Turbulenzen auf fast allen Märkten – aber diesmal andersherum

Marktbeobachtungen von Hugo Gödde

Die Aufregungen auf den Märkten hören nicht auf. Das Milchmarktbarometer dreht gerade von Sonne auf Gewitter. Nach dem Rekordhoch im letzten Jahr stürzt die Milch seit Neujahr geradezu ab. Von 60 ct/kg im November über 56 im Januar auf vielleicht noch 53 Cent im Februar. Tendenz stark fallend. Auch bei den Getreidepreisen dreht sich die Preisspirale weiter abwärts und liegt bereits auf Vorkriegsniveau. Ausgelöst vom Preisdruck durch reichlich russischen Weizen wird der relativ teure deutsche Weizen kaum verkauft. Wenn der Ukraine-Korridor durch das Schwarze Meer über Mitte März weiterläuft, dürfte sich der Preis vorerst nicht erholen. Verkehrte Welt. Im Sommer hat man noch das Abkommen herbeigesehnt. Die EU hat die Stilllegung ausgesetzt, um den Hunger in der Welt nicht zu vergrößern. Nun schreibt ein Branchenkommentator: „Unbestritten: Getreide aus den Schwarzmeerraum macht EU-Exporteuren das Leben am Weltmarkt wirklich schwer.“ Hofft man etwa, dass Putin den Getreidehandel verknappt?

Statt über 40 €/dt wie im Mai wird derzeit etwa 25-27 € für Weizen und 24-26 € für Futtergerste erzielt. Die Getreidebauern werden im laufenden Wirtschaftsjahr dennoch eine glänzende Bilanz hinlegen. Die Tierhalter sehen es wohl anders. Teure Futtermittel bedeuten hohe Kosten, die sie erst erlösen müssen.

Auch der Düngermittelmarkt hat sich völlig gedreht. Die Düngerpreise setzen ihren Abwärtstrend verstärkt fort und beenden sturzartig die Hochpreisphase aus 2022, als Kalkammonsalpeter (KAS), der wichtigste Stickstoffdünger, auf zeitweise über 900 €/t stieg. Aktuell liegt er bei 400 €/t statt bei 600 € wie noch Anfang des Jahres. Auch Harnstoff erzielt das niedrigste Niveau seit 18 Monaten. Trotzdem berichten Händler von großem Angebot und geringem Kaufinteresse der Landwirte. Man wartet ab.

Schweinemarkt im Aufwind

Entgegengesetzt gedreht hat sich der Schweinemarkt. Dreißig desolate Monate (seit der Corona- und anschließend der ASP-Krise in 2020) dauerte die Krise. Fast zwanzig Prozent der Betriebe gaben auf, die Tierzahl sank von 26 Mio. auf 21,3 Mio. Schweine. Ein marktbedingter Strukturbruch historischen Ausmaßes und die Politik schaut zu.(Nebenbei: 1986 gab es in der Bundesrepublik mit 24 Mio. mehr Schweine als heute in Gesamtdeutschland, in der DDR damals 12 Mio.!).

Nun scheint der Markt zu kippen. Plötzlich ist er mindestens regional nur noch „knapp versorgt“ und Ferkel fehlen überall. Der Preis springt auf ein neues Allzeithoch von 2,28 €/kg, innerhalb von 4 Wochen um 15%. Die Ferkel kosten laut Notierung 80 Euro, aber fast überall (besonders im Süden) werden Aufpreise bis zu 15 € gezahlt, um überhaupt Tiere zu bekommen. Nun sorgen sich die Beteiligten, ob die Versorgung mit deutschem Schweinefleisch gewährleistet ist oder ob man sich im Ausland bedienen soll. Da Dänemark und das neue Spitzenproduktionsland Spanien eher mit Überschüssen zu kämpfen haben, weil die Ausfuhren in Drittländer eingebrochen sind, drängen sie auf den deutschen Markt. In 2022 sind die Schweinefleischexporte der EU-Länder um 15% gesunken, nach China um 40%.

Im Ergebnis ist das Angebot an deutschem Schweinefleisch „nicht zu reichlich“, wie es im Fachjargon heißt. Zurzeit werden etwa 700.000 Schweine pro Woche geschlachtet. In der Hochzeit vor 6 bis 7 Jahren waren es 1 Mio. Schweine.

Finden die teureren Schweine demnächst ihren Käufer?

Der resultierende Preisanstieg kann aber nur mit Kampf weitergegeben werden, da der Handel – wen wundert’s? - zunehmenden Widerstand gegen höhere Teilstückpreise leistet oder sich wie die verarbeitende Industrie gern mit ausländischer Ware versorgt. Das angekündigte Versprechen auf deutsche Produkte („5xD“) zu setzen, haben diverse Einzelhändler wohl vergessen, und die Fleisch- und Wurstindustrie hat es erst gar nicht gemacht. Gelinkt fühlen sich die Handelskonzerne (z.B. Aldi, Kaufland, wie es heißt), die sich weiterhin an ihre Absprachen halten. Die Verhandlungen um ein klares Einvernehmen für heimisches Fleisch sind auch in der ZKHL (Zentrale Koordination Handel-Landwirtschaft) ins Stocken geraten. Manche Teilnehmer raten wegen Erfolglosigkeit einen Ausstieg aus der „Koordination“ an. Und die Herkunftskennzeichnung vom Bund und EU ist erst einmal verschoben worden.

Endlich rechnet sich die Ferkelerzeugung und die Mast für die Landwirte wieder. Aber für die Verbraucher bedeutet das zugleich deutlich höhere Fleischpreise, die die Kaufzurückhaltung weiter verstärken. Man greift (wieder?) zu Billigangeboten, nachdem das Ansehen von Billigfleisch in den letzten Jahren stark gelitten hatte. Der Verzehr von Schweinefleisch ist im letzten Jahr um 10%, Wurstwaren um 6% gesunken und wird wohl weiter zurückgehen. Für die Schweinehalter stellt sich die Frage, ob der Absatz zu den „neuen“ Preisen stabil bleibt. Manche Mäster halten sich bei der Aufstallung zurück, weil sie fürchten, den erhöhten Ferkelpreis im Sommer nicht honoriert zu bekommen.

Fleischwirtschaft im Umbruch

Unstrittig ist, dass die Tierhaltung ab- bzw. umgebaut werden wird. Aber auch der Umbau der Fleischindustrie ist folgerichtig und zwingend. Weniger Schweine heißt weniger Schlachtungen, geringere Kapazitätsauslastung und erhöhte Kosten. Gerade der Coronakrise entgangen, noch mitten in der ASP-Exportkrise steckt man in der nächsten Branchenkrise, wie Marktführer Tönnies analysiert. Um die Kostenführerschaft zu verteidigen, schreibt die Lebensmittelzeitung (LZ), habe der Konzern im letzten Jahr 1500 Mitarbeiter weniger beschäftigt, am Standort Weißenfels auf 1-Schicht- Betrieb umgestellt und auch andernorts sich dem Absatz angepasst. Mit verstärkter Automatisierung will man sich den steigenden Personalkosten (Mindestlohn) und der Personalnot stellen. Für Konkurrent Danish Crown (Nr. 4 in Deutschland, aber quasi Monopolist in Dänemark) hat sich seit 2021 „die Wirklichkeit radikal verändert“. Die hohe Abhängigkeit vom schwachen China-Export und von der sinkenden Nachfrage führe dazu, jährlich Ausgaben von 50 Mio. € einzusparen, die Zerlegung in Boizenburg (MeckPom) zu schließen und die Schlachtkapazitäten in Essen/Oldenburg um 40% zu senken.

Der Genossenschaftskonzern Westfleisch gibt sich zuversichtlich, was den Umbau betrifft. Vorläufigen Zahlen zufolge kehrt das Unternehmen nach einem Verlust-Jahr nun wieder in die Gewinnzone zurück. Zugleich bleibt unerklärlich, warum man angesichts der sinkenden Zahlen den Schlachthofausbau in Coesfeld und in Hamm so drastisch erhöhen will.

Wurstbranche vor Umwälzungen

Das starke Schrumpfen trifft besonders die verarbeitende Fleischindustrie. Seit einigen Jahren weisen renommierte Unternehmensberater darauf hin, dass die eher mittelständischen Unternehmen sich neu organisieren müssten. In den nächsten 12 bis 14 Monaten werde hier etwas passieren, heißt es. Auch Hans E. Reinert, Chef der nach der Fusion mit Kemper (Umsatz ca. 700 Mio.€) zweitgrößten Wurstfabrik InFamilyFoods Holding erwartet, dass in den nächsten zwei Jahren „sich viel sortieren wird.“ Reinert setzt für die Zukunft auf die drei Säulen Fleischprodukte, Fleischersatz und Laborfleisch, ohne zu wissen, „wie das ganze ausgeht.“ Der pflanzliche Bereich werde weiter wachsen, auch wenn Pioniere wie Beyond Meat schwächeln und Millionengräber sind. Aber viele große Konzerne und Mittelständler erhoffen vom Fleischersatz die Rettung, wohl auch weil die Margen in diesem Segment (noch) exorbitant hoch sind. Ersatz-Burger oder -Bratwürste sind deutlich kostengünstiger herzustellen, aber ungleich teurer in der veganen Theke. „Wenn ihr mich unbedingt reich machen wollt,“ so äußerte unlängst ein Fleischkonzernlenker augenzwinkernd, „dann esst meine Ersatzprodukte statt Fleischwaren.“

Aldi mischt die Branche auf

Reinert hat sich gerade - der neuen Strategie folgend - von seiner (Haltungsform 4-)Premiummarke „Herzenssache“ getrennt. Denn die Lehren der gegenwärtigen Krise sind unausgesprochen, dass teure Tierwohlprodukte auf dem Markt keine größere Zukunft haben. Der Absatz gehe zurück, billige Handelsmarken machen das Rennen und die Politik der Bundesregierung verzettele sich im Gestrüpp von Ideen, Zielen und handwerklichen Fehlkonstruktionen.

In der aktuellen angespannten Preissituation fordern die Hersteller Preiserhöhungen und die Öffnung der bestehenden Kontrakte (wie es der Handel im Milchsektor betreibt). Die Lage sei nun „mega-ernst“. Es gehe um Millionenverluste. Der Kampf ist voll entbrannt, wie man aus der Branche hört. Einige Hersteller hätten bereits Lieferstopps angekündigt, wogegen Händler mit Auslistungen gedroht hätten.

In dieser Phase hat die Ankündigung von Aldi Nord und Süd, ihre Wursteigenmarken bis 2030 vollständig auf die Haltungsform 3 und 4 umzustellen, hohe Wogen geschlagen. Manche halten das für einen folgerichtigen Schritt, nachdem man schon beim Frischfleisch die gleichen Ziele dargelegt habe. Damit steige die Verwertung des ganzen Tieres, was die Preise für das Frischfleisch senke. Trotzdem ist eine Verteuerung der Produkte nicht zu verhindern, außer der Staat zahlen die zusätzlichen Aufwendungen der höheren Stufen. In der Branche gehen die Reaktionen weit auseinander. Die einen halten Aldis Weg für langfristig richtig und ein klares Signal an Landwirtschaft und Industrie. Ein Vertriebschef eines größeren Produzenten hingegen nennt die Mitteilung laut Lebensmittelzeitung (LZ) den „schwärzeste Tag in meinem Berufsleben. Schließlich sind wir nicht in einem wachsenden Markt unterwegs.“

Alle sind sich inzwischen einig: Aldi meint es ernst. Aber anders als bei der Ankündigung des „Haltungsversprechens“ für Frischfleisch im letzten Sommer hat nun kein Konkurrent sofort nachgezogen. Lidl setzt eher auf weniger Fleisch statt auf mehr Tierwohl. Und es gilt als unmöglich, dass Aldi allein den Umbau über den Marktpreis schaffen könnte. Aldi fordert auch – ungewöhnlich genug – die Konkurrenz auf mitzumachen. Von der Regierung erwarte man, das Baurecht und die Förderbedingungen anzupassen. Damit geht Aldi „volles Risiko“, wie die LZ kommentiert. Der Discounter könnte die immer wieder betonte Preisführerschaft verlieren.
Immerhin, so berichten Insider, will Aldi Süd kurzfristig sein gesamtes Wurstsortiment der Stufe 3 auf Stufe 4 (Bio) umstellen.

Der Marktbeobachter stellt mit großem Erstaunen fest, dass ausgerechnet ein Bündnis von Özdemir und Aldi das Tierwohl retten soll, ausgerechnet die Grünen und ihr jahrelanges Hassobjekt, der Discountführer. Aber vielleicht ist das schon der Beginn der neuen Zeit des Umbaus der Tierhaltung und einer wunderbaren Freundschaft.