

Mit deutlichen Übermengen hat der Bio-Milchmarkt zu kämpfen. Der Absatz ist rückläufig und die Anlieferung steigt leicht an. In der Folge fällt der Preis nach Bioland-Angaben Monat für Monat, im April um 1,6 Cent auf 58,8 Cent/kg. Überraschender noch ist die große Spreizung zwischen den Molkereien. Zehn Cent Unterschied zwischen der guten und der schlechteren Molkerei gab es vorher nicht. Das erzeugt Unruhe unter den Bio-Erzeugern. Zehn Cent weniger machen bei 50 Kühen etwa 35.000 bis 40.000 Euro im Jahr aus. Zugleich muss man festhalten, dass in den letzten Monaten die Auszahlungspreise immer noch klar über denen des Vorjahrs liegen, wodurch seit letztem Sommer trotz gestiegener Erzeugungskosten im Schnitt ein aktuell besseres Betriebsergebnis erzielt werden konnte. Vollkosten von 60 Cent und mehr können aber nicht gedeckt werden, beeilt sich die Bioland-Fachberatung nachzuschieben. Da die Differenz zum konventionellen Milchpreis aktuell wieder auf 13 Cent angestiegen ist, steht Bio relativ nicht so schlecht da. Aber als Anreiz zur Umstellung reicht das nicht. „Momentan steigen die Mengen durch das gute Grundfutter, nicht durch mehr Betriebe oder mehr Kühe. Wir empfehlen, die Mengen zu drosseln, z.B. durch Einsparung von Kraftfutter, sonst ist der Preis nicht zu halten,“ rät Josef Jacobi, Gründer und Aufsichtsrat der Upländer Bauernmolkerei.

Schweinefleisch stabil, Rindfleisch rutscht ab

Der Bio-Fleischmarkt entwickelt sich zurzeit gegensätzlich. Der Schweinemarkt hat sich nach heftigen Verwerfungen zu Jahresbeginn als Folge der Pleite einer bayerischen Großmetzgerei wieder gefangen. Der Durchschnittspreis liegt stabil bei 4,25 Euro/kg, leicht über dem Vorjahr. Die Nachfrage passt zum Angebot, wobei heimische Verbandsware bei Fleisch favorisiert wird. In Wurstwaren, die zurzeit am besten laufen, aber seltener Verbandsware enthalten, fließen auch oft billigere Importwaren. Hier würde eine klare Herkunftskennzeichnung die Markttransparenz verbessern und den Druck auf den Handel erhöhen.

Dagegen verläuft der Rindfleischmarkt „impulslos“, wie es Marktkenner nennen. Der Absatz von Bullen und Färsen stockt, so dass die Warteliste für Lieferungen immer länger wird. Selbst Rinderhack, das Bio-Spitzenprodukt, schwächelt. Alle Kategorien sind erneut im Preis gesunken, gegenüber der Hochphase im Vorjahr um 50 Cent/kg bei Bullen und 1,20 Euro/kg bei Kühen. Überhaupt orientieren sich die Kuhpreise wieder an der konventionellen Notierung, wovon man sich in den letzten Jahren erfreulicherweise gelöst hatte. Damit dürfte der Preis demnächst eher weiter fallen.

Bio-Kartoffeln – Verlängerung der Saison

„Eine schwierige Saison“ nennt Josephine Hardt, Geschäftsführerin des Bio-Kartoffel-Erzeugervereins (BKE), das abgelaufene Kartoffeljahr. Im Jahr 2022 sanken die Einkäufe privater Haushalte um 14 Prozent und auch im ersten Quartal 2023 war es nicht besser. Andererseits wurden 50 Prozent mehr Kartoffeln abgesetzt als im Vor-Corona-Jahr 2019. Vor allem in Niedersachsen, dem stärkstem Bio-Kartoffelland, liegt noch genügend Ware. In anderen Landesteilen sind die Übermengen verhaltener. Lagerdruck für die neue Ernte und zunehmende Qualitätsprobleme (Hitze/Trockenheit in 2022) der alterntigen Ware sorgen für neue Herausforderungen. Da muss auch kräftig absortiert werden. Als hilfreich stellen sich die stabilen und langjährigen Beziehungen zum Handel heraus. Damit kann mit den meisten Einzelhändlern eine ganzjährige Belieferung erreicht werden, so dass die neue (Frühkartoffel-)Ernte wohl lückenlos angeschlossen werden kann. „Eine ständige Erhöhung der Professionalität der Betriebe (Kühllager usw.)“ sei für die Verlängerung der Verkaufssaison verantwortlich, so Hardt, aber auch, dass die ganze Kette mitspiele. Immerhin läuft ca. 70 Prozent der gesamten Ernte über den Einzelhandel, davon mehr als 60 Prozent beim Discount. Inzwischen spielen Frühimporte aus Ägypten, Israel oder Spanien anders als früher keine große Rolle mehr. Trotz aller Absatzförderangebote und Preiseinstiege (es gibt nur Handelsmarken) konnte der Erzeugerpreis von gut 50 Euro (netto, franko Packbetrieb) stabil gehalten werden, wobei der Abstand zur konventionellen Ware geschrumpft ist. Für dieses Jahr erwartet Hardt konstante Anbauflächen. Sorgen bereitet den Bio-Kartoffelerzeugern der Streit unter den Verbänden. So erfreulich es sei, dass Aldi sich mit dem Naturland-Deal (wie zuvor Lidl mit Bioland) auf Verbandsware festlege, führe es aktuell zu Verärgerungen. Denn im Bio-Kartoffelmarkt ist Bioland bisher weit führend und Aldi das Zugpferd Nummer eins. Wenn jetzt Aldi Naturland-Ware listen will, wirbelt das den Markt gehörig durcheinander. Kompromisse wie eine Rezertifizierung wurden von Naturland abgelehnt, eine Doppelmitgliedschaft von den Erzeugern zurückgewiesen wegen der doppelten Mitgliedsbeiträge von einigen tausend Euro. Nun hat man eine sechsmonatige Pausentaste gedrückt, aber die Lieferungen müssen ja weitergehen.

Der LEH als Schlüssel zum Erfolg?

Ein ähnlicher Konflikt spielt sich auch in Bayern ab. Naturland hat mehrere Hundert Biobetriebe aus Österreich zertifiziert – wie Brancheninsider vermuten, auch, um Aldi mit Naturland-Milch zu beliefern. Damit drücken noch mehr Übermengen auf einen deutschen Markt, der schon überversorgt ist, und verdrängen heimische Milch anderer Verbände. Überhaupt haben sich die Verbandsakteure auf den Einzelhandel als den entscheidenden Markt für Bio eingerichtet. „Dort liegt der Schlüssel zum weiteren Erfolg“, verkündeten mehrere Verbandsfunktionäre auf der BioFach und bejubeln ihre Erfolge bei Verträgen mit dem Einzelhandel, aber die Preisverhandlungen werden härter, sagen selbst Bio- Präsidenten. Der biospezifische Kuschelkurs dürfte zu Ende gehen.

Naturkosthandel noch nicht erholt

Der Naturkosthandel verliert auch dieses Jahr wieder an Umsatz und, so fürchten Kritiker, könnte zur Restgröße für Direktvermarkter und Regionalbewegte werden. Jetzt kommt es auf die Entwicklung des Großhandels an. Dazu hat auch beigetragen, dass mit Basic ein großer Bio-Player insolvent ging und an Tegut verkauft wurde. Rapunzel und Zwergenwiese, ausgewiesene Bio-Pioniere, opfern wie viele andere vor ihnen ihre strikte Fachhandelstreue. Ebenso versuchen bekannte Bio-Namen wie Bio- Puten Fahrenzhausen oder Chiemgauer Naturfleisch ihr Glück im LEH. Das klingt fast wie ein Abgesang auf den Naturkostbereich. Auch andere Fachhandelsmarken könnten bei Tegut folgen, heißt es in der Szene. Man vertrete gemeinsame Werte und wolle bekannter werden. Das hat sich lange Zeit anders angehört. Aber andere Zeiten verlangen wohl andere Sitten.

07.06.2023
Von: Hugo Gödde, Marktbeobachter