Marktbeobachtungen von Hugo Gödde --- Die Inflation geht langsam zurück, ist aber immer noch auf Rekordwert. Im Mai sank die Teuerungsrate mit 6,1% auf den niedrigsten Stand seit mehr als einem Jahr, bleibt aber immer noch zu hoch, um einen Verlust des Realeinkommens auszugleichen. Vor allem die Lebensmittelpreise bewegen sich trotz leichtem Rückgang mit knapp 15% im Spitzenbereich. Im Vergleich zu vor zwei Jahren errechnet sich für sie im Schnitt eine Verteuerung von sage und schreibe 28%.
Die Weltmarktpreise für Agrarprodukte sind laut den Vereinten Nationen (FAO) schon wieder auf das Niveau von vor zwei Jahren gefallen, nachdem im März 2022 nach dem Überfall Russlands ein Rekordwert berechnet worden war. Pflanzenöle, Getreide- und Milchpreise hätten global erneut nachgegeben, Fleischpreise seien relativ stabil. Der Zuckerpreisindex sei dagegen um 33% über dem Vorjahresmonat und würde weiter steigen. Verursacht sei dies durch die knappe weltweite Versorgung und vor allem durch Spekulationen über Ertragseinbußen bei der nächsten Zuckerrohrernte durch das Wetterphänomen El Nino, erklärte die FAO.
Nebenbei: Zuckerkonzerne als Krisengewinner
Gut für die deutschen Zuckerkonzerne. Nordzucker, Europas zweitgrößter Zuckerproduzent (2,3 Mrd. € Umsatz) konnte im letzten Jahr seinen Gewinn auf 181 Mio. Euro mehr als verdoppeln. Vorstandschef Lars Gorissen zeigte sich bei der Bilanzvorstellung stolz auf das Gesamtergebnis - vor allem mit Blick auf Energiekrise, Inflation und Lieferkettenprobleme. Ihm zufolge konnte Nordzucker die Produktionskosten durch ein höheres Zuckerpreis-Niveau mehr als ausgleichen.
Auch die Südzucker AG gehört eindeutig zu den Krisengewinnern. Mit 529 Mio. € Gewinn in 2022/23 konnte der Multi- Konzern nach mehreren verlustreichen Jahren sein Ergebnis vervierfachen. Der Umsatz im Segment Zucker stieg im Geschäftsjahr 2022/23 deutlich auf 3,2 Mrd. Euro. Positiv wirkten die seit Oktober 2021 gestiegenen Zuckererlöse; zu Beginn des neuen Zuckerwirtschaftsjahres 2022/23 im Oktober 2022 konnten die Zuckerpreise nochmals erhöht werden, vermeldet der Konzern. Trotz eines rückläufigen Absatzes lagen die Umsatzerlöse insgesamt deutlich über Vorjahr und allein der Zuckergewinn bei 230 Mio. €. Auch für das laufende Jahr erwarten Südzucker (ähnlich wie sein norddeutscher Konkurrent) wieder sehr gute und steigende Ergebnisse. Die Bayern prognostizieren ein Umsatzwachstum von 10% und einen Gewinnanstieg von 10 bis 20%. Die Sparte Zucker soll etwa 400 bis 500 Mio. operativ erwirtschaften.
Erzeugerpreise von gut bis stark rückläufig
Die Erzeugerpreise entwickelten sich in den letzten Monaten unterschiedlich, können aber insgesamt nicht als Ursache der hohen Verteuerung der Lebensmittel erklärt werden. Der Milchpreis lag im April mit 45 Ct/kg um 2 Cent unter dem Vorjahresmonat. Weizen, Gerste und Körnermais lagen im Mai 2022 um die 350 €/Tonne, heute bewegen sie sich zwischen 200 und 220 Euro. Der Rapspreis (für Öl, Futter und Benzinbeimischung) halbierte sich in dieser Zeit. Rindfleisch liegt knapp unter Vorjahr, ebenso der Hähnchenpreis – Putenfleisch und Kartoffeln sind dagegen stärker gestiegen.
Einzig das Schweinefleisch ist nach ruinösen Preisen in 2020 und 2021 deutlich um 20% angezogen. Erfreulicherweise wurden auch die Ferkelpreise kräftig erhöht. Hier macht sich der Ausstieg vieler Sauenhalter in den letzten Jahren bemerkbar. Endlich schreiben die Ferkelerzeuger mal schwarze Zahlen, da Ferkel gesucht sind. Aber der Abbau der Sauenzahlen führt zu weiteren Importen von Ferkeln aus den Nachbarländern. Branchenkenner sprechen von gut 20% aus dem Ausland – alle ohne Ringelschwanz. Das wird noch ein Riesenthema für die nächsten Jahre.
Auch „Gier“ treibt die Inflation
In der Branche ist eine Diskussion entbrannt, wer die Inflation zu „Zusatzgewinnen“ nutzt. „Manche Preissteigerungen bei Lebensmitteln sind weder gerechtfertigt noch nachvollziehbar,“ heißt es bei den Verbraucherzentralen. Eine Analyse des Kreditversicherers Allianz Trade kommt zu dem Ergebnis, dass der Anstieg häufig nicht mit Rohstoff- oder Energiepreisen erklärt werden könne. „Gierflation“ nennt es der Allianz-Experte, die besonders in Deutschland die Teuerung anschwellen lasse. Auch andere Untersuchungen belegen, dass weniger die inländischen Hersteller als besonders die internationalen Industriekonzerne die Gelegenheit nutzen wollen, die im discountbestimmten Deutschland traditionell geringen Margen aufzubessern. Sie gehen auch scharfe Konflikte mit dem Handel ein (bis zu Auslistungen und Lieferboykotts), zumal für Nestlé, Unilever, Coca Cola, Mars und Co. der deutsche Markt keine überragende Bedeutung hat.
Preistreiberei im Handel?
Der durch zwei Coronajahre erfolgsverwöhnte Lebensmitteleinzelhandel (LEH) gerät in eine Defensive. Edeka und Rewe gerieren sich gern als Verteidiger der Verbraucherinteressen und Aldi und Lidl kämpfen um ihr Billigpreisimage. Mit unterschiedlichen Strategien versuchen sie dem Trend entgegenzuwirken. Der Anteil der Aktionsware mit hohen Rabatten steigt kontinuierlich, billige Preiseinstiegsprodukte werden erweitert und die Eigenmarken auf Kosten der Herstellermarken gepuscht. Laut Lebensmittelzeitung wird fast ein Viertel der Einkäufe mit Aktionsprodukten getätigt. Aktionen entscheiden über den Absatzerfolg. Die Folge sind hohe Preisunterschiede in den Geschäften, wie die Verbraucherzentrale NRW nach umfangreichen Testkäufen ermittelt hat. Manche Händler „nutzen die Spielräume schamlos aus und nehmen das Dreifache oder Vierfache, um Kasse zu machen,“ lautet ihr Fazit. Es bestehe der Verdacht der ungerechtfertigten Gewinnmitnahme. Früher habe der Handel die Preise gedrückt, jetzt scheine er die Krisensituation auszunutzen. Ein Marktcheck sei aber „ein stumpfes Schwert“, gefordert wird eine staatliche Transparenzstelle, um den Druck auf die Branche zu erhöhen.
Der Handel wehrt sich gegen die Vorwürfe, indem er immer wieder mit großem Trara einzelne Preise senkt, wie aktuell diverse Milchprodukte. Andererseits fürchtet er Absatzeinbußen. Nach Berechnungen von Marktkennern steigt zwar der Umsatz preisbedingt um 10%, aber unter dem Strich verringert sich der Absatz und wohl auch der Gewinn z.B. bei Aldi-Nord oder einzelnen Edeka-Regionen.
Preiskämpfe jetzt auch am Biomarkt
Lange Zeit war der Biomarkt von den Preisgefechten mit Aldi, Lidl, Edeka & Co. verschont geblieben. Es gab ein „relativ konfliktarmes“ Nebeneinander mit dem Naturkosthandel. Das hat sich geändert. Die Umsatzverschiebung vom Bio-Fachhandel in den konventionellen Handel beschleunigt sich. Vor allem Discounter und Drogerien ziehen gezielt über den Preis immer mehr Kunden an.
Die Billiganbieter verzeichnen weiterhin einen Umsatzschub. Laut Marktdaten haben im ersten Quartal 2023 die Drogerien um rund 8 Prozent und die Discounter um mehr als 10 Prozent im Biosegment zugelegt. Der LEH insgesamt hat ein Bio-Umsatzplus von 5 Prozent erzielt. Der Fachhandel muss dem Vernehmen nach im ersten Quartal wieder Umsatzrückgänge von bis zu acht Prozent hinnehmen. Damit fiel das Minus allerdings geringer aus als 2022.
Der Wechsel weg vom Fachmarkt geht über den Preis. Aldi und dm ringen um die Preisführerschaft bei Bio und der konventionelle Handel wächst vor allem über Eigenmarken wie Edeka-Bio, Rewe Bio oder Lidl-Bio. Aldi-Süd startet gerade eine weitere Eigenmarke „Nur Nur Natur“ für Produkte von Naturland. Die Bio-Labels kamen laut Konsumforscher im März auf einen Anteil von 54 Prozent. Zuletzt warb Aldi Süd auf zwei Seiten im Handzettel mit bis zu 35 Prozent Rabatt auf die Preiseinstiegsmarke „Gut Bio“. Edeka informierte mit einem „Preissturz von minus 23 Prozent“ auf Bio-Milch.
Auch der Fachhändler Denns verstärkt Aktionen und bewirbt Einzelartikel mit bis zu 40 Prozent Abschlag. Alnatura will keine ständig wechselnden Aktionspreise, sondern dauerhaft konkurrenzfähige Preise zum konventionellen Wettbewerb. Ob das ein Vorteil für die Lieferanten und Bio-Landwirte ist?
Billig-Bio gegen Absatzdelle?
Billig-Bio mag den Absatzmarkt erweitern, aber schwächt natürlich systematisch den Fachhandel, der preislich nicht gegenhalten kann. Deren Stärken sind hohe Glaubwürdigkeit durch 100% Bio, besserer Service, Nähe zu den Erzeugern, durchgängigere Nachhaltigkeit. Auch wenn der Fachhandel sich bemüht, diese Vorteile offensiver zu vertreten, ist er chancenlos, wenn der Preis das wichtigste Kaufargument ist.
Gegenwärtig lassen sich die Bio-Verbandsfunktionäre feiern, weil sie mit Aldi, Lidl, Edeka und den anderen Handelskonzernen spezielle (exklusive?) Verträge ausgehandelt haben. Eine Stabilisierung auch von (besseren als EU- Bio) Preisen soll damit erzielt werden.
Der Marktbeobachter fürchtet, dass es ein Pyrrhussieg sein könnte. Der verstärkte Einsatz von Bioland- oder Naturlandprodukten mag dem Absatz der Branche in schwierigen Zeiten dienlich sein, stellt aber das Verbands-Ego in den Vordergrund. Vor allem könnte es ein weiterer Sargnagel für den Naturkostbereich sein. Und ob das im Interesse der Bio-Erzeuger und ihrer Einkommen ist, wird sich noch herausstellen. Die Ausbreitung von Billig-Bio ist es mit Sicherheit nicht.