Marktbeobachtungen von Hugo Gödde +++ In den Niederlanden steht die Tier- bzw. Fleischwirtschaft weiterhin unter intensivem Druck. Mit zwei staatlichen Ausstiegsprogrammen will die niederländische Regierung seit einiger Zeit Tierhaltungsbetrieben mit hohen Emissionen und in der Nähe zu Naturschutzgebieten die Produktionsaufgabe finanziell schmackhaft machen. Denn nach Gerichtsbeschlüssen und nach EU-Vorgaben will bzw. muss sie die Umweltbelastungen und Nährstoffeinträge, die von der intensiven Tierhaltung ausgehen, deutlich reduzieren.
„Stopper“-Programme greifen
Nachdem die Nachfrage nach dem freiwilligen Ausstieg zunächst wenig Interesse fand, hat die Regierung noch einmal nachgelegt und die Prämien erhöht. Aktuelle Zahlen von Banken belegen nun den Erfolg. So haben sich laut des niederländischen Nachrichtendiensts „pigbusiness.nl“ schon 1517 Veredlungsbetriebe insbesondere aus den südöstlichen Intensiv-Provinzen, wie Gelderland und Noord-Brabant, angemeldet. Das größte Interesse zeigen Schweinehalter. Von den rund 3.000 Schweinebetrieben im Land haben 567 Halter einen entsprechenden Antrag für die „Stopperregelung“ 2024 gestellt – das entspricht einem Anteil von rund 19 %. Diese Betriebe müssen dann im April 2025 abgeschlossen sein, d.h. sie müssen auf jedwede Schweinehaltung für immer verzichten und die Ställe abreißen.
Von diesen Betrieben haben auch bereits 374 Antragssteller Verträge unterschrieben. 60 Betriebe haben sogar schon die nächste Verfahrensstufe erreicht, d.h. sie halten keine Tiere mehr und die Güllelager sind leergefahren. Branchenkenner gehen davon aus, dass die Ausstiegsprogramme zu einem Rückgang des Schweinebestandes von mind. 10 % führen werden.
Auch Geflügel- und Rinderhalter steigen aus
Auch aus den anderen Veredlungsbereichen werden Abstockungen gemeldet. Von den 1.700 geflügelhaltenden Betrieben in den Niederlanden haben 232 Halter (14 %) einen Erstantrag gestellt, 106 die Vereinbarungen akzeptiert und 20 den Tierbestand bereits aufgegeben.
Geringer ist das Interesse (noch?) bei den Milchviehhaltern, obwohl sie besonders im Fokus der Behörden stehen. Bis Ende 2024 wurden 418 Erstanträge (3%) registriert, wovon 247 genehmigt wurden. 17 Betriebe haben die Tierhaltung bereits beendet.
Das Interesse wird hoch bleiben, meldet die ING-Bank, denn viele Landwirte stünden derzeit vor der Wahl: Aufhören, Konsolidieren oder Weiterentwickeln. „Mehr als die Hälfte der Unternehmer ist über 55 Jahre. Mangelndes Interesse an einer Unternehmensnachfolge, unzureichender Entwicklungsspielraum und die Stimmung gegenüber der Intensivtierhaltung machen diese Prognose plausibel“.
Auch Spitzenbetriebe geben auf – das Beispiel Martin Houben
Aber nicht nur kleinere Betriebe oder ältere Betriebsinhaber geben auf. Wie das niederländische Branchenmagazin Boerderij berichtet, hat nun mit Martin Houben einer der größten Schweinehalter des Landes bekanntgegeben, dass er die Schweinehaltung aufgibt. Zur Houbensteyn-Gruppe in Ysselsteyn im Norden Limburgs gehören sechs Betriebsstandorte mit insgesamt 5.000 Sauen und 45.000 Mastschweinen. Sie stehen für 1,1% der niederländischen Schweineproduktion. Aber alle Betriebe sind als „Spitzenverschmutzer“ eingestuft. Anfang Februar hat Houben die Mitarbeiter informiert und die Besamung der Sauen eingestellt. Ende des Jahres werden die letzten Schweine den Betrieb („die Agrarfabrik“) verlassen.
Mitte 2023 hat die damalige Regierung ein Auffangprogramm für Spitzenlastbetriebe gestartet. Diese Betriebe produzieren aufgrund ihrer Größe und Lage besonders viele Emissionen, die für Naturschutzgebiete schädlich sein können. Damals war er noch nicht bereit. Aber „wenn die Regierung Geld zur Verfügung stellt, um uns aufzukaufen, gibt das einem zu denken. Das wird zwar nicht direkt gesagt, aber es ist ein klares Signal, dass man in den Niederlanden weniger Schweine will.“ Er brauchte eineinhalb Jahre, sich zu entscheiden.
Größe als Nachteil
Zunächst war er geschockt und sah seine Zukunftsaussichten schwimmen. Die Größe entwickelte sich von einem Kostenvorteil zum Standortnachteil. Noch vor fünf Jahren nahm er (mit 57 Jahren!) einen neuen doppelstöckigen Stall für 19.000 Mastschweine in Betrieb. „Wir sind ein großes Unternehmen mit großen Standorten. Das kommt in der niederländischen Gesellschaft nicht gut an. Größe war für uns ein Mittel, um in einer Kreislaufwirtschaft arbeiten zu können und die Selbstkosten niedrig zu halten. So haben unsere produzierten Schweine auch einen niedrigen CO2-Fußabdruck. Aber große Standorte geraten zunehmend ins Hintertreffen. Beispielsweise können wir nicht am Gütesiegel ‚Beter-Leven‘ teilnehmen“, erklärt der Schweinehalter.
Für ihn ist der Glanz des holländischen agrarindustriellen Produktionsmodells („wachsen, rationalisieren, exportieren“) erloschen. Das Geschäftsklima für seine Unternehmensart sei schlecht geworden. Um seine Geschäfte weiterzuentwickeln, müsste er große Investitionen tätigen. Doch eine Genehmigung bekomme er praktisch nicht mehr. Nach 2015 wurden von der Regierung Baugenehmigungen erteilt in Erwartung künftiger positiver Auswirkungen von Stickstoff-Reduzierungs- und Natur-Wiederherstellungsmaßnahmen. Diese Genehmigungen sind nun von Gerichten in Frage gestellt. Die rechtspopulistische Regierung will die Bauten nachträglich für gesetzeskonform erklären.
Die Nachricht von Houbens Ausstieg sorgt in der niederländischen Schweinehaltung für viel Aufregung. Die Liste von großen und bekannten Schweine- oder Milchviehhaltern wird immer länger, die im Zuge des staatlichen Aufkaufprogrammes die Produktion einstellen.
Güllekosten hoch – Ferkel knapp
Aber auch wirtschaftlich bleibt die Tierhaltung unter Druck. Ein neues Gesetz schreibt vor, dass in Gülle-Überschussgebieten festgeschriebene Mengen in die Aufbereitung gegeben werden müssen, um den Nährstoffdruck zu senken. In den Veredlungsregionen im Osten sowie im Süden der Niederlande müssen die Betriebe gut 50 % bzw. fast 60 % ihrer Gülle an eine Aufbereitungsanlage abführen. Die Kosten dafür sind hoch. Fachleute gehen von 35€/m3 aus, fast 20 € pro Schwein, die auch über das gesamte Jahr 2025 wegen der hohen Energiepreise nicht sinken werden.
Der Marktbeobachter sieht den europäischen Ferkelhandel und den Schlachtschweinemarkt kräftig in Bewegung. Er erwartet durch die „Stopper“ eine bis 15%ige Verringerung des holländischen Ferkelangebots in diesem Jahr, was besonders den spanischen und den deutschen Markt treffen wird, die auf Importe angewiesen sind, um die eigene Versorgungslücke bei den Ferkeln zu schließen. Auch bei Schlachtschweinen liegt der Fokus auf dem europäischen Binnenmarkt, weil durch die Seuchen und Exportsperren kaum Drittlandsmärkte offen sind und China seine Importe ständig einkürzt. Hinzu kommt, dass die deutschen Einzelhandelsketten verstärkt Fleisch mit deutscher Herkunft einfordern. Und in Sachen Tierwohl, Klimaschutz sind auch die Dänen (und demnächst die Holländer) unterwegs. Es macht Sinn, den deutschen Noch- Vorsprung beim Tierwohl zu sichern und auszubauen und nicht für eine fragwürdigen niedrigen Produktionsstandard („Ernährungssicherung“) zurückzufahren. Eine Mengen- und Qualitätsoffensive besonders für Ferkel wäre der richtige Schritt.