Marktbeobachtungen von Hugo Gödde +++ Die Differenzierung des Rindfleischmarktes schreitet schnell voran. Ab dieser Woche findet erstmals auch eine eigene Notierung für Kühe und Jungbullen mit Außenklima-Haltung (HF3) statt. Zwar ist die Differenzierung noch wenig ambitioniert. Für Bullen werden 0,25 €/kg und für Kühe 0,15 €/kg zusätzlich ausgewiesen. Das ist noch das alte Denken der Notierung plus Aufpreis, nur jetzt nicht als privater Aufschlag eines Abnehmers, sondern im Rahmen einer allgemeinen Preisempfehlung der Vereinigung der Erzeugergemeinschaften (VEZG). Dennoch ist ein Anfang gemacht, damit bald ein Preis unabhängig vom Standardpreis entstehen kann.
Rinderhalter noch nicht richtig im Bilde
Viele Rinderhalter hat aber das dynamische Wachstum des Tierwohl-Marktes überrascht. Noch vor wenigen Monaten hieß es in nahezu allen Fachzeitschriften, dass höhere Tierwohlstufen vom Endverbraucher nicht honoriert würden und die Abnehmer aus dem Einzelhandel mit ITW-Stufe 2 (etwas mehr Platz im Stall) zufrieden wären. Und Bauern bräuchten sich nicht sehr umzustellen. Außerdem war der Aufpreis von ca. 12 ct/kg für Bullen und 5 ct/kg für Milchkühe äußerst unlukrativ.
Der Markt hat sich fast komplett gedreht. HF3-Tiere, ob männlich oder weiblich, werden händeringend von den Schlachthöfen gesucht. Inzwischen liegt der Preis bei 15 ct/kg für Fleisch von Milchkühen. Aber eine große Zahl von Milchviehhaltern haben die Entwicklung noch nicht nachvollzogen. Sie verzichten bei Kühen dieser Stufe auf locker 50 € pro Tier, stellt auch Westfleisch-Vorstand Johannes Steinhoff fest. Die Ursache ist in der Regel, dass sie einzeln von Abnehmern oder Viehhändlern angesprochen werden und/oder gar nicht wissen, wie sich die Marktsituation verändert hat. Auch Rinder-Erzeugergemeinschaften bzw. Händler, oft Verkaufspartner für Schlachtkühe, stellen sich erst allmählich um. Auch Steinhoff vermutet, dass etlichen Rinderhaltern die Preisbildung bzw. das Zuschlagswesen gar nicht vertraut ist. Deshalb ist die neue Notierung ein Fortschritt, weil endlich der Markt transparenter wird.
Markttransparenz dringend erforderlich
Die hohe Dynamik haben vor allem die Discounter ausgelöst. Aldi bietet seit Ostern nur noch Rindfleisch der Stufe 3 an. Lidl hat ebenfalls die Umstellung auf Außenklima-Schlachttiere angekündigt. Edeka folgt bereits in einigen Regionalgesellschaften im Westen, Norden und Süden. Rindfleisch der unteren Tierwohlstufen werden im LEH zum Auslaufmodell. Und es geht nicht nur um (billige) Milchkühe für den verkaufsstärksten Artikel, das Hackfleisch. Auch Edelteile werden auf höherer Stufe geordert. Damit wird auch Fleisch von Jungbullen gefordert. Einzelne Schlachtbetriebe haben Initiativen ergriffen und mit Kunden, die sie schon mit Schweinefleisch (HF3) beliefern, auch Rindfleisch aufgeschaltet. Im Nordwesten spielte dabei die Genossenschaft Westfleisch als Marktführerin eine bedeutende Rolle. Bäuerliche Strohbetriebe, die bereits am NRW-Strohförderprogramm teilnehmen, waren zuerst am Start und konnten mit geringen Preisaufschlägen zufriedengestellt werden. Aber diese Betriebe reichen inzwischen für die Marktabdeckung nicht mehr aus. „Wir brauchen jedes Tier,“ heißt es derweil in allen Etagen der Schlachtkonzerne. Laut Schätzungen von Marktexperten gibt es vielleicht aktuell etwa 10-20% der Betriebe im Nordwesten oder Bayern, die die Auflagen für Außenklima erfüllen können. Dazu könnten noch einmal so viele Betriebe kommen, die relativ kurzfristig umzustellen seien. Aber der Einzelhandel verlangt mehr. Branchenkenner gehen schon jetzt von einem Marktanteil von 25% bei Bullen und 15% bei Kühen aus. Westfleisch und Tönnies schätzen, dass bis nächstes Jahr nicht nur beim Kuhfleisch, sondern auch bei Jungbullen fast 50% des Marktes mit HF3 und höher (z.B. Bio) abgedeckt wird.
Anforderungen an Außenklimaställe, Label- und Preischaos
Druck kommt von allen Seiten. Der Einzelhandel ruft und alle folgen. Wir dürfen nicht hinterherlaufen, sondern vorausschauend „schnellstmöglich“ Abnahmeverträge mit Landwirten machen, heißt es bei Westfleisch. Man will das Geschäft nicht anderen überlassen. So sprießen die Labels hervor wie die Krokusse im Frühjahr, oft als Eigenmarken des Handels. Man orientiert sich an den Anforderungen des LEH und setzt noch etwas on top (Regionalität, Rassen, Beschäftigung usw.).
Die wichtigsten Vorgaben der Haltungsform 3 des LEH sind:
- 4 qm Platz pro Bulle ab 400 kg Lebendgewicht
- Haltung im Offenfront (Außenklima)
- Futtermittel ohne Gentechnik
- Befunddatenerfassung am Schlachthof
- Mind. jährliche Kontrolle
Bisher zahlt jeder Schlachthof nach Gutdünken. Kühe werden inzwischen oft mit 10-15 ct/kg vergütet, im Süden erreichen sie auch mal 25 ct/kg. Bullen liegen bei Aufpreisen von 20 bis 25 Ct/kg (Westfleisch bietet 22,7 ct plus 20 €/Bulle), im Süden bis 42 ct/kg. Die Notierung in dieser Woche kann also nur ein Anfang sein.
Von Vollkosten weit entfernt
Immerhin scheinen die Erzeugergruppen mitmischen zu wollen. Aber oft traut man dem Markt und dem LEH noch nicht dauerhaft. Trotzdem stellen heute selbst Berater, die noch vor kurzem zur Zurückhaltung rieten, fest: Zukünftig kommt man an HF3 nicht vorbei. Natürlich haben erst die Betriebe umgestellt, die wenig ändern mussten. Inzwischen kommen aber vermehrt Bauanträge dazu, die aber erst eine Genehmigung benötigen und die Kosten optimieren müssen. Denn nach Berechnungen einzelner Kammerberater erfordert ein Neubau für HF3 einschließlich des Bestandsabbaus durch die Platzvorgaben einen Vollkostenzuschlag von etwa 70 ct/kg. Und davon ist das jetzige Preisniveau weit entfernt. Aber wer aufgrund der baulichen und betrieblichen Verhältnisse günstiger erzeugen kann, sollte die Chancen genau prüfen. Außerdem missfällt manchen Landwirten, dass sie einen festen und längerfristigen Liefervertrag unterschreiben müssen. Aber Planungsperspektive ohne Liefervertrag wird es privatwirtschaftlich nicht geben. Dafür müsste der Staat mit Kennzeichnung usw. einstehen. Der ist aber beim Rindermarkt und bei der Rinderhaltung noch nicht mal am Start.
Der Marktbeobachter begrüßt den Einstieg in eine differenzierte Preismeldung. Es wird aber auch Zeit, dass man die Differenzierung des Marktes zur Kenntnis nimmt und sie nicht als kleines Bonbon zum Standardverkauf begreift, das man quasi als Bonus gewährt. Jede einzelne Stufe benötigt eine eigene Notierung, die von den Kosten und den Marktaussichten getragen wird. Das sieht auf den ersten Blick unübersichtlich aus, gibt aber die jeweiligen realen Verhältnisse genauer wieder. Was hat z.B. der Preis eines „Außenklima-Bulle“ damit zu tun, dass der Export von Standardtieren z.B. nach China und Nahost lahmt oder boomt und der Durchschnittspreis dem folgt. Ein Aufpreis wäre unsinnig, weil sonst Äpfel mit Birnen verglichen würden. Der Biofleischmarkt zeigt es jeden Tag, dass getrennte Märkte auch ein je eigenes Leben führen (müssen). Schweinefleisch HF3 wird bald nachziehen müssen. Transparenz ist ein Kernelement des Marktgeschehens. Von Unübersichtlichkeit profitieren nur die Großen und Starken in der Wertschöpfungskette. Die Landwirte gehören meistens nicht dazu.