Der Markt für Ersatzprodukte boomt. Die Umstellung auf vegetarisches und/oder veganes Ernährungsverhalten hat sich in den letzten Jahren gerade in der jungen Generation vervielfacht. Selbst Marktexperten haben diese Entwicklung nicht vorhergesehen. Erst mit allmählicher Marktausweitung hat sich auch die klassische Industrie auf diese neuen Produkte eingelassen. Gerade die genossenschaftlichen Unternehmen standen dem Trend jahrelang eher feindlich gegenüber. „Ein Fleischer ist kein Gemüseverkäufer“, schallte es aus der Fleischindustrie. „Kuhmilch ist ein Stück Lebenskraft und urgesund“, versucht die Milchindustrie ihre Produkte mit immer neuen Marketingmitteln an den Mann und die Frau zu bringen. Sogar eine neue „Initiative Milch“ wurde von den großen Molkereien ins Leben gerufen, um die Verbraucher für das „weiße Wunder Milch“ zu begeistern. Wir müssen die Kuhmilch sexyer machen, war das Ziel. Die Kampagne blieb kaum sichtbar und konnte keine Erfolge erzielen. Im letzten Jahr ging der Konsum von Frischmilch um 7% zurück, Butter um 10%, Käse um 5% usw. Aber das kann man sicherlich nicht allein der altbackenen Werbestrategie anhaften.
Milchalternativen – Chance oder Sargnagel für Milcherzeuger
Gleichzeitig stieg – allerdings von einer niedrigen Basis aus – die Nachfrage nach veganen Alternativen deutlich an. In 2021 wuchs der Absatz von Milchimitaten um 34%, Joghurtalternativen um 20%, der Verkauf von veganem Käse verdoppelte sich. Die Inflation und die Preissprünge bei Lebensmitteln insgesamt in 2022 dämpften aber auch dieses Wachstum. Nach Auswertungen von Konsumforschern stieg der Absatz von Hafer-, Soja- und Mandeldrinks nur noch um 7% mit deutlichen rückläufigen Zahlen in den letzten Monaten. Ähnlich verlief der Absatz von Käsealternativen. Bei Joghurt gab es sogar einen Rückgang. Gönnt sich der Trend eine Pause oder ist der Hype schon vorbei? Oder kommt der Markt aus seiner Start-up-Phase nun in der industriellen Welt an?
Festzustellen ist, so eine AMI-Analyse von Haushaltsbefragungen, dass vor allem Konsument:innen in der Altersgruppe von 18 bis 24 Jahren gegenüber pflanzlichen Milchersatzprodukten aufgeschlossen sind. Junge Singles, Paare ohne Kind und junge Familien geben am meisten für Pflanzendrinks aus. Ein veganer oder laktosefreier Ernährungsstil verknüpft mit Klimaschutzgründen steht hoch im Kurs. Hafermilch darf in keinem Studentencafe und keiner WG fehlen. „Momentan haben die pflanzlichen Alternativen einen Marktanteil von etwa 10% bei Trinkmilch,“ schätzt Rudolf Schmidt, der Geschäftsführer der Landesvereinigung der Milchwirtschaft in NRW. Den neuen Markt geöffnet haben in den ersten Jahren die Bio-Pflanzendrinks. Den größten Anteil am Verzehr von Bio-Milchalternativen haben Haferdrinks mit 60%, gefolgt von Mandeldrinks (12%) und Sojadrinks (11%). Interessanterweise bewegen sich nach Analyse der AMI für 2022 die Bio-Alternativen (Sojadrinks 1,03 €/kg, Mandeldrinks 1,49 €/kg) preislich irgendwie um den Kuhmilchpreis von 1,33 €/kg, auch wenn die Kosten deutlich niedriger sind.
Vegane Drinks: konventionell viel teurer als Bio
Völlig anders haben sich die Preise für konventionelle Pflanzendrinks entwickelt. Gegenüber der „richtigen“ Milch kosten Soja-und Haferdrinks um 70% (!) mehr. Mandeldrinks werden gar mit 2,39 €/kg im Schnitt angeboten. Der Preis von konventionellen Imitaten liegt um 50 bis 90 ct/kg höher als bei bio. Marktexperten erklären das mit der Dominanz der preisgünstigen Bio-Handelsmarken im LEH, während bei konventionellem Milchersatz die Markenprodukte überwiegen. Anders ausgedrückt: Auch wenn Kuhmilch mit 7% und Ersatzprodukte mit 19% besteuert werden, machen hier Handel und/oder Milchindustrie einen gewaltigen Schnitt.
Nach Start-ups wie „Black-Forest-Nature“ (!) oder Konzernen wie Oatly und Nestlé u.a. springen auch industrielle Genossenschaftsmolkereien wie Arla oder DMK, aber auch Privatmolkereien wie Naarmann, Müller oder Oetker in den Kampf um hohe Margen.
Das ärgert viele Milchbauern, die ihre Produkte unter Wert verkauft sehen. Aber diese Margen will man sich nicht entgehen lassen. Plötzlich finden alle Vertriebler den Trend „hip“. Sollte das Wachstum der Pflanzendrinks so weitergehen, sagt Schmidt voraus, „haben wir in fünf bis zehn Jahren 30 bis 35% weniger Absatz an konventioneller Trinkmilch im LEH.“ Viele Betriebe könnten ihre Produktionsanlagen umnutzen, und „solche Märkte können eine Chance sein, sowohl für Molkereien als auch für Bauern“, hofft Schmidt. „Vielleicht bietet das sogar eine Möglichkeit, das Milchgeld aufzubessern.“ Nicht wenige Molkereien sprechen schon Bauern an, Hafer für Pflanzendrinks anzubauen. Aber die große Mehrzahl der Milcherzeuger sehen in den Alternativen eher einen weiteren Sargnagel für ihre Höfe.
Nur nebenbei: Ein pflanzlicher Milchersatz darf sich juristisch nicht „Milch“ nennen. Diese Bezeichnung ist laut EU-Verordnung nur dem durch „ein- oder mehrmaliges Melken gewonnenen Erzeugnis der normalen Eutersekretion“ erlaubt. Große Hersteller wie Oatly oder Nestlé sind mit ihrem Versuch der Änderung beim EU-Parlament abgeschmettert worden. Milchimitate dürfen weiterhin nur als z.B. „Haferdrinks“ oder „Sojagetränk“ bezeichnet werden.
Der Marktbeobachter weist darauf hin, dass auch die sogenannten „Mehrwertmärkte“ (Bio-, Weide-, Heu-, Tierschutzmilch) nicht vernachlässigt werden sollten. Auch hier hat sich der Markt in den letzten Jahren erheblich ausgeweitet. Bio-Konsummilch liegt trotz Rückgang im letzten Jahr (Hauptgrund: Übergewinn beim LEH) bei etwa 13% Marktanteil, Weidemilch hat in 2022 um 30% zugelegt auf 7% Anteil. Aber die Durchdringung dieser Märkte mit höherem Tierwohl ist wohl komplizierter und nicht so trendig wie die Imitate. Aber vor allem nicht so gewinnträchtig. Noch!