BayWa: inkompetent und im Blindflug

Marktbeobachtungen von Hugo Gödde +++ Ein großmannssüchtiger Vorstand, ein inkompetenter Aufsichtsrat, ein desolates Kontrollsystem und ein chaotisches Finanzierungsmanagement sind die Zutaten für die Beinahe-Pleite des ehemals grundsoliden und erfolgreichen bayerischen Agrarhandelskonzerns BayWa. Das ist das Ergebnis des Sanierungsgutachtens der Unternehmensberatung Roland Berger, das jetzt von der „Agrarzeitung“ (az) und vom Bayerischen Rundfunk in Auszügen öffentlich wurde. Zu Beginn der Krise war der Konzern im Blindflug, stellt demnach das Gutachten fest. Dem Sanierungskonzept haben die Gläubiger und das Amtsgericht im Mai zugestimmt, sonst wäre die Zahlungsunfähigkeit der BayWa nur noch eine Frage von Wochen gewesen. So hat man einen Plan bis 2028 und sich Zeit verschafft.

Kollektives Versagen

Das Gutachten hat aber nicht nur einen Bericht für die Sanierung und Umstrukturierung geliefert, sondern auch die strukturellen Ursachen analysiert, wie es zur Krise kommen konnte. Auf dieser Grundlage kann man nur zu dem Ergebnis kommen, dass ein kollektives Versagen auf nahezu allen Ebenen vorliegt – von der Unternehmensführung über die organisatorische Transparenz und das Finanzmanagement bis zur Kontrolle durch den Aufsichtsrat. Man fragt sich, wie ein sich internationalisierender Konzern mit über 20 Mrd. Euro Umsatz so dilettantisch geführt werden konnte.

Inkompetenz des Aufsichtsrates

Im Gutachten wird der BayWa-Aufsichtsrat, der eigentlich die Unternehmensführung und strategische Entscheidungen kontrollieren soll, als Teil des Problems dargestellt. Dem Aufsichtsrat wird eine „unzureichende Erfahrung in Bezug auf Transformation, finanzielle Sanierung und heterogene Branchenherausforderungen“ vorgeworfen. Was gefehlt habe - und laut az offensichtlich noch immer fehle - seien „Sanierungs- und Branchenkenntnisse“. Er habe auch heute eine geringe Restrukturierungsexpertise. Fehlende Kompetenz in Verbindung mit einem unerschütterlichen Urvertrauen zum Vorstand des „Sonnenkönigs“ Prof. Lutz habe die Strukturkrise nicht erkennen lassen. In der Zusammensetzung des Aufsichtsrats wird ein deutliches „Verbesserungspotenzial“ erkannt. Dem jetzigen Gremium gehören 16 Personen an, darunter DBV-Präsident Rukwied und die CSU-Europaabgeordnete und Strauß-Tochter Monika Hohlmeier, aber auch Bänker, Gewerkschaftler, Unternehmensberater usw.

Intransparente Finanzierungsstruktur

Ein Grund für die Probleme der BayWa, so das Gutachten, sei eine „komplexe Finanzierungsstruktur mit unzureichender Steuerung der Fälligkeiten und hohem Anteil zentraler Finanzierung für den operativen Bedarf der Segmente“ gewesen. Dazu sei ein „rascher Zinsanstieg seit 2021, gepaart mit hoher Verschuldung“ gekommen. Den habe man offenbar nicht kommen sehen. Da aber das rasante Wachstum in den letzten Jahren bewusst komplett fremdfinanziert wurde, wäre natürlich ein „der Komplexität angemessenes“ Liquiditätsmanagement notwendig gewesen. Dafür gab es weder ein ausreichendes Knowhow noch eine unternehmensweite „Sensibilisierung“. Die Finanzierung ist der Führung einfach über den Kopf gewachsen. Das Gutachten kommt zu dem Schluss, dass ein Mangel an stringenten Kontrollsystemen, an kaufmännischer Transparenz und ein unzureichendes Modell für das operative Geschäft der Holding wesentliche Ursachen der Krise seien.

Oder wie es der mittlerweile für die Sanierung zuständige Vorstand Michael Baur ausdrückt: „Es gab keine ausreichenden Kontrollsysteme.“ Defizitäre Tochterunternehmen und kurzfristige Kreditverpflichtungen hätten die Situation dann noch weiter verschärft.

Kurz gesagt: alles brach in kurzer Zeit über dem Unternehmen zusammen. „Sie waren komplett überdreht und überfordert,“ wie es ein Insider ausdrückte. Die Schulden türmten sich auf 5 Mrd. Euro und ohne Zusatzkredite der Banken wäre eine Insolvenz unausweichlich gewesen.

Der Fisch stinkt vom Kopf her

Um es in der Gutachtersprache zusammenzufassen, wird bei der Unternehmensführung laut AZ beklagt: „Mangel an stringenter Governance: Verbesserungspotenzial bei der Zusammensetzung des Aufsichtsrats, bei Managemententscheidungen (z.B. unzureichende Steuerung der Fremdfinanzierung) und bei lokalen Governance-Systemen. Begrenzte finanzielle Transparenz in den Bereichen Treasury, Controlling und Portfoliomanagement, unzureichendes Holding-Modell und historisch gewachsener Overhead mit hoher operativer Involvierung.“ Anders ausgedrückt: Die Führung lebte im Wachstumswahn ohne Netz und doppeltem Boden, ohne Durchblick der Rentabilität der diversen Konzernteile und ohne Finanzkontrolle, aber mit Wasserkopf in der Verwaltung.

Gewaltige Hypothek

Die Analyse ist erschütternd und ein Sanierungsplan bis 2028 liegt vor. Bis dahin sollen schwarze Zahlen geschrieben werden. Die (Genossenschafts-) Banken haben kräftig in ihre Kreditkasse gegriffen. Mitarbeiter werden in großer Zahl entlassen und Unternehmensteile sollen schuldenentlastend verkauft werden. Ob das immer gelingt, wird sich zeigen.

Aber die Hypothek ist gewaltig. Das Minus in 2024 soll 1,2 Mrd. Euro betragen, nochmals größer als angenommen. Demnach rutschte die BayWa wegen zusätzlicher Wertberichtigungen bei der Erneuerbare-Energien-Tochter tiefer in die roten Zahlen. Auch seien die Zinskosten höher als erwartet. Die Sanierer rechnen jetzt damit, dass man in 2024 mehr als 410 Millionen Euro Zinsen an Banken und sonstige Gläubiger zahlen musste. 2025 weiten sich die Verluste voraussichtlich weiter aus. Sie sind bei der Sanierung einkalkuliert, heißt es in BayWa-Kreisen. Ab 2026 sollen sie „zurückgehen“.

Der Marktbeobachter ist erschüttert, wie man einen solchen Konzern mit seiner 100-jährigen Tradition und solchen enormen Wachstumssprüngen so schlecht führen kann. Es ist doch eine Binsenweisheit, dass man einen Regionalligisten nicht einfach in die Bundesliga versetzen kann. Preußen Münster wird nicht über Nacht zu Borussia Dortmund und Kickers Offenbach nicht zu Eintracht Frankfurt. Größenwahn gepaart mit Inkompetenz und Intransparenz – und der Aufsichtsrat schaut zu. Er ist Teil des Problems und bisher in der Versenkung verschwunden. Das lässt nichts Gutes erhoffen. Analysten fragen kopfschüttelnd nach der Qualifikation und Expertise der Verantwortlichen. Runderneuert muss er die Umsetzung der Sanierung kontrollieren.

Mit dem Sanierungsplan hat man Zeit gewonnen, aber viele Risiken sind nur aufgeschoben. Auch ein guter Plan muss sich in der Wirklichkeit bewähren.